Herr Landolt, Santésuisse setzt sich für tiefere Prämien ein. Warum sind Sie gegen die Prämiensenkungsinitiative?
Weil das den Druck auf die Kostendiskussion wegnimmt. Einerseits haben wir ein finanzpolitisches Gewissen, das uns sagt, dass die Initiative gegenüber dem Gegenvorschlag nicht stemmbar ist. Andererseits ist es rein eine sozialpolitische Diskussion, die darüber entscheidet, wie die anfallenden Kosten finanziert werden - über den Steuerzahler oder über den Prämienzahler. Wir aber wollen die Kosten, also die Ursachen, hinterfragen. Sie sind es, die die Höhe der Prämien bestimmen.
Martin Landolt präsidiert seit Mitte 2023 den Krankenkassenverband Santésuisse. Bis Ende letzten Jahres sass der Glarner und frühere BDP-Präsident während knapp 14 Jahren im Nationalrat.
Bei einem Ja gibts eine Umverteilung zulasten der Steuerzahlenden. Das müsste die Kantone unter Druck setzen, endlich mit den Kostensenkungsmassnahmen im Gesundheitswesen vorwärts zu machen.
Das sagen die Initianten auch. Das ist eine theoretische Argumentation. Ich bezweifle, dass das in der Praxis auch so funktioniert.
Stichwort Theorie: Die andere Initiative, die Kostenbremse-Initiative, die Sie unterstützen, ist genau so Theorie. Mit dem Ja zu dieser Verfassungsänderung wird nichts eingespart.
Doch. Der Mecano einer Kostenbremse ist nichts Neues oder Unbekanntes. Wichtig ist die Feststellung, dass die Kostenbremse einen präventiven Automatismus beinhaltet, bei dem alle hoffen, dass er nie zur Anwendung kommt. Das setzt die Politik unter Druck. Das Parlament muss Kostensenkungen anpacken, um eben zu verhindern, dass die Kostenbremse zur Anwendung kommt. Das führt zu einem anderen Schaffen im Parlament, als wenn das Nichtstun keine Konsequenzen hat.
Als ehemaliger Nationalrat werden sie sich an Fälle erinnern, in denen der Verfassungsauftrag schlicht nicht umgesetzt wurde. Beispiel Masseneinwanderungsinitiative.
Ich bin sehr wohl der Meinung, dass die Masseneinwanderungsinitiative umgesetzt wurde, sonst wäre dagegen das Referendum ergriffen worden. So wie bei der Umsetzung dieser Initiative habe ich das Parlament übrigens selten erlebt, mit welcher Sorgfalt und Ernsthaftigkeit es unter Zeitdruck nach Lösungen suchte, um die schwierige Vorgabe halbwegs adäquat umzusetzen.
Es gibt andere Beispiele, in denen Verfassungsartikel nicht umgesetzt wurden.
Das gibt es. Aber das Gesundheitswesen ist ein sehr sensibler Bereich. Da ist man extrem exponiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Parlament erlauben kann, die Initiative nicht umzusetzen.
Die FMH sagt, wäre die Kostenbremse-Initiative vor 20 Jahren eingeführt worden, könnten 37 Prozent der Leistungen nicht mehr in der Grundversicherung angeboten werden. Das hätte eine Untersuchung ergeben.
Ich finde es waghalsig, so etwas zu behaupten. Man kann nicht einerseits den Vorwurf machen, man wisse nicht, wie die Initiative umgesetzt würde. Sie sei zu offen formuliert. Und gleichzeitig will man konkret wissen, was passieren wird und was passiert wäre.
Würde die Initiative tatsächlich umgesetzt, was ich bei diesem Parlament bezweifle, müsste es zu einer Rationierung kommen.
Das mit der Rationierung ist auch so eine Angstmacherei. Kein Mensch will Rationierungen. Im Initiativtext lässt sich das nicht ableiten. Die Rationierungsdebatte und die Drohung der Zweiklassenmedizin sind leere Behauptungen. Es ist schon entlarvend, wenn seitens der Leistungserbringer auf Panik gemacht wird und sie einen Vorstoss kritisieren, der auf der Kostenseite den Hebel ansetzt.
Warum will kein Mensch Rationierungen? Will man das Kostenwachstum bremsen, werden einige bluten müssen.
Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass man ohne zu bluten, dass man ohne Qualitätsverlust sehr viele Ineffizienzen aus dem System eliminieren kann. Die Dauerthemen, die wir immer wieder adressieren, von den Medikamentenpreisen, über Labortarife, über den Anteil Generika, die Mehrfachbehandlungen.... Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sagt, dass 20 Prozent der Behandlungen unnötig sind. Das ist zwar eine pauschale Aussage, aber das BAG wird aus guten Gründen zu diesem Schluss gekommen sein. Wir werfen Medikamente im Gegenwert von fast vier Milliarden in den Abfall. Solche Dinge müsste man anpacken. Das führt nicht zu einem Qualitätsverlust.