Wenn ein Arzt heute Antibiotika verschreibt, entlässt er die Patienten meist mit dem Satz: «Brauchen Sie die ganze Packung auf! Auch wenn Sie sich zuvor schon gesund fühlen…».
Diese Haltung, jahrzehntelang geübt, gerät bekanntlich zunehmend unter Druck. Im
Juli veröffentlichte etwa Gruppe von britischen Infektiologen, Mikrobiologen und Präventionsmedizinern im «British Medical Journal» einen Aufruf gegen die Regel, dass die Antibiotika-Packung jeweils beendet werden solle. Das Team unter Leitung von Martin J. Llewelyn,
Professor for infectious diseases an der Brighton and Sussex Medical School, stellte sich auf die Position, dass die Ärzten hier lediglich eine alte Volksweisheit repetierten.
«…not evidence-based and incorrect»
Vor allem: In Zeiten zunehmend bedrohlicher Antibiotika-Resistenz sei die «Aufbrauch-Regel» fatal. «Wir fordern Entscheidungsträger, Erzieher und Ärzte auf, die Aufbrauch-Regel in der Öffentlichkeit nicht länger zu verbreiten», schrieben die Wissenschaftler. Vielmehr sollen die genannten Kreise verkünden, dass die Regel «nicht evidenzbasiert und inkorrekt» sei («…we encourage policy makers, educators, and doctors to stop advocating “complete the course” when communicating with the public. Further, they should publicly and actively state that this was not evidence-based and is incorrect.»)
Doch so einfach setzten sie sich natürlich nicht durch. In England wandte sich das
Royal College of General Practitioners – also die Organisation der Hausärzte – gegen die Kursänderung. Die Allgemeinpraktiker auf der Insel raten ihren Patienten auch heute noch, eine begonnene Antibiotika-Kur konsequent zu beenden.. «Wir können nicht auf der Basis nur einer Studie einen allgemeinen Verhaltens-Wandel befürworten», erklärte College-Präsidentin Helen Stokes-Lampard
im «Telegraph».
«Kürzere Einnahme genauso wirksam»
Nun bringen aber deutsche Ärzte Bewegung in die Sache. «Diese Faustregel ist überholt», schreibt die
Deutsche Gesellschaft für Infektiologie in einer neuer Empfehlung zum herkömmlichen Antibiotika-Einsatz. «Untersuchungen der letzten Jahre liefern immer mehr Belege, dass bei vielen Infektionen eine kürzere Einnahmezeit genauso wirksam ist», so die Gesellschaft in ihrer Erklärung.
«Viele Jahre ist man davon ausgegangen, dass eine längere Antibiotikatherapie die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr der Infektion oder die Ausbildung von Resistenzen verringert», sagt der DGI-Vorsitzende Gerd Fätkenheuer. «Dahinter stand der Gedanke, möglichst alle krankmachenden Bakterien abzutöten. Heute wissen wir: Je länger die Bakterien dem Selektionsdruck eines antimikrobiellen Wirkstoffs ausgesetzt sind, desto wahrscheinlicher überleben überwiegend resistente, also gegen das Mittel unempfindliche Erreger.»
Obendrein ziehe eine kürzere Antibiotikatherapie tendenziell weniger Nebenwirkungen nach sich.
5 Tage so wirksam wie 10 Tage
Trotzdem: Es geht auch den deutschen Ärzten nicht darum, dass die Patienten das Antibiotikum einfach absetzen, sobald sie sich wieder gut fühlen. Vielmehr sollten die Antiinfektiva individuell abgestimmt und in enger Absprache mit dem Arzt eingenommen und abgesetzt werden.
Die deutschen Infektiologen berufen sich in ihrer Empfehlung auf die erwähnte BMJ-Studie, aber auch auf eine
JAMA-Untersuchung aus dem Jahr 2016: Dabei erwies sich bei ambulant erworbenen Lungenentzündungen eine fünftägige Antibiotikatherapie als ebenso wirksam wie eine 10-tägige.
Einfacher wird die Sache dadurch nicht – vielmehr stellt sich sogar die Frage, ob die Änderung der Einnahme-Politik nicht sogar zu zusätzlichen Nachsorge-Untersuchungen führen könnte. «Einen Königsweg im Umgang mit Antibiotika gibt es nicht», schreibt die DGI: «In welchen Fällen ein Mittel abgesetzt werden kann, sobald die Symptome abgeklungen sind, und in welchen Fällen nicht, kann nur ein Arzt entscheiden.»
Und Gerd Fätkenheuer sagt: «Ein Arzt gibt idealerweise eine Einnahmedauer vor, die gezielt auf die jeweilige Infektion und ihren zu erwartenden Verlauf abgestimmt ist. Sind die Symptome frühzeitig ausgeheilt oder schlägt das Mittel nicht an, sollte der Patient den Arzt kontaktieren und mit ihm das weitere Vorgehen besprechen.»