Zweite Gotthardröhre: Ja oder nein? Gripen-Jets: Ja oder nein? Es gehört zur politischen Wesen der Schweiz, dass eifrig gestritten wird über die Kosten von Gross-Investitionen, auch auf lokaler und kantonaler Ebene: Kongressgebäude, Eishockey-Arena, Justiz-Zentrum – ja oder nein?
Doch gleichzeitig werden hier Multimillionen-, ja Milliardenprojekte aufgegleist, die weitgehend unterm Radar der breiten Öffentlichkeit bleiben. Zu dieser stillen Gruppe gehören vor allem die Spital-Investitionen.
Sanierungsfälle und Top-Modernisierer
Medinside hat die Bestandesaufnahme gemacht und die grösseren Bau-Projekte in der Schweizer Spital-Landschaft aufgelistet (siehe unten). Die Katalog zeigt: In den nächsten 15 Jahren werden die hiesigen Kliniken gegen 15 Milliarden Franken verbauen – im Minimum.
«Sanierung», «Erweiterung», «Neubau»: Auszug aus der Spital-Projekt-Liste. Die ganze Liste findet sich am Ende des Artikels.
Die detailliert angekündigten Projekt-Summen liegen bei 13,9 Milliarden Franken (was alleine schon mehr als dem Vierfachen des strittigen Gotthard-Sanierungs-Pakets entspricht). Erfasst wurden dabei alle namhaften Klinik-Investitionen, die derzeit im Bau, bewilligt, im Projektstatus oder im Rahmen von Masterplänen aufgeleist sind – privat wie öffentlich. Hinzu kommen allerlei Bauten, deren Kosten noch unbekannt sind.
Das Paket umfasst natürlich verschiedenste Spezialfälle: etwa Regionalspitäler, die ihre längst nötige Sanierung endlich angehen; aber auch Privatkliniken, die ihrer internationalen Kundschaft einfach das Modernste bieten wollen. Doch gesamthaft zeigt sich: Jeder baut für sich.
«Es gibt keine übergeordenete Investitionsplanung»
«Es gibt im Spitalbereich keine übergeordnete Investitionsplanung – nicht unter den Leistungsanbietern, die zueinander in Konkurrenz stehen, und auch nicht landesweit», sagt Christian Elsener; er ist Immobilienexperte bei PwC Schweiz und veröffentlichte jüngst eine
Studie zu den Tendenzen im Spitalmarkt Schweiz.
Neubauprojekt STS Spital Zweisimmen (PD)
Die Mehrheit der Kantone, so Elseners Analyse, «steuert unter dem revidierten KVG nicht mehr über die Investitionsvorhaben, sondern über Leistungsaufträge. Gestützt darauf entwickeln die Spitäler ihre Businesspläne und entscheiden über Investitionsvorhaben».
Am Ende bestehe das Risiko eines Überangebots an Produktionsflächen für Spitalleistungen. Und so könnte sich eines Tages herausstellen, dass es nicht alle Spitäler schaffen, ihre modernen Bauten genügend auszulasten, um sie auch zu refinanzieren.
Wieviele Millionen werden nebenbei in den Sand gesetzt?
Ein Teil des Health-Beton-Booms würde damit als Fehlinvestition enden. Was dies bedeuten mag, rechnete letztes Jahr die
«Neue Zürcher Zeitung» anhand der Klinikprojekte im Kanton Zürich vor: Kalkuliert man mit nur 10 Prozent, die falsch investiert werden, würden «mehrere hundert Millionen Franken in den Sand gesetzt». Und schweizweit, so liesse sich anfügen, mehr als eine Milliarde.
Und doch haben die Projekte im einzelnen ihre guten Gründe:
- Bei vielen kantonalen Spitälern stammt der Baukern noch aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Ersatzinvestitionen wurden lange vernachlässigt – jetzt muss nachgeholt werden. Fast drei Viertel der Spital-Infrastruktur wurde vor 1980 erstellt. Und statt einer Sanierung erscheinen Neu- und Erweiterungsbauten meist die vernünftigere Lösung.
- Teils wollen die Klinikmanager ihre Effizienz steigern – womit durch einen Neubau am Ende sogar Geld gespart würde. So planen die Kantone Jura und Neuenburg moderne Klinikzentren, während im gleichen Zug kleinere Spitäler geschlossen werden sollen.
- Klinikvergleiche, freie Spitalwahl, Medizintourismus: Die Patienten stellen heute höhere Anforderungen an den Komfort – und auch wer beim Personal attraktiv sein will, benötigt einen zeitgemässen Auftritt.
Geplantes Spitalhochhaus «Klinikum 2» in Basel (PD)
«Bei Spitälern ist das Gebäude ein Wettbewerbsfaktor», fasst der
Gesundheitsökonom Willy Oggier zusammen; Oggier illustriert dies mit dem Phänomen, dass die werdenden Mütter und Väter vor der Niederkunft gern einen Blick in den Kreissaal und die Patientenzimmer werfen: «Wer eine neue Geburtenabteilung vorweisen kann, bekommt in der Regel auch mehr Geburten», weiss Willy Oggier. Und ganz allgemein sei der Zustand eines Gebäudes eines der wenigen Signale, die auch dem medizinischen Laien einen nachhaltigen Eindruck verschaffen.
Auffällig ist dabei aber, dass die öffentlichen Spitäler derzeit deutlich intensiver und grösser bauen als die privaten Häuser. Ein Hauptgrund: Der Nachholbedarf ist hier grösser – die privaten Kliniken, etwa die Hirslanden-Gruppe, halten ihre Infrastruktur stetiger im Schuss.
Spitäler sind politisch heilig
Vor allem aber: Spitäler sind politisch heilig. Hier gilt noch die alte Faustregel, dass jede investierte Summe gutes Geld ist. So dass jeder Politiker noch mit wagemutigen Klinikprojekten punkten kann, während seine Wiederwahl riskiert, wer ein Spital schliessen will. Am klarsten zeigte sich der Gesundheits-Goodwill zuletzt im Kanton St. Gallen, wo das Volk im November 2014 ein halbes Dutzend Spitalbauten guthiess – mit einem Schlag und im Gesamtbetrag von fast einer Milliarde Franken. Und das mit phänomenalen Ja-Stimmen-Anteilen zwischen 73 und 90 Prozent.
Geplanter Erweiterungsbau des Spitals Sion (PD)
«Es gibt keinen limitierenden Faktor», fasst Christian Elsener von PwC Schweiz zusammen: Politisch haben wir keinen Plafonds, da Spitalprojekte so leicht durchsetzbar sind und in der Bevölkerung auf viel Goodwill stossen; auf der anderen Seite seien die Kapitalgeber weiterhin bereit, neue Spitalprojekte mitzufinanzieren: Schliesslich gelten diese als sichere Investitionen. Unterm Strich aber dürfte die Kombination von wenig Koordination unter den Leistungsanbietern plus wenig Limiten zu gewissen Überkapazitäten führen. Willy Oggier, der Gesundheitsökonom, verweist dabei darauf, dass die Schweizer Spitäler oft auch ein kleineres Einzugsgebiet haben als Krankenhäuser in anderen Ländern; womit es ohnehin länger dauert, bis die Investitionen amortisiert sind.