Die Zürcher Gesundheitsdirektion stellt «eine für diese Jahreszeit ungewöhnlich starke Auslastung der Notfallstationen» fest. Dabei würden die Stationen vermehrt durch Bagatellfälle beziehungsweise «nicht unmittelbar lebensbedrohliche Notfälle» belastet. Fälle, die in der Hausarztpraxis behandelt werden könnten.
Die Gesundheitsdirektion, der Verband der Zürcher Krankenhäuser (VZK) und die Zürcher Ärztegesellschaften bitten daher die Bevölkerung, bei nicht lebensbedrohlichen gesundheitlichen Problemen das Aerztefon zu benutzen, sollte die Hausärztin abwesend sein.
Ausländer kennen andere Sitten
Doch nicht nur bei Abwesenheit der Hausärzte suchen immer mehr Menschen gleich die Notfallstationen auf. Das ist zum Teil auch mit der Zuwanderung zu erklären. In anderen Ländern ist es nichts als üblich, mangels Alternativen auch bei kleinsten Beschwerden das Spital aufzusuchen.
Das Problem ist altbekannt. Wie es gelöst oder zumindest entschärft werden könnte, hat der ehemalige grünliberale Zürcher Nationalrat Thomas Weibel vor fünf Jahren schon gesagt. Dies in Form einer
parlamentarischen Inititiave. Er hat sie in der Herbstsession 2017 eingereicht.
50 Franken zusätzlich
Die Forderung ist einfach: «Die gesetzlichen Regelungen sind so anzupassen, dass alle Patienten, die eine Spitalnotfallpforte aufsuchen, vor Ort eine Gebühr von beispielsweise 50 Franken bezahlen müssen. Diese ist nicht an die Franchise oder Kostenbeteiligung anrechenbar.»
Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sowie alle Patientinnen und Patienten mit ärztlicher Zuweisung oder einer nachfolgenden stationären Behandlung könnten laut Initiativtext von dieser Gebühr ausgenommenn werden.
Beide Räte haben der Initiative bereits zugestimmt. Doch als es um die Umsetzung ging, sind neue Zweifel aufgekommen. Nach Anhörungen der Spitäler, der Ärztinnen und Ärzte, der Krankenversicherer sowie der Patientinnen und Konsumenten ist die Sozialkommission des Nationalrats am 20. Mai 2022 zum Schluss gekommen, dass eine solche Gebühr weniger nützen würde als erwartet. Sie wäre mit einem beträchtlichen Aufwand und Unsicherheiten verbunden.
Äusserst knapp, mit 12 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung, beantragt die Kommission, die Initiative abzuschreiben. Das wird womöglich schon in der kommenden Herbstsession geschehen.
Praxisgebühr von 30 Franken
Statt über Notfallgebühren gabs auch schon mal Diskussionen über Praxisgebühren. Das war vor mehr als zehn Jahren. Als Beitrag zur Senkung der Gesundheitskosten prüfte der Bundesrat 2009 eine Praxisgebühr von 30 Franken. Sie hätte bei ambulanten Behandlungen aus dem eigenen Sack bezahlt werden müssen.
Ärztinnen und Ärzte lehnten sie wegen des administrativen Aufwands ab. Ihre Verbindung FMH schlug damals vor, die Gebühr sollten nur von Patienten verlangt werden, die den Spital-Notfall statt den Hausarzt oder die Hausärztin aufzusuchten. Das Ansinnen war heftig umstritten und wurde schliesslich nicht eingeführt.
Das sagten die Räte zur Gebühr von 50 Franken
Zur Chronologie: Die Parlamentarische Initiative «Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme» wird am 27. September 2019 vom grünliberalen Thomas Weibel im Nationalrat eingereicht.
Am 6. Juli 2018 empfielt die vorberatende Kommission des Nationalrats die Initiative zur Annahme. Die Ständeratskommission lehnt sie jedoch am 15. April 2019 ab.
Am 3. Dezember 2019 stimmt der Nationalrat der Initiative zu. Das tat dann am 16. Juni 2021 auch der Ständerat - nota bene entgegen der Empfehlung seiner Kommission.
Das sagten die National- und Ständeräte in den Debatten.
NR Martin Bäumle (GLP, ZH)«Es ist sehr oft so, dass es reine Bagatellfälle sind, die zu einer Notfallaufnahme führen.»
NR Yvonne Feri: (SP, AG)«Eine Gebühr belastet vor allem die Ärmsten, alte Personen und chronisch Kranke. Zudem würde sie neue Fehlanreize setzen, denn Patientinnen und Patienten könnten unnötigerweise stationäre Behandlungen verlangen, um die Gebühr zu umgehen.»
NR Philippe Nantermod (FDP, VS)«Wir haben es zum Teil mit Menschen zu tun, die frequentieren die Spitalnotfallaufnahmen, als wenn sie zum Arzt oder in die Apotheke gingen.»
NR Kathrin Bertschy (GLP, BE)«Es gibt auf der einen Seite das Kostenargument. Auf der anderen Seite gibt es aber auch ein Qualitätsargument. Wenn Spitalnotfallabteilungen überlastet sind, entsteht unnötiger Stress beim medizinischen Personal sowie unter Umständen unnötige und gefährliche Wartezeiten für gravierende Notfälle.»
SR Jakob Stark, (SVP, TG)«Als Gesundheitsdirektor habe ich gesehen, welch grosse Problematik es ist, dass diese Notfallstationen eben von vielen Menschen aufgesucht werden, wenn sie einen starken Husten oder Kopfweh haben.»
SR Erich Ettlin, (Mitte, OW)«Was wäre, wenn vor Ort nicht bezahlt werden kann? Lehnt man dann die Aufnahme in die Notfallaufnahme ab? Wie sind die Ausnahmen zu bezeichnen, und wer hält diese fest? Die Kommission hat festgestellt, dass die Nachteile einer solchen Massnahme, einer Notfallgebühr, die Vorteile überwiegen.»