Gesucht: Ideen, damit weniger Pillen im Müll landen

Der Nationalrat setzt ein weiteres Zeichen, dass er die Medikamentenverschwendung bekämpfen will. Es ist nicht das erste.

, 3. Juni 2024 um 12:49
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Auch hier landen Prämiengelder – massenweise. Symbolbild: Pawel Czerwinski on Unsplash
Die Kostenbremse wird erst dann wirksam, wenn sich das Parlament weigert, längst fällige Massnahmen zur Eindämmung des Kostenwachstums zu ergreifen. So sagte Santésuisse-Präsident Martin Landolt auf Medinside: «Wir werfen Medikamente im Gegenwert von fast vier Milliarden in den Abfall. Solche Dinge müsste man anpacken».
Das sagte sich auch Ruth Humbel, als sie noch für die Partei der Mitte im Nationalrat sass. Im September 2022 reichte die Aargauer Sozialpolitikerin die Motion ein mit dem Titel: «Medikamentenverschwendung stoppen». Ihr Ansinnen wurde vergangene Woche im Nationalrat mit grossem Mehr angenommen – mit 170 zu 12 Stimmen.
Der Bundesrat hingegen wollte davon nichts wissen. In seiner Stellungnahme vom November 2022 stützte er sich auf einen Bericht, wonach diverse Massnahmen ergriffen wurden, «um den sachgerechten Einsatz von Arzneimitteln zu verbessern und damit die Arzneimittelverschwendung zu reduzieren».

4 Milliarden für den Müll

Der Nationalrat gibt sich damit nicht zufrieden. Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner verwies in der Ratsdebatte von letzter Woche auf eine Sonderabfallstatistik des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Danach wurden 2022 in der Schweiz 4800 Tonnen Altmedikamente im Gegenwert von 4 Milliarden Franken entsorgt.
In den meisten Fällen handelt es sich um bezogene und von den Krankenversicherern vergütete Arzneimittel. Zu diesen 4800 Tonnen kommen noch jene nicht benutzten Medikamente hinzu, die über den privaten Abfall entsorgt werden und in der BAFU-Statistik nicht erfasst sind.

Ein weiterer Bericht

Im ersten Punkt verlangt die Motion Humbel vom Bundesrat einen Bericht über die Art und das Ausmass der Medikamentenverschwendung. Ob das etwas bringt, ist jedoch fraglich. Wie erwähnt, hat der Bundesrat in Erfüllung eines Postulats einen solchen Bericht bereits erstellt.
Zudem schreibt der Bundesrat in seiner Stellungnahme zur genannten Motion, dass weder international noch national verlässliche Statistiken oder empirische Studien zur Arzneimittelverschwendung vorhanden seien. «Die fehlende Wissensgrundlage über das Ausmass der Arzneimittelverschwendung liesse sich für die Schweiz nur unter sehr grossem Aufwand anhand unterschiedlicher empirischer Zugänge (...) verbessern.»

Zweitens folgen Massnahmen

Zweitens verlangt die Motion vom Bundesrat, aufgrund der Ergebnisse des Berichts Massnahmen vorzuschlagen, um die Medikamentenverschwendung einzudämmen. Weshalb es dazu einen weiteren Bericht braucht, darf man getrost hintefragen.
Aus der Sicht des Bundesrats ist es daher zielführender, seine bisherigen Bemühungen im Rahmen der Strategie Gesundheit 2030 fortzusetzen. Er nennt als Beispiel die Einführung der Einzelabgabe von Antibiotika sowie den Einzelverkauf von Medikamenten. «Vor diesem Hintergrund ist der Bundesrat der Ansicht, dass der Handlungsbedarf bereits erkannt und angegangen wird und die Kernanliegen der Motion aufgenommen sind».

Was sagt der Ständerat?

Als nächstes wird nun der Ständerat über die Motion befinden. Sollte auch die kleine Kammer Ja sagen, so hat der Bundesrat zwei Jahre Zeit, um die Motion umzusetzen. Falls er es nicht tut, was bei Motionen regelmässig vorkommt, muss er das schriftlich begründen.
Das dürfte ihm nicht schwer fallen. Er könnte bloss wiederholen, was er im November 2022 zur Stellungnahme der Motion geschrieben hat.
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