57 Prozent aller psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeiten werden durch Konflikte am Arbeitsplatz ausgelöst: Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Psychiatrie Baselland. Die Daten für die Untersuchung stammen von der Krankenversicherung Swica. Sie liess rund 1350 Krankentaggeld-Dossiers von Versicherten auswerten, die aus psychischen Gründen krankgeschrieben waren.
Je grösser die Firma, um so länger die Arbeitsunfähigkeit
Arbeitsunfähigkeiten aus psychischen Gründen dauern im Durchschnitt 218 Tage und sind in 95 Prozent der Fälle Vollzeit-Krankschreibungen. 80 Prozent der Versicherten arbeiten in einem 80- bis 100-Prozent-Pensum, 9 von 10 Versicherten sind Arbeiter oder Angestellte ohne Kaderfunktion.
Interessant ist: Je grösser das Unternehmen desto länger die Arbeitsunfähigkeit. Das lässt sich womöglich damit erklären, dass mit zunehmender Betriebsgrösse die soziale Kontrolle reduziert ist und ein Ausfall weniger direkte Konsequenzen hat als in einem Kleinbetrieb.
Längere Abwesenheit in der Finanzbranche und im Gesundheitswesen
Für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit spielen auch die Anforderungen am Arbeitplatz eine wesentliche Rolle. Wer diszipliniert und zuverlässig sein muss oder emotional gefordert ist, ist in der Regel auch länger krankgeschrieben.
So gibt es je nach Branche deutliche Unterschiede in der Arbeitsunfähigkeitsdauer. Am tiefsten ist sie im Baugewerbe mit 171 Tagen und in der Logistik mit 191 Tagen. In der öffentlichen Verwaltung dauert die Arbeitsunfähigkeit durchschnittlich 267 Tage, bei Banken und Versicherungen 262 Tage und im Erziehungswesen 255 Tage.
Momentan-Diagnosen nützen wenig
Für die Arbeitsunfähigkeit werden fast ausschliesslich Depressionen und Anpassungsstörungen diagnostiziert. Es sei aber schwer vorstellbar, dass fast alle erfassten Versicherten primär an einer depressiven oder Anpassungsstörung leiden, stellen die Studienautoren fest.
Sie vermuten deshalb, dass bei Krankschreibungen oft nur die aktuellen Symptome berücksichtigt würden, die sich meistens in depressiven und Belastungssymptomen zeigt – auch bei anderen psychischen Störungen. Das Problem einer momentanen Diagnose sei, dass es kaum Hinweise gebe für nützliche Massnahmen: Wie soll der Wiedereinstieg geplant werden, welche Art von Arbeitsanpassungen wären hilfreich, was kann den Versicherten zugetraut werden, worauf ist im Umgang mit ihnen zu achten?
So könnten Lösungen aussehen
- Unternehmen sollten früher reagieren, und nicht erst dann, wenn die Situation eskaliert. Versicherungen könnten die Unternehmen noch gezielter unterstützen.
- Die behandelnden Ärzte sollten stärker unterstützt und geschult werden für einen bewussten Umgang mit Arbeitsunfähigkeitszeugnissen, der den Patienten hilft, die Stelle zu behalten.
- Nützlich wäre, wenn Ärzte, Versicherungen und Arbeitgeber Leitlinien entwickeln, wie in schwierigen Situationen früh und wirksam gehandelt werden könnte.
Dass immer mehr Personen in psychiatrisch-psychologischer Behandlung sind, sei ein Fortschritt, schreiben die Studienautoren. Aber dass sie zunehmend arbeitsunfähig würden, sei ein Rückschritt.
Arbeitsprobleme werden medikalisiert
Ein Problem sei, dass Frustrationen, Veränderungen und Konflikte, die das Arbeitsleben mit sich bringt, zunehmend zu Krankschreibungen und in der Folge zur Ausgliederung aus dem Arbeitsmarkt führen würden. Die Studienautoren schreiben von einer Medikalisierung von Arbeitsproblemen.
Niemand weiss, warum die Fälle zunehmen
Die Ausfälle wegen Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen nehmen seit vielen Jahren stetig zu. Die Gründe dafür sind unklar. Von einer epidemiologischen Zunahme psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung, könne aber nicht ausgegangen werden.
Offenbar hätten sich aber die Wahrnehmung und der Umgang mit psychischen Problemen verändert. Denn die Zunahme der Krankschreibungen kontrastiert mit einer immer besseren psychiatrischen Versorgung. Psychische Erkrankungen werden heute häufiger, früher und professioneller erkannt und behandelt.