«Man kann ein sehr guter Arzt werden mit etwas weniger Präsenzzeit»

Im Kanton Zürich suchen die Chirurgen generationenübergreifend nach Verbesserungen für den Nachwuchs. Daniel Frey und Federico Mazzola erläutern Ziele und Projekte (Teil 2).

, 30. September 2024 um 22:00
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«Keine Anmeldungen oder Kodierungen. Dafür gibt es Verwaltungspersonal»: Chirurgen Daniel Frey (li.), Federico Mazzola.
Herr Mazzola, Herr Frey, hat Ihre Task Force schon konkrete Ideen gegen die administrative Belastung?
Federico Mazzola: Wir haben beim VSAO eine Checkliste, die wir den Kliniken zur Verfügung stellen. Ich will das jetzt nicht herunterrattern. Was uns aber deprimiert, ist dass wir ständig das Rad neu erfinden müssen – dabei haben die meisten Kliniken ähnliche Probleme, für die es jeweils ähnliche Lösungen gäbe.
Sie nennen das Ziel, dass die Assistenzärzte dereinst maximal 30 Prozent ihrer Arbeitszeit für Papierkram aufwenden sollen. Da fragt man sich: Ist das nicht fast bescheiden? Ginge es nicht etwas sportlicher?
Mazzola: Es gibt gar keine klaren Zahlen, aber man schätzt, dass Verwaltungsarbeiten 50 bis 80 Prozent der Arbeitszeit von Assistenzärzten ausmachen. Ein gewisser Teil Administration gehört auch zum Beruf: Der OP-Bericht ist eine Selbstverständlichkeit. Und wenn ich nach einer Sprechstunde eine Notiz mache, gehört es auch dazu. Aber beim Drumherum fängt es an, und oft stellt sich die Frage: Für wen schreiben wir eigentlich die Berichte? Ziel muss sein, dass wir die Administration machen, die es braucht – und nichts darüber hinaus.
Federico Mazzola ist Präsident des Verbands der Zürcher Assistenz- und Oberärzt:innen VSAO Zürich. Derzeit arbeitet er als Assistenzarzt für pädiatrische Chirurgie am Kinderspital Zürich.
Daniel Frey ist Präsident der Zürcher Chirurgengesellschaft CGZH. Hauptberuflich leitet der Viszeralchirurg das CZO Chirurgiezentrum Zürcher Oberland. Frey war von 2013 bis 2023 Departementsleiter und Chefarzt Chirurgie am GZO Spital Wetzikon.
Frey: Ziel wäre, dass die Assistenzärzte keine nicht-medizin-korrelierte Administration machen sollten – also keine Anmeldungen, Kodierungen, statistischen Erfassungen. Dafür gibt es Verwaltungspersonal. Es wurde in den letzten Jahren Mode, dass wegen des Spardrucks gewisse Stellen in der Verwaltung offen blieben und dann es hiess: Das können ja die Assistenzärzte auch noch machen. Obendrein gibt es mehr Anfragen der Versicherer, die werden immer schwieriger.
Man hört das seit Jahren. Es geschieht wenig.
Frey: Das liegt zum Beispiel daran, dass der Chefarzt nicht alleine administrative Aufgaben verlagern kann, da braucht es dann wieder die Geschäftsleitung. Dann gibt es heute zwar gute digitale Lösungen, die viel Arbeit abnehmen können, aber so etwas kostet. Jetzt, wo es jedem Spital schlecht geht, wird das besonders schwierig. Eine wichtige Möglichkeit wäre, administrative Arbeiten auf der Station an spezialisiertes Pflegepersonal zu delegieren oder dafür MPA auszubilden. Darauf sollten wir setzen.
Mazzola: Aber es gibt so eine Tendenz, ungeliebte Aufgaben aus allerlei Berufen dann an die Assistenzärtinnen und Assistenzärzte abzuschaufeln. Dabei sollte einfach jeder Beruf seine Aufgabe erfüllen.
Kostet das am Ende nicht doch mehr?
Frey: Wir denken, dass es letztendlich kostenneutral möglich wäre. Solche Entlastungen durch anderes Personal sind nicht zwangsläufig billiger – diese Leute verdienen teils wie junge Oberärzte –, aber man gewinnt qualitativ. Denn man kann die Ausbildung auf etwas weniger Ärzte konzentrieren. Ein Assistenz- oder Oberarzt wird sich nie beklagen, dass er zuviel im Ops ist.
«42+4 ist auch eine grosse Chance, das etwas hinterwäldlerische Vorgehen in der Ausbildung anzugehen und insgesamt besser zu strukturieren.»
Man hört, dass die Assistenzärzte in der Chirurgie heute vielleicht zwei bis vier Stunden pro Woche im Ops instruiert werden. Daran kann nicht alleine die Bürokratie schuld sein.
Frey: Es gibt natürlich sonst ein Daily Business – Patienten aufnehmen, Visiten…
Geht da noch etwas?
Mazzola: Man kann da sicher noch etwas streamlinen. Wir Chirurginnen und Chirurgen sind sehr gern im Operationssaal, aber die ganze prä- und postoperative Betreuung oder die stationäre Arbeit gehört schon auch zum Beruf. Oder Sprechstunden. Die Leistungen an den Patienten erbringen wir ja auch gern. Aber es geht darum, dies auch klar zu erfassen. Wir hätten vom SIWF 4 Stunden strukturierte und 4 Stunden unstrukturierte Fortbildung zugute, deklariert als Arbeitszeit. Das schafft fast kein Spital.
Ist das Modell «42+4» eine definitive Lösung für das Kernproblem? Und wird das jetzt «Industriestandard»?
Mazzola: Man bewegt sich dorthin. Ausserhalb der Chirurgie ist dabei die Psychiatrie zur Vorreiterin geworden, aber auch immer mehr öffentliche und private Kliniken ziehen nach. Vor 15 Jahren gab es den Bleistiftstreik, bei de eine maximale Arbeitszeit von 50 Stunden gefordert wurde. Aktuell sind wir bei einem Durchschnitt von 56 bis 57 Stunden; dies in allen Disziplinen, nicht nur in der Chirurgie. Fast keine Klinik hält die Maximalarbeitszeit von 50 Stunden ein. Ein Problem dabei: Die Flexibilität in der Planung ging verloren. 42+4 erlaubt es auch, dass man vereinzelt – und notfalls – an die maximal erlaubte Arbeitszeit herangehen kann.
Was sagen Sie als Vertreter der Fachgesellschaft, Herr Frey?
Frey: Als Chirurg und ehemaliger Chefarzt einer Klinik sage ich: 42+4 ist auch eine grosse Chance, das etwas hinterwäldlerische Vorgehen in der Ausbildung anzugehen und insgesamt besser zu strukturieren. Wir müssen jetzt etwas ändern.

Das 42+4-Konzept des VSAO

Der Verband VSAO lancierte im Frühjahr 2023 ihre Forderung nach dem 42+4-Prinzip: Danach soll die wöchentliche Arbeitszeit für Assistenzärzte durchschnittlich 42 Stunden Dienstleistung rund um die Patientenbetreuung betragen. Im Rahmen ihrer Arbeitszeit sollen die Assistenzärzte Anrecht auf wöchentlich mindestens vier Stunden strukturierte Weiterbildung haben, und zwar separat und transparent von der Dienstleistungszeit erfasst.
Heisst: Das «+4» zwingt zu einer besseren Organisation?
Frey: Genau. Man wird die Weiterbildung definitiv besser planen müssen. Einen Knackpunkt bilden dabei die Vorhalteleistungen – der 365-Tage-24-Stunden-Betrieb. Internisten können das teils von zuhause erbringen, aber die Chirurgen müssen vor Ort sein. Manchmal sogar zu zweit oder zu dritt. So etwas geht nur noch über Netzwerke. Man wird zwei, drei Häuser zusammennehmen müssen, damit sie gemeinsam den Dienst erbringen. Man hat das bereits zwischen Winterthur, Schaffhausen und Wetzikon vorgelebt: Die machen an den Wochenenden zusammen Hintergrundsdienst.
Mazzola: Wir erhoffen uns natürlich auch eine Verschiebung im Arbeitsinhalt. Es wird Hand in Hand gehen müssen mit dem Abbau bei den Verwaltungsarbeiten.
Der Viszeralchirurgen-Verband SGVC veröffentlichte soeben eine Umfrage unter seinen Mitgliedern: Da waren 22 Prozent der Ansicht, dass «42+4» im Prinzip richtig, aber während der chirurgischen Ausbildung zu einschränkend sei; 34 Prozent sind der Meinung, dass gar keine Reduktion der Arbeitszeit benötigt werde. Was sagen Sie diesen 34 Prozent?
Frey: Arbeitszeit am Patienten sind die 42 Stunden. 4 Stunden sind Fortbildung. So etwas ist gut möglich und auch sinnvoll…
Mazzola: …auch beim SGVC-Schwerpunkttitel. Es gibt einen Paradigmenwechsel. Ich denke gar nicht, dass wir einen Generationen-Clash haben. Sondern müssen über die Generationen hinweg ein Ärztebild finden, das passt. Die Jüngeren wollen nicht so weiterfahren, wie es vor Jahrzehnten üblich war. Aber sie wollen auch gut werden, sie wollen eine hochstehende Ausbildung. Aber nicht mit dem gleichen Ärztebild wie damals.
Frey: Sie wollen weder Familie noch Privatleben noch Freunde opfern. Und man kann selbstverständlich ein sehr guter Arzt werden mit etwas weniger Präsenzzeit im Spital.
Teamwork von Fachgesellschaft und VSAO.
Im Kanton Zürich wollen die Chirurgengesellschaft CGZH und der Assistenz- und Oberärzte-Verband VSAO gemeinsam die Arbeits- und Weiterbildungs-Bedingungen in der Chirurgie verbessern. Im Juli bildeten sie dazu eine Task Force, die konkrete Massnahmen erarbeiten soll. Schwerpunktthemen der Task Force sind die Weiterbildung, die bürokratische Belastung und die Arbeitszeiten der jungen Mediziner.


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