Antibiotika: Deutsche Ärzte für kürzere Einnahme

Die Gesellschaft für Infektiologie bricht mit der jahrzehntealten Faustregel, dass Antibiotika-Packungen immer aufgebraucht werden sollen.

, 8. November 2017 um 14:12
image
  • immunologie
  • forschung
  • praxis
Wenn ein Arzt heute Antibiotika verschreibt, entlässt er die Patienten meist mit dem Satz: «Brauchen Sie die ganze Packung auf! Auch wenn Sie sich zuvor schon gesund fühlen…». 
Diese Haltung, jahrzehntelang geübt, gerät bekanntlich zunehmend unter Druck. Im Juli veröffentlichte etwa Gruppe von britischen Infektiologen, Mikrobiologen und Präventionsmedizinern im «British Medical Journal» einen Aufruf gegen die Regel, dass die Antibiotika-Packung jeweils beendet werden solle. Das Team unter Leitung von Martin J. Llewelyn, Professor for infectious diseases an der Brighton and Sussex Medical School, stellte sich auf die Position, dass die Ärzten hier lediglich eine alte Volksweisheit repetierten.

«…not evidence-based and incorrect»

Vor allem:  In Zeiten zunehmend bedrohlicher Antibiotika-Resistenz sei die «Aufbrauch-Regel» fatal. «Wir fordern Entscheidungsträger, Erzieher und Ärzte auf, die Aufbrauch-Regel in der Öffentlichkeit nicht länger zu verbreiten», schrieben die Wissenschaftler. Vielmehr sollen die genannten Kreise verkünden, dass die Regel «nicht evidenzbasiert und inkorrekt» sei («…we encourage policy makers, educators, and doctors to stop advocating “complete the course” when communicating with the public. Further, they should publicly and actively state that this was not evidence-based and is incorrect.»)
Doch so einfach setzten sie sich natürlich nicht durch. In England wandte sich das Royal College of General Practitioners – also die Organisation der Hausärzte – gegen die Kursänderung. Die Allgemeinpraktiker auf der Insel raten ihren Patienten auch heute noch, eine begonnene Antibiotika-Kur konsequent zu beenden.. «Wir können nicht auf der Basis nur einer Studie einen allgemeinen Verhaltens-Wandel befürworten», erklärte College-Präsidentin Helen Stokes-Lampard im «Telegraph»

«Kürzere Einnahme genauso wirksam»

Nun bringen aber deutsche Ärzte Bewegung in die Sache. «Diese Faustregel ist überholt», schreibt die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie in einer neuer Empfehlung zum herkömmlichen Antibiotika-Einsatz. «Untersuchungen der letzten Jahre liefern immer mehr Belege, dass bei vielen Infektionen eine kürzere Einnahmezeit genauso wirksam ist», so die Gesellschaft in ihrer Erklärung.
«Viele Jahre ist man davon ausgegangen, dass eine längere Antibiotikatherapie die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr der Infektion oder die Ausbildung von Resistenzen verringert», sagt der DGI-Vorsitzende Gerd Fätkenheuer. «Dahinter stand der Gedanke, möglichst alle krankmachenden Bakterien abzutöten. Heute wissen wir: Je länger die Bakterien dem Selektionsdruck eines antimikrobiellen Wirkstoffs ausgesetzt sind, desto wahrscheinlicher überleben überwiegend resistente, also gegen das Mittel unempfindliche Erreger.»
Obendrein ziehe eine kürzere Antibiotikatherapie tendenziell weniger Nebenwirkungen nach sich. 

5 Tage so wirksam wie 10 Tage

Trotzdem: Es geht auch den deutschen Ärzten nicht darum, dass die Patienten das Antibiotikum einfach absetzen, sobald sie sich wieder gut fühlen. Vielmehr sollten die Antiinfektiva individuell abgestimmt und in enger Absprache mit dem Arzt eingenommen und abgesetzt werden. 
Die deutschen Infektiologen berufen sich in ihrer Empfehlung auf die erwähnte BMJ-Studie, aber auch auf eine JAMA-Untersuchung aus dem Jahr 2016: Dabei erwies sich bei ambulant erworbenen Lungenentzündungen eine fünftägige Antibiotikatherapie als ebenso wirksam wie eine 10-tägige.
Einfacher wird die Sache dadurch nicht – vielmehr stellt sich sogar die Frage, ob die Änderung der Einnahme-Politik nicht sogar zu zusätzlichen Nachsorge-Untersuchungen führen könnte. «Einen Königsweg im Umgang mit Antibiotika gibt es nicht», schreibt die DGI: «In welchen Fällen ein Mittel abgesetzt werden kann, sobald die Symptome abgeklungen sind, und in welchen Fällen nicht, kann nur ein Arzt entscheiden.» 
Und Gerd Fätkenheuer sagt: «Ein Arzt gibt idealerweise eine Einnahmedauer vor, die gezielt auf die jeweilige Infektion und ihren zu erwartenden Verlauf abgestimmt ist. Sind die Symptome frühzeitig ausgeheilt oder schlägt das Mittel nicht an, sollte der Patient den Arzt kontaktieren und mit ihm das weitere Vorgehen besprechen.»
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Notfallpauschalen: Politiker machen Druck auf Versicherer

Im Ständerat fordert eine erste Motion höhere Tarife für Notfalleinsätze und Permanencen.

image

Uni Bern: Professur für Klimafolgen & Gesundheit

Damit baut die Universität Bern ihre Forschung an der Schnittstelle von Präventivmedizin und Klimawissenschaften aus.

image

KI auf Abwegen: Wenn das Röntgenbild sagt, dass einer Bier trinkt

Künstliche Intelligenz birgt in der Medizin ein heikles Risiko: das «Shortcut Learning». Dabei liefern Algorithmen völlig akkurate Ergebnisse – die völlig falsch sind.

image

Zürich: Teil-Einigung im Tarifstreit, Taxpunktwert steigt um 2 Rappen

Die Ärztegesellschaft des Kantons Zürich einigte sich mit HSK und CSS auf einen Wert für die ambulant tätigen Mediziner.

image

Notfallpauschalen: Bundesrat kann nichts tun

Die Landesregierung sieht keine Möglichkeit, dass Bern kurzfristig eingreift. Allerdings wird sie im Tardoc-Verfahren speziell auf die Dringlichkeits-Entschädigungen achten.

image

Cyberattacke auf Praxisgruppe Vidymed

Die Waadtländer Gruppe kämpft mit den Folgen eines Cyberangriffs, der ihre IT-Systeme lahmlegte. Ein Krisenstab sucht allfällige Datenlecks.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.