Das Kantonsspital St. Gallen macht ja regelmässig durch bemerkenswerte Forschungsergebnisse von sich reden: Ob im Kampf gegen ALS, gegen das Multiple Myelom oder gegen Hautkrebs – immer wieder stossen Erkenntnisse aus der Ostschweiz auf grosse Beachtung in der internationalen Fachwelt.
Das gilt auch für das jüngst veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit aus dem Hause KSSG: Denn diese fand ihren Weg bis ins «British Medical Journal». Sie dreht sich – um Kaffee.
Der schwarze Sud ist bekanntlich ein weit verbreitetes Stimulans, gerade auch für müde und überarbeitete Ärzte mit ihren langen Arbeitszeiten.
Von grosser Signifikanz ist also die Frage: Wer benötigt am meisten koffeinhaltiges Heissgetränk? Sind es die Chirurgen? Oder eher die Radiologen, wie viele Mediziner vermuten?
Daten aus der Kantine
Die erkenntnisreiche Studie dazu wurde nun im
«British Medical Journal» veröffentlicht. Wobei zu bemerken ist, dass die Publikation im Rahmen der Weihnachtsausgabe erfolgte, was bedeutet: Sie steht im Rahmen einer grossen Tradition – und ist nicht bitter ernst gemeint.
In der diesjährigen
Christmas Edition erfährt man zum Beispiel etwas übers Verhältnis von Schnauzträgern zu Frauen an der Spitze von wichtigen Medizin-Institutionen (19 Prozent zu 13 Prozent), über die Präsenz von Bob-Dylan-Songs in medizinischen Fachbeiträgen oder über
das Mortalitätsrisiko von Spitzenpolitikern.
Methodisch allerdings sind die spleenigen BMJ-Beiträge durchaus seriös gefertigt, und das gilt auch für das Kaffee-Exempel. Die Studienautoren unter der Leitung
von Karlmeinrad Giesinger (ein Orthopäde) analysierten zig Daten aus dem Kantinensytem von 2014 – anonymisiert und gefiltert nach Fachgebiet.
Insgesamt berücksichtigte die Studie die Bezahlhistorie von 766 Medizinern in der Kantine – 425 Männer und 341 Frauen. Die Verteilung nach Fachrichtung erfahren
Sie hier. Die Rangliste zum Kaffeekonsum sieht wie folgt aus:
Durchschnittlicher Kaffeekonsum pro Jahr und pro Kopf nach Fachgebiet
- Orthopädie: 189
- Radiologie: 177
- Allgemeine Chirurgie: 167
- Neurochirurgie: 116
- Neurologie: 104
- Innere Medizin: 90
- Gynäkologie: 75
- Anästhesie: 39
- Andere: 95
Die Anästhesisten scheinen auf den ersten Blick ein auffällig distanziertes Verhältnis zum Koffein zu haben – déformation professionelle? Gerne wüsste man andererseits, ob im Spitzenplatz der Orthopäden ein Bias durchdrückt, finden sich unter den Studienautoren doch mehrere Mitglieder orthopädischer Kliniken.
Weitere Resultate der Studie waren:
- Total: Insgesamt konsumierten die Ärzte letztes Jahr am KSSG rund 70’800 Becher Kaffee in der Kantine.
- Kaffeetrinker: Von insgesamt 766 Mediziner sind 16 Prozent Nicht-Kaffee-Trinker.
- Geschlecht: Männliche Ärzte konsumierten 128 Tassen pro Jahr, während die Zahl beim weiblichen Geschlecht bei 86 lag. Männer tranken doppelt so viele Espressi.
Das weibliche Geschlecht trinkt Cappucino, Männer mögen Espresso (Grafik: BMJ)
- Alter: Ältere Mediziner verbrauchten mehr Kaffee als ihre jüngeren Kollegen.
- Hierarchie: Ärzte mit mehr als fünf Jahre Erfahrung schlürften am meisten Kaffee von allen: 140 Tassen. Assistenzärzte kamen im Schnitt auf 95. Es bliebe also zu erforschen, wie sich Zeitmangel auf den Kaffeekonsum auswirkt.
- Grosszügigkeit: Je höher die Hierarchie, desto mehr Runden wurden ausgegeben. Abteilungsleiter spendierten signifikant mehr Kaffee als Ärzte in der Ausbildung.
- Peak: Der absolute Höchststand war am Freitag, 19. Dezember 2014: 371 Becher
- Beliebtheit: Café Crème war am beliebtesten am Morgen, während die Mediziner Espresso überwiegend nach dem Mittagessen genossen.
Café Crème am Morgen, Espresso nach dem Mittagessen (Grafik: BMJ)
«Gebräu verdient den Namen Kaffee nicht»
Wie üblich in einer solchen Studie diskutieren die Autoren die Grenzen der eigenen Erkenntnisse. So gestehen sie ein, dass der Instant-Konsum aus Automaten, der Nachtverbrauch sowie andere Kaffeequellen (eigene Maschinen, Kaffeekonsum zu Hause etc.) unberücksichtigt blieben.
Gut möglich, dass die Anästhesisten ihre eigene Kaffeemaschine versteckt haben, steht im Papier.
Und zum Automatenkaffe heisst es: «Wir glauben, dass dieses Gebräu den Namen Kaffee nicht verdient».
Es sei also durchaus wahrscheinlich, dass der Gesamt-Koffein-Konsum auf der ganzen Linie deutlich unterschätzt werde. Zudem seien die Erkenntnisse nicht auf andere Spitäler vollständig übertragbar. Und: Kaufen heisst nicht gleichzeitig trinken.