Einzelleistungsabrechnungen oder Pauschalen? Das ist eine der grossen Fragen rund um die Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL).
Seit Einführung der neuen MiGeL am 1. Oktober 2021 gilt die Einzelleistungsabrechnung, was den Pflegeheimen und deren IT zumindest in der Einführungsphase viel Kopfzerbrechen verursacht, langfristig aber generell viel Aufwand, viel Bürokratie und viel Leerlauf produziert.
Verständlich, dass Pflegeheime lieber Pauschalen hätten, wie sie das in den letzten Jahren kannten, als Kantone und Gemeinden für die Kosten des Verbrauchsmaterials aufkamen.
Aussage gegen Aussage
Matthias Müller, Kommunikationsleiter bei Santésuisse, sagte
hier gegenüber Medinside, Tarifsuisse hätte in den Verhandlungen Pauschalen vorgeschlagen. Doch die Pflegeheime hätten kein Interesse gezeigt. Umgekehrt sagen die Pflegeheimverbände Senesuisse und Curaviva, sie hätten lieber Pauschalen. Was jetzt?
Der Branchenverband Curaviva Schweiz, der seit Anfang Jahr Teil der Föderation Artiset ist, will sich nur schriftlich äussern: «Tarifsuisse hatte im Sommer 2021 Verhandlungsbereitschaft signalisiert – diese jedoch an Bedingungen geknüpft, die national nicht erfüllbar sind.»
Aufgrund dieser Bedingungen und aufgrund der verfügbaren Zeit seien sich Curaviva Schweiz und Senesuisse einig, dass sich eine Verhandlungslösung über MiGeL-Pauschalen nicht wird realisieren lassen.
Wie Curaviva zudem schreibt, hätten die CSS und die Einkaufsgemeinschaft HSK im Juni 2021 Pauschalen «definitiv abgelehnt».
Krankenkasse widerpricht Curaviva
Stimmt das? Von «definitiv» kann keine Rede sein. Die Einkaufsgemeinschaft HSK, die im Auftrag von Helsana, Sanitas und KPT die Tarifverhandlungen führt, hat bei den Verhandlungen mit Curaviva die MiGeL-Pauschale im Langzeit-Pflegevertrag «nicht grundsätzlich abgelehnt», wie die HSK auf Anfrage erklärt. Die Parteien seien sich einig, dass aufgrund von fehlenden plausiblen Kosten- und Leistungsdaten die betriebswirtschaftliche Berechnung einer Pauschale nicht möglich sei.
Auch CSS-Sprecherin Christina Wettstein sagt: «Wir haben signalisiert, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt bereit sind, über Tarifverträge mit Pauschalen zu verhandeln, sobald wir über Datenmaterial verfügen». Wobei noch viele Fragen offen seien, wie die CSS im Gespräch mit Medinside erklärt.
Paradigmawechsel
So macht der Krankenversicherer mit Sitz in Luzern darauf aufmerksam, dass die per Oktober 2021 eingeführten Gesetzesänderungen viel einschneidender sind, als das von aussen wahrgenommen werde: «Wir haben einen Paradigmawechsel.»
Vorher gab es mit dem Höchstvergütungsbetrag klare Vorgaben, was die Krankenversicherung im Bereich der Mittel- und Gegenstände maximal aus der Grundversicherung (OKP) vergüten dürfe. «Jetzt hat der Gesetzgeber die Tür geöffnet und ermöglicht in diesem Bereich den Abschluss von Tarifverträgen. Das ist etwas Neues.»
Pro Pflegetag 1,5 bis 3 Franken
Nun sagte aber Senesuisse-Geschäftsführer Christian Streit
hier in diesen Spalten: «Pro Pflegetag bräuchte man für all das Verbrauchsmaterial 1,5 bis 3 Franken. Wir hätten uns irgendwo in der Mitte finden können.»
Warum auch nicht? Für die CSS ist dieses Vorgehen nicht realistisch: «Eine einzige Pauschale zu definieren, die alle Produkte und Arten der Mittel und Gegenstände umfasst, ist nicht möglich», sagt Christina Wettstein.
Eine branchenweite Runde wäre nötig
Die Arten von verwendetem Material pro Pflegeheim können unterschiedlich sein – eine Pauschale für alle Produkte und Arten der Mittel und Gegenstände für alle Heime könnte zu einer Unter- oder Übervergütung führen. «Wir stehen vor Schwierigkeiten, die noch gar nicht thematisiert wurden. Es ist noch nie eine branchenweite Runde für die Erfassung der Fragestellungen betreffend Tarifierung von Mitteln und Gegenständen zusammengekommen.»
Schliesslich macht die CSS klar, dass es eine einheitliche Regelung zur Tarifierung für alle geben muss. Es könne nicht sein, dass der eine Krankenversicherer Pauschalen vereinbart und der andere auf Einzelleistungsabrechnungen beharrt. Eine solche unterschiedliche Regelung führte auch zu einer Ungleichbehandlung der Patienten.
Womit wir bei einem weiteren Missverständnis sind: Pflegeheime gehen davon aus, dass die Kosten für Verbrauchsmaterial gemäss MiGeL voll von den Krankenkassen vergütet werden. Spricht man mit Vertretern der Krankenversicherer, so sind für MiGeL-Produkte in bestimmten Fällen eine Kostenbeteiligung durch die Patienten vorgesehen. Liegt der Marktpreis über dem Höchstvergütungsbetrag, so kann die Differenz dem Patienten, der Patientin, verrechnet werden.
Bei der Pauschale wiederum wäre keine Kostenbeteiligung durch die Versicherten vorgesehen, die über Franchise und Selbstbehalt hinaus gehen.
BAG verlangt ärztliche Verordnung
Und um die Verwirrung komplett zu machen: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat zu MiGeL ein «Q&A» aufgeschaltet. Dort steht: «Für die Vergütung des Pflegematerials der Kategorien B und C ist eine ärztliche Anordnung notwendig. Eine ärztliche Anordnung für die Pflegeleistungen ist nicht ausreichend.»
Wie sich das mit Pauschalen verträgt, wäre dann auch noch zu klären.