Seit über vier Jahren kämpft André Plass für die Aufarbeitung der Missstände in der Herzchirurgie am Universitätsspital Zürich unter der Leitung des damaligen Klinikdirektors Francesco Maisano.
Passiert ist seither wenig. Zu wenig, findet Plass – und hat deshalb Strafanzeige gegen die Verantwortlichen im USZ sowie gegen Unbekannt eingereicht.
«Ich hatte gehofft, dass die Vorfälle endlich vollumfänglich aufgeklärt werden. Dazu gehört auch die Einleitung strafrechtlicher Untersuchungen gegen die Verantwortlichen. Passiert ist aber nichts», sagt Plass gegenüber Medinside.
Und das, obwohl der Spitaldirektion als auch dem Spitalrat des USZ die Fakten vorlägen. Ebenso sei die Staatsanwaltschaft bislang untätig geblieben.
André Plass' Vorwurf: Es sei über mehrere Jahre zu alibihaften «Untersuchungen» gekommen, die vor allem darauf abgezielt hätten, die Vorkommnisse zu banalisieren und die Verantwortung des USZ wie auch der involvierten Personen auszuschliessen.
Missstände hingenommen?
Für den ehemaligen USZ-Herzchirurgen ein unhaltbarer Zustand. In einem 32-seitigen Dokument wirft er den Verantwortlichen Beihilfe zu Straftaten und Vereitelung von deren Aufklärung vor. Sie seien früh auf die Missstände hingewiesen worden, hätten diese aber hingenommen.
Plass hatte seine Vorgesetzten am USZ vor fünf Jahren auf zahlreiche Fälle von fehlerhaften Eingriffen hingewiesen, die er dokumentiert hatte. «Es ging damals um 12 konkrete Fälle, die ich gemeldet hatte. Es erfolgte zwar eine Reaktion unter anderem in Form eines Auftraggutachtens, akute Schutzmassnahmen wurden jedoch keine eingeleitet», erzählt Plass.
Stattdessen erhielt der Chirurg ein temporäres Operationsverbot. Er wandte sich mit sechs weiteren missglückten Eingriffen an seine Vorgesetzten. Die Patienten waren schwer geschädigt worden oder gar verstorben.
Und genau diese sechs Fälle hätten laut Plass in dieser Art und Weise verhindert werden können, wären die von ihm geforderten Schutzmassnahmen umgesetzt worden. Diese wurden allerdings ignoriert; sie hätten wohl der Verharmlosungsstrategie wiedersprochen, glaubt Plass.
Pikant: Eines dieser sechs Opfer sei inzwischen vom USZ finanziell entschädigt worden, die Zahlung sei mit einer Schweigeklausel verbunden.
100 bis 200 Todesfälle
Rückendeckung bekommt André Plass von Thierry Carrel. Der ehemalige Co-Direktor der Klinik für Herzchirurgie am Universitätsspital Zürich sagte im
«SonntagsBlick»: «Es ist Tatsache, dass die Sterblichkeit bei Herzoperationen zwischen 2016 und 2020 die zu erwartenden Werte um ein Mehrfaches übertraf.»
Carrel erachtet die bisherige Aufarbeitung ebenfalls als nicht ausreichend und die Einberufung einer Taskforce als reichlich spät.
Er verweist auf die Daten des Bundesamts für Gesundheit (BAG) aus dieser Zeit. Analysiere man die Qualitätsmerkmale der Schweizer Akutspitäler für die USZ-Herzchirurgie, «handelt es sich vermutlich um 100 bis 200 Patienten, die beim gleichen Eingriff in einem anderen Universitätsspital höchstwahrscheinlich nicht verstorben wären».
André Plass war bis Ende 2020 als leitender Arzt in der Herzchirurgie des USZ tätig. Plass wurde vor allem bekannt, weil er als Whistleblower auf Missstände in der Herzchirurgie des USZ hinwies, insbesondere unter der Leitung des damaligen Klinikdirektors Francesco Maisano. Er kritisierte intern schwerwiegende Probleme wie den Einsatz von mangelhaften Implantaten, die Maisano selbst mitentwickelt hatte. Diese Vorwürfe betrafen den Zeitraum von 2015 bis 2020.
Das sagt das USZ zur Strafanzeige:
Wir haben bislang keine Kenntnis dass eine Strafanzeige eingereicht wurde. Herr Plass hat wie jede Person das Recht, den Rechtsweg zu beschreiten. Das USZ wird auf jeden Fall vollumfänglich mit den Behörden kooperieren.
Zu den bisher umgesetzten Massnahmen zur Aufarbeitung von Vorfällen in der Klinik für Herzchirurgie am USZ kann ich folgende Information liefern:
In den Jahren 2016 bis 2020 kam es in der Klinik für Herzchirurgie am Universitätsspital Zürich zu mehr Todesfällen als gemäss Euroscore zu erwarten waren. Nachdem Ende 2019 erste Hinweise auf Unregelmässigkeiten in der Klinik für Herzchirurgie vorlagen, leitete die Spitalleitung umgehend umfassende und unabhängige Untersuchungen in die Wege, um die erhobenen Vorwürfe abzuklären (
Bericht Walder Wyss).
Umsetzung von Verbesserungsmassnahmen
Die damalige Spitaldirektion setzte 2020 die neue Klinikleitung Herzchirurgie mit Paul Vogt und Thierry Carrel ein, mit dem Ziel, die medizinische Qualität zu verbessern. In diesem Zusammenhang wurden drei Audits durchgeführt, welche die peri- und intraoperativen Prozesse, d.h. die Abläufe vor, während und nach den Herzoperationen, der Klinik für Herzchirurgie untersuchten. Aus den drei Berichten gingen mehrere Vorschläge für Verbesserungsmassnahmen hervor. Der Spitalrat beschloss auf den formalen Antrag der Spitaldirektion hin deren Umsetzung. Die Massnahmen führten zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung. Die seither erhobenen Zahlen zeugen vom grossen Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Klinik für Herzchirurgie.
Vollständige Klarheit schaffen
Vor allem im Zusammenhang mit der Verwendung des so genannten Cardiobands stellten sich auch nach den Untersuchungen noch Fragen. Das USZ will vollständige Klarheit über die damaligen Geschehnisse, um das Vertrauen der Patientinnen und Patienten, der Zuweiserinnen und Zuweiser und der Öffentlichkeit in die Klinik für Herzchirurgie zu bewahren. Die Spitalleitung des USZ beschloss deshalb im Mai 2024 die Einsetzung eines Gremiums aus unabhängigen, externen, medizinischen und juristischen Expertinnen und Experten, um die offen gebliebenen Fragen aufzuarbeiten. Diese Taskforce wird alle Fälle von Patientinnen und Patienten untersuchen, die zwischen 2016 und 2020 in der Klinik für Herzchirurgie starben oder bei deren Behandlung es zu Komplikationen kam, zudem alle Verwendungen des Cardiobands.
Bildung der Taskforce Herzchirurgie läuft
Die personelle Besetzung der Taskforce Herzchirurgie ist im Gange. Um ein unvoreingenommenes Auswahlverfahren sicherzustellen, geben wir derzeit keine weiteren Informationen dazu. Die Taskforce soll in den kommenden Wochen vollständig etabliert sein. Sie wird dann unverzüglich ihre Arbeit aufnehmen.
Die Ergebnisse der Taskforce werden veröffentlicht. Sollten sich aus der Arbeit der Taskforce neue Erkenntnisse ergeben, die juristische Konsequenzen nach sich ziehen können, hat sie die volle Freiheit, entsprechende Schritte einzuleiten. Das USZ wird der Taskforce und den Behörden alle dafür notwendigen Informationen zur Verfügung stellen.