Die Zahlen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) rütteln auf: Mehr als eine halbe Million Menschen in der Schweiz hatten in den letzten zwei Wochen Suizidgedanken. Etwa 280 000 Personen haben mindestens einmal in ihrem Leben einen Suizidversuch unternommen, jede fünfte erzählt niemandem davon. Jeden Tag sterben zwei bis drei Menschen durch Suizid.
«Viele Suizide könnten durch Prävention verhindert werden. Denn die meisten Menschen mit Suizidgedanken möchten nicht sterben, sie sehen aber keinen anderen Ausweg. Und sie wissen leider nicht, dass schwere Krisen mit Suizidabsichten mit entsprechender Unterstützung überwunden werden können», sagt Tobias Kuhnert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZHAW Institut für Public Health. Der Sozialwissenschaftler forscht über Suizidversuche von LGBT-Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schweiz. Gemeinsam mit Stephan Kupferschmid, Chefarzt der Privatklinik Meiringen und Präsident der Initiative zur Prävention von Suizid in der Schweiz (Ipsilon), hat er das
CAS Suizidprävention konzipiert. Diese schweizweit erste umfassende Weiterbildung startet im März 2025.
Tabuthema Suizid
«Das Bewusstsein von Betroffenen für ihre psychische Gesundheit hat zugenommen, viele sind bereit, Hilfe zu holen», beobachtet Tobias Kuhnert. Trotzdem: Suizidgedanken seien immer noch ein Tabuthema. In der Ausbildung vieler Gesundheits- und Sozialberufe habe das Thema wenig Gewicht und das Hilfsangebot sei noch mangelhaft. «Dies zu ändern und mit vertieftem Wissen das Tabu abzubauen, ist ein Ziel der Weiterbildung.» Sie richtet sich primär an Berufsleute, die Menschen begleiten, zum Beispiel an Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen, Gesundheitsfachpersonen, Sozialarbeitende, Lehrer:innen aller Stufen oder Seelsorger:innen.
Die Teilnehmenden setzen sich mit den Grundlagen der psychischen Gesundheit und der Suizidalität auseinander. Sie lernen Aufgaben und Ziele der Suizidprävention in verschiedenen Disziplinen und Professionen kennen. Weiter können sie Massnahmen der Suizidprävention im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen planen, umsetzen, evaluieren und weiterentwickeln. Dabei steht die interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen im Vordergrund. Das CAS dauert rund 10 Monate und umfasst 10 ETCS.
Tobias Kuhnert, ZHAW Gesundheit, Wissenschaftlicher Mitarbeiter,
Co-Studiengangs-leitung CAS Suizidprävention
Prävention in verschiedenen Lebensbereichen
«Suizidprävention fängt früh an, nicht erst bei Suizidäusserungen», sagt Tobias Kuhnert. Suizidgedanken seien eine verbreitete Reaktion auf hohen Leidensdruck. Meist stehe ein langer Leidensweg dahinter, die Betroffenen fühlten sich in einem dunklen Tunnel ohne Ende. «Die Prävention muss deshalb so früh wie möglich ansetzen, denn vielen Suiziden gehen Suizidversuche oder Suizidäusserungen voran», so der Co-Leiter des CAS. Darum sei es wichtig, Betroffene mit einem vielschichtigen Netz aufzufangen.
Menschen in jedem Alter können suizidal werden, die Gründe dafür sind vielfältig. Um Betroffene in ihrer jeweiligen Lebenssituationen adäquat unterstützen zu können, muss die Prävention in den verschiedensten Lebensbereichen ansetzen. Die Möglichkeiten dazu sind breit, so Kuhnert. Sie reichen von der Stärkung der psychischen Gesundheit von Individuen und Gruppen über die Schulung von Fachpersonen bis zur Sensibilisierung der Bevölkerung. «Suizidprävention ist deshalb eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft», ist der Sozialwissenschaftler überzeugt.