Spitalzusatzversicherungen - zwei Motionäre auf ordnungspolitischer Geisterfahrt

Zwei Freiburger Grossräte verlangen, dass der Kanton die Spitalrechnungen der Halbprivat- und Privatpatienten kontrolliert. In anderen Kantonen der Westschweiz geistern ähnlich schräge Ideen herum, welche die Rollenkonflikte der Kantone im Gesundheitswesen verschärfen.

, 28. Dezember 2021 um 14:51
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In ihrer am 21. Mai 2021 eingereichten Motion verlangen die Freiburger Grossräte Olivier Flechtner (SP) und Nicolas Kolly (SVP) vom Staatsrat die Vorlage eines Gesetzesentwurfs, der es den zuständigen Behörden ermöglicht, auf kantonaler Ebene die Spitalrechnungen der Halbprivat- und Privatpatienten zu kontrollieren. Anscheinend wissen die beiden Motionäre nicht einmal, ob und wie der Kanton die Rechnungen der Patienten auf den allgemeinen Abteilungen kontrolliert.
Anstatt die Motionäre in zwei, drei ordnungspolitisch klaren Sätzen darauf hinzuweisen, dass dieses Vorhaben dem Subsidiaritätsprinzip unserer Bundesverfassung wiederspricht, verheddert sich der Staatsrat in seiner Antwort vom 21. Dezember im Paragraphenwirrwarr unseres Gesundheitswesens und verschweigt seine Rollenkonflikte. Immerhin lehnt er die Motion ab.

Wo ist das Problem?

Die Finanzmarktaufsicht (Finma) kritisiert seit längerem intransparente Rechnungen der Spitäler für halbprivat und privat versicherte Patientinnen und Patienten. Angeblich bezahlen Krankenversicherer überhöhte Rechnungen ohne klare Abgrenzung der Leistungen zwischen der Grundversicherung und halbprivaten bzw. privaten Spitalzusatzversicherungen. Laut Finma sind es mehr als ein paar skandalöse Einzelfälle. Welches Ausmass die kritisierten Missstände erreichen, verschweigt die Aufsichtsbehörde, die von den Versicherungen und Spitälern mehr Transparenz verlangt. Ob die Interventionen der Finma und des Preisüberwachers, der eigentlich auf privaten Märkten nichts verloren hat, ohne grosse Kollateralschäden die gewünschte Wirkung erzielen, wage ich zu bezweifeln. Aber hier geht es um die Rolle der Kantone.

Objektives Preis-Leistungs-Verhältnis in der Grundversicherung, subjektives in Zusatzversicherungen

Wer mit einem alten VW von A nach B fährt, bezahlt dafür weniger als jemand, der mit einem Rolls Royce dieselbe Strecke fährt. Ob die Mehrkosten mit dem Rolls Royce dem subjektiven Mehrwert entsprechen, muss jeder Rolls-Royce-Besitzer selber beurteilen. Ähnlich ist es bei einer Knieoperation. Wer nur eine Grundversicherung hat, bekommt eine medizinisch wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche Behandlung von hoher Qualität, wie es das Krankenversicherungsgesetz (KVG) vorschreibt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis muss bei einer obligatorischen Versicherung objektive Kriterien erfüllen. Wer eine private Spitalzusatzversicherung hat, darf im Spital nicht nur mehr Hotelkomfort erwarten, sondern auch den operierenden Arzt und den OP-Termin frei wählen, wenn der Eingriff kein Notfall ist. Wie beim Rolls Royce ist die Beurteilung dieses Mehrwerts und der entsprechenden Zusatzversicherungsprämien eine subjektive Angelegenheit. Denn im Gegensatz zur Grundversicherung sind Zusatzversicherungen freiwillig. Die Objektivierung des Preis-Leistungs-Verhältnisses ist nicht nötig. Vor Missbräuchen schützt das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Die Finma begründet ihre Forderungen nach transparenten Rechnungen für halbprivate und private Spitalleistungen mit ihrem Auftrag, die Versicherten vor Missbrauch zu schützen. Auch der Preisüberwacher, der eigentlich nur intervenieren sollte, wo der Wettbewerb nicht funktioniert, begründet seine Aktivitäten mit dem Schutz der Versicherten, weil diese ab 50 faktisch ihren Versicherer nicht mehr wechseln können, falls sie ihre Zusatzversicherungsprämien als zu hoch beurteilen. Anstatt gezielt gegen Missbräuche vorzugehen, wird die ganze Branche durch die Finma mit zusätzlicher Regulierung sozusagen kollektiv bestraft.

Kantone sind nicht zuständig für Privatversicherungen

Für seine ausführliche Antwort an die beiden Motionäre Flechtner und Kolly brauchte der Staatsrat ein halbes Jahr, erwähnt darin diverse Gesetzesartikel, den Bundesrat, die Finma sowie den Preisüberwacher und schafft damit mehr Verwirrung als Klarheit. Immerhin ist die Zusammenfassung einigermassen korrekt: «Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kantone nicht direkt für die Rechnungskontrolle im Bereich der Zusatzversicherung zuständig sind. Wie oben erläutert, werden auf nationaler Ebene jedoch verschiedene indirekte Hebel betätigt, um die Transparenz, Qualität und Wirtschaftlichkeit bei der Erbringung von Pflegeleistungen zu erhöhen. Auf kantonaler Ebene liegt die Zuständigkeit für die Zusatzversicherung bei den Versicherern und Leistungserbringern, die derzeit daran arbeiten, ihre Verträge anzupassen, um den Anforderungen der FINMA gerecht zu werden. Was schliesslich die disziplinarische Aufsicht über die Leistungserbringer betrifft, so sind die kantonalen Zuständigkeiten und Verfahren bereits im Gesundheitsgesetz (GesG) geregelt.»
Der Staatsrat verschweigt in seiner Antwort an die beiden Motionäre Flechtner und Kolly aber drei zentrale Punkte:

  • 1. Die Kantone kontrollieren die stationären Spitalrechnungen für Behandlungen auf den allgemeinen Abteilungen nicht annähernd so genau, wie es die Krankenkassen tun. Es interessiert sie bloss, wie viel sie für Patienten bezahlen müssen, die sich ausserkantonal behandeln lassen.
  • 2. Die Kantone haben im Gesundheitswesen erhebliche Rollenkonflikte. Sie müssen die medizinische Versorgung sicherstellen und dafür sorgen, dass keine medizinischen Fachpersonen und Institutionen auf dem Markt sind, die Patienten gefährden. Sie sind aber indirekt oder indirekt an Institutionen (z.B. Spitäler) beteiligt, die sie kontrollieren müssen, genehmigen sämtliche, im Kanton geltenden Grundversicherungstarife und bezahlen 55 Prozent jeder stationären Behandlung (die Krankenkassen 45 Prozent). Durch diese Rollenkonflikte sind die Kantone permanent im Dilemma. Sie müssen sowohl für hohe Qualität als auch für tiefe Kosten sorgen. Sie bestimmen die Spielregeln und sind gleichzeitig Mitspieler und Schiedsrichter. Im Kanton Freiburg führen diese Rollenkonflikte zur grotesken Situation, dass das Kantonsspital (HFR) mit anderen Spitälern nicht konkurrenzfähig und hochdefizitär ist. Obwohl das HFR-Personal rund 10 Prozent mehr verdient als in den Nachbarkantonen, macht das Spital nicht mit bester Qualität Werbung. 70 Prozent der Spitalkosten sind Personalkosten. Ein Spital, dass sein Personal besser bezahlt als die Konkurrenz, sollte so gute Leistungen erbringen, dass die Patienten Schlange stehen, weil sie unbedingt dort behandelt werden wollen.
  • 3. Die Kantone verschweigen in der Debatte um angeblich zu hohe Vergütungen für Halbprivat- und Privatpatienten, dass sie davon profitieren, denn mit Gewinn aus dem Geschäft mit Halbprivat- und Privatpatienten decken die Spitäler Defizite ihrer Ambulatorien und allgemeinen Abteilungen. Der frühere FDP-Gesundheitsminister Pascal Couchepin pflegte schon vor Jahren zu sagen, dass er keinen Grund sieht, eine soziale Quersubventionierung der grundversicherten Patienten durch Patienten mit Zusatzversicherungen zu unterbinden.



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