Das ambulante Tarifmodell Tarmed ist veraltet, für einzelne Leistungen erhalten die Ärzte zu viel oder zu wenig. Darin sind sich alle Tarifpartner einig. Doch was das richtige Preismodell ist, daran scheiden sich die Geister im Gesundheitswesen. Retrospektives oder prospektives System? Kostenverantwortung für die Leistungserbringer oder die Versicherer? Auch Gesundheitsökonomen sind sich da nicht einig, was oder welche Mischung besser wäre – oder was für Anreize wie überwiegen sollten.
Der Bundesrat lehnte vor kurzem das neue Tarifwerk Tardoc in seiner aktuellen Form zur Genehmigung ab, das die Ärzteschaft und der Versichererverband Curafutura erarbeitet hatten. Damit schlägt er sich auf die Seite von Santésuisse. Der andere Krankenkassenverband setzt gemeinsam mit Hplus auf das Primat von Pauschalen vor Einzelleistungen: Bis Ende Jahr will der Verband mit den Spitälern eine erste Pauschal-Tarifversion beim Bundesrat einreichen. Diese sollen 50 Prozent der Behandlungen in Arztpraxen und Spitalambulatorien abdecken. Ein hoch gestecktes Ziel, sagt Stefan Felder, Professor für Gesundheitsökonomie. Sowieso bringe Santésuisse eine «Wundertüte», bei der man nicht wisse, was drin sei, so Felder gegenüber der NZZ.
Idee: Mehrere Tarife zulassen
Die seit Jahren zerstrittenen Tarifpartner sind jetzt aufgefordert, eine Tarifstruktur für die Abrechnung der ambulanten Leistungen im Umfang von 12 Milliarden Franken gemeinsam zu überarbeiten – und endlich eine gemeinsame Lösung zu finden. So will es der Bundesrat. Gesundheitsminister Alain Berset gibt ihnen bis Ende Jahr Zeit, den Tarif gemeinsam nachzubessern.
«Die Aufgabe, einen Einheitstarif für einen grossen Teil des Schweizer Gesundheitswesens zu erarbeiten, ist quasi unlösbar», sagt Fridolin Marty, Leiter Gesundheitspolitik beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Für ihn müsste der Bundesrat jetzt einen Neuanfang lancieren. «Es gilt, die grosse Komplexität zu reduzieren.» Dies gelinge nur, wenn das Tarifmodell für den gesamten Leistungsbereich auf kleinere Einheiten aufgesplittet werde.
Es brauche mindestens vier separate Tarife für die Leistungsbereiche: Hausarztpraxis, spezialärztliche Praxis, Ambulatorium und ein klinisches Ambulatorium. Neben Pauschalierungen käme ein Stundentarif in Frage, was einen Tarif massgeblich vereinfachen würde.
So funktioniere die Tarifpartnerschaft wieder
Konkret schlägt der promovierte Ökonom vor, auf der Leistungserbringer-Seite mit vier Tarifen zu arbeiten. Auf der Seite der Krankenversicherer könnte man die Hauptverhandlung aufteilen: Je zwei Tarife für Curafutura respektive Santésuisse, mit der Auflage, dass der Bundesrat das Ergebnis genehmigen müsste, wie Marty gegenüber Medinside erläutert. Der andere Partner würde den Tarif dann ebenfalls übernehmen, schwebt ihm vor.
Einwände gegen das Preismodell, dass etwa der Leistungswettbewerb dadurch behindert würde, entkräftet der Leiter Gesundheitspolitik bei Economiesuisse: «Erstens kennen wir bereits heute mehrere Tarife.» Und zweitens sei es wichtig, eine Strukturveränderung zuzulassen. Dies geschehe auch mit vier Tarifen, indem gewisse kritische Bereiche gleich tarifiert würden. Auch die Entschädigung über Stundenansätze könne die Strukturveränderung zulassen. Und drittens sei es ordnungspolitisch viel fragwürdiger, wenn die Tarifpartnerschaft nicht funktioniere, als wenn es verschiedenen Tarife gebe.
Auf dem Weg zur Staatsmedizin?
Der Tarifstreit zwischen den Branchenverbänden geht so oder so in die nächste Runde. Es bleibt nun abzuwarten, ob die Grabenkämpfe zwischen den Tarifpartner weitergehen oder sich alle Branchenverbände zusammenraufen, um die Zusammenarbeit wieder konstruktiv aufzunehmen. Der Verband Curafutura, der zusammen mit Swica die fünf stärksten Versicherer im Rücken hat, und die Ärzteschaft erwarten von Gesundheitsminister Alain Berset in dieser Hinsicht Unterstützung «und notfalls ein klares Machtwort».
Für Rechtsprofessor Bernhard Rütsche von der Universität Luzern muss es im ureigenen Interesse der Tarifpartner liegen, aufeinander zuzugehen und gemeinsame Lösungen zu finden. Ansonsten drohen ihm zufolge vermehrt staatliche Eingriffe in das Tarifwesen und eine Erosion der Tarifautnomie als zentraler Eckpfeiler des schweizerischen Gesundheitssystems.
Die Maske von Alain Berset fällt!
Branchenkenner Felix Schneuwyl glaubt hingegen nicht, dass alle Tarifpartner es zusammen schaffen, bis Ende Jahr sowohl einen Einzelleistungstarif als auch ambulante Pauschalen hinzukriegen. Nicht zuletzt, weil Gesundheitsminister Alain Berset und seine Leute
immer neue Anforderungen formulieren würden. Dahinter stecke ein «übles Spiel», glaubt der Krankenkassenprofi.
Bersets Strategie sei es, so Schneuwly weiter, mit immer neuen Forderungen Zeit zu gewinnen, die Tarifpartner auseinanderzubringen und dann die Tarifautonomie zu beerdigen. So müssten die BAG-Spezialisten das Problem lösen. Tarifpartner, Parlament und Medien werden laut Schneuwly darauf reinfallen und dem Bund und den Kantonen alle Macht geben. Und dann sei auch die Einheitskasse definitiv mehrheitsfähig, vermutet der Experte für das Gesundheitswesen.