Obwohl Chancengleichheit in der Universitätsmedizin ein kaum noch bestrittenes Ziel ist, scheint der Weg dahin noch weit zu sein. Im Rahmen des Projekts Divmed, an dem die Universitätsspitäler von Genf, Zürich, Basel, Bern und Lausanne beteiligt sind, wurde nun ein
Bericht zu diesem Thema veröffentlicht.
Die Forscher beobachteten die Lage über einen Zeitraum von rund einem Jahrzehnt, nämlich von 2014 bis 2023.
Laut dem Bericht gibt es in den fünf Universitätskliniken ein regelrechtes Phänomen der «leaky pipeline» – vergleichbar mit der gläsernen Decke: Je länger es geht, desto mehr Frauen verlassen den Karriereweg. Und so sind sie in den oberen Etagen systematisch unterrepräsentiert, während sie in den unteren Funktionsstufen in der Mehrheit sind.
Die «lecke Pipeline» der Schweizer Universitätsspitäler, 2023: Geschlechterverhältnis nach Funktion
Quelle / Grafik: aus d. zitierten Studie
Während der Frauenanteil bei den Assistenzärzten seit 2014 stabil blieb oder teils auch leicht anstieg (zwischen 51 und 62 Prozent), ändert sich die Situation ab der nächsten Karrierestufe. Der Frauenanteil bei Oberärzten variiert zwischen 38 und 60 Prozent, wobei ein deutlicher Kontrast zwischen der Romandie und der Deutschschweiz besteht: In Genf und Lausanne sind noch mehr als die Hälfte der Stellen mit Frauen besetzt, während in Zürich und Bern die 50-Prozent-Marke erst in den letzten Jahren erreicht wurde.
In der nächsten Stufe – bei den Leitenden – fällt der Frauenanteil dann drastisch, er schwankt je nach Spital noch zwischen 14 und 36 Prozent. In Basel beispielsweise sinkt der Frauenanteil von 47 Prozent auf der Ebene der Assistenzärzte auf nur 17 Prozent bei den Chefärzten.
Mehr Dynamik in der Romandie: Frauenanteil unter den leitenden Ärzten, Entwicklung seit 2014
Quelle / Grafik: aus d. zitierten Studie
Insgesamt – über alle Universitätsspitäler gesehen – erreichen die Frauen nur 19 Prozent bei den obersten Kaderärzten. In den letzten zehn Jahren hat sich dieser Anteil leicht, aber nicht fundamental erhöht.
Im eigentlichen Universitätsbereich – in den medizinischen Fakultäten – wiederholt sich das Bild: Sobald die Berufungsverfahren ins Spiel kommen, dreht der Trend. Bei den Postdoc-Stellen dominieren die Frauen noch, bei den Professuren übernehmen dann mehrheitlich die Männer.
Frauenanteil bei den Professuren der medizinischen Fakultäten.
Wie lassen sich diese Unterschiede heute noch erklären? Laut dem Bericht sind die Faktoren vielfältig und hängen unter anderem mit der Berufskultur und den bestehenden Systemen zusammen: Arbeitszeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Transparenz der Ernennungsverfahren, Habilitation und sogar Einfluss von Mentoring.
«Besonders dramatisch ist der Rückgang des Frauenanteils beim Übergang von der Stufe der Oberärztin zur Leitenden Ärztin», heisst es im Bericht: «Hier liegt für die Universitätsspitäler das grösste Potenzial, um eine ausgewogenere Geschlechterverteilung und damit eine höhere Diversität zu erreichen.»
Veränderungen müssten sowohl strukturell als auch im Mindset von Fakultäts- und Spitalleitungen erfolgen. «Das Netzwerk war sich einig, dass hierfür erhebliche Anstrengungen und ein grundlegender kultureller Wandel in der universitären Medizin erforderlich sind. Weiter wurde mit Bedauern festgestellt, dass es an systematischen Erhebungen zu den Ursachen der Leaky Pipeline in der Medizin mangelt. Insbesondere an kritischen Übergängen, wie der Anstellung von Frauen in (Assistenz-)Professuren oder der Beförderung zur Leitenden Ärztin, ist es notwendig, mehr Hintergrundwissen zu haben, um die entscheidenden Stellschrauben identifizieren zu können.»