«Sucht Schweiz» mobilisiert seit einer Woche mit
einer Kampagne gegen den Alkoholverkauf in der
Migros. Die Befürchtung: Gemäss Berechnungen der Stiftung leben in der Schweiz zwischen 250'000 bis 300'00 alkoholkranke Menschen. Sollten die Genossenschafterinnen und Genossenschafter dem Alkoholverkauf zustimmen, befürchtet Sucht Schweiz einen Anstieg von Alkoholproblemen.
Dass sich weder Politik noch Versicherer einschalten, stösst bei Sucht Schweiz auf Unverständnis. Die Gründe: Alkoholmissbrauch gefährdet nicht nur die eigene Gesundheit. Alkoholsucht sorgt neben sozialen Problemen auch für volkswirtschaftliche Kosten in der Höhe von jährlich
2,8 Milliarden Franken.
Wie die Stiftung am Montag gegenüber
Medinside zu bedenken gab, sei man schon bei der Initiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» auf Unterstützung gestossen. «Die Versicherer können die Kosten letztlich sowieso auf den Prämienzahler umwälzen», liess Sucht Schweiz verlauten.
Versicherer kontern
«Diesen Vorwurf weisen wir ganz klar zurück», schreibt die Krankenkasse CSS auf Anfrage von Medinside. Es gehöre zum Kerngeschäft der CSS und zum ureigenen Interesse, die Kosten tief zu halten. «Es ist absolut gegen unsere Interessen, wenn die Kosten steigen», betont der Versicherer und gibt die folgende Stellungnahme ab:
Wir bieten einerseits die obligatorische Grundversicherung an, andererseits Zusatzversicherungen. Die Grundversicherung ist eine Sozialversicherung, es ist von Gesetzes wegen untersagt, Gewinn zu machen. Überschüsse bleiben im System und gehören den Versicherten.
Mit Zusatzversicherungen hingegen dürfen wir Geld verdienen. Aber das können wir nur, wenn wir attraktive Prämien in der Grundversicherung anbieten.
Wenn jemand aufgrund einer unattraktiven Prämie in der Grundversicherung von der CSS zu einer anderen Kasse wechselt, dann wandert ziemlich sicher auch die Zusatzversicherung ab.
Zudem: Je mehr Geld für die Grundversicherung aufgewendet werden muss, desto weniger bleibt für die Zusatzversicherung übrig. Das heisst: Wenn wir die Kosten in die Höhe treiben oder – wie der Vorwurf lautet – die Kosten nur auf die Versicherten abschieben, schaden wir uns selber.
Neben der CSS konfrontierte die Redaktion die Versicherer Swica, Helsana, Concordia und Group Mutuel mit dem Statement von Sucht Schweiz. Einzig letztere ging konkret auf die Frage der Redaktion ein:
«Die Prämien spiegeln die Kosten des Gesundheitswesens wider.» Die Group Mutuel komme ihrer Leistungspflicht stets nach und vergüte die Kosten nach den Regeln, die das BAG festgelegt habe. «Dazu gehören auch Behandlungen aufgrund von Alkoholmissbrauch», schreibt der Versicherer.
«Nicht unsere Aufgabe»
Hinsichtlich der Migros-Abstimmung zum Alkoholverkauf wollte keiner der Versicherer Position beziehen. Die Debatte betreffe ein privates Unternehmen mit seinen Genossenschaftlern, sind sich alle angefragten Krankenkassen einig. Ebenso erachten die Versicherer es nicht als ihre Aufgabe, ihre Versicherten hinsichtlich der Migros-Abstimmung zu sensibilisieren.
«Grundsätzlich liegen Gesundheitsvorsorge und Prävention in der Eigenverantwortung des Individuums», gibt die Helsana zu bedenken. Krankenversicherer seien gesetzlich dazu verpflichtet, den Schutz vor möglichen finanziellen Folgen von Krankheiten zu gewährleisten.
«Seit 2018 zahlen alle Prämienzahler jährlich vier Franken achtzig an die Stiftung für
Gesundheitsförderung Schweiz.» Diese sei für die Entwicklung und Durchführung von Programmen der Gesundheitsförderung und Prävention verantwortlich, so die Helsana weiter.
Alkohol Online-Training
Die Augen beim Thema Alkohol verschliessen die Krankenkassen nicht «Wir engagieren uns auf vielfältige Weise für Gesundheitsprävention und motivieren unsere Versicherten zu einem gesunden Lebensstil – auch hinsichtlich Alkoholkonsum», erklärt die Concordia. Und während die Helsana im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements Unternehmen auch zum Thema Sucht berät, sensibilisieren alle angefragten Versicherer ihre Kunden mittels ihrer Kundenmagazine zum Thema Sucht.
Die Swica zum Beispiel geht noch einen Schritt weiter und bietet ein
Online-Training für einen bewussten Umgang mit Alkohol an. «Wenn jemand der Meinung ist, dass wir nichts für die Gesundheit unserer Versicherten tun, dann stellt sich die Gegenfrage, weshalb wir Dutzende von kostenlosen Angeboten zum Thema Gesundheit, Gesundheitsförderung, Prävention etc. haben und bei unserem Telemedizin-Anbieter rund hundert medizinische Fachpersonen beschäftigen», sagt die Swica.
Keine Zahlen vorhanden
Wie hoch die jährlichen Kosten betreffend den Alkoholmissbrauch ihrer Versicherten sind und ob sich diese Zahlen während der Pandemie verändert haben, darüber konnte keiner der Versicherer Auskunft geben. Man habe keine spezifischen Diagnosecodes für Behandlungen, die es ermöglichen würden, die jährlichen Kosten des Alkoholmissbrauchs zu identifizieren und zu beziffern, erklärt Group Mutuel.