Krebs: Künstlicher Leberfleck als Frühwarnsystem

Biotechnologen der ETH haben ein Frühwarnsystem für die vier häufigsten Krebsarten entwickelt. Bahnt sich ein Tumor an, bildet sich in der Haut ein sichtbarer Leberfleck.

, 19. April 2018 um 09:37
image
  • forschung
  • onkologie
  • eth
Biotechnologen um Martin Fussenegger, Professor für Biosysteme der ETH Zürich in Basel, präsentieren ein Frühwarnsystem für Krebserkrankungen: ein synthetisches Gennetzwerk, das die vier häufigsten Krebsarten Prostata-, Lungen-, Dickdarm- und Brustkrebs in einem sehr frühen Stadium erkennt – nämlich schon dann, wenn die Kalziumwerte im Blut aufgrund des sich anbahnenden Tumors erhöht sind.
Das Frühwarnsystem besteht aus einem genetischen Netzwerk, das die Wissenschaftler in menschliche Körperzellen einbauten, die sie wiederum in ein Implantat verpackten, wie die ETH mitteilt. Das so verkapselte Gennetzwerk wird dann unter die Haut eingepflanzt, wo es permanent den Kalzium-Pegel im Blut überwacht.

Kalziumüberschuss stösst Melaninproduktion an

Sobald der Kalziumpegel einen bestimmten Schwellenwert über eine längere Zeit überschreitet, wird eine Signalkaskade in Gang gesetzt, welche die Produktion des körpereigenen Bräunungsstoffs Melanin in den genetisch veränderten Zellen anstösst. In der Haut formiert sich in der Folge ein brauner Leberfleck, der von blossem Auge sichtbar ist.
Der Leberfleck erscheint lange bevor sich die entsprechende Krebserkrankung mit herkömmlichen Diagnosen feststellen lässt. «Ein Implantatträger sollte dann bei Erscheinen des Leberflecks zur weiteren Abklärung zu einem Arzt gehen», erklärt Fussenegger im Beitrag. Der Fleck sei kein Grund zur Panik: «Der Leberfleck bedeutet ja nicht, dass die Person bald sterben muss», so der ETH-Professor weiter. Der Fleck bedeute lediglich, dass Abklärungen und allenfalls eine Behandlung nötig seien.
Als Indikator für die Entwicklung der vier Krebsarten verwendeten die Forscher Kalzium. Dieses wird im Körper stark reguliert. Knochen etwa dienen als Puffer, der Konzentrationsunterschiede ausgleichen kann. Sobald aber zu viel Kalzium im Blut vorhanden ist, könnte dies als Vorbote von einer der vier Krebserkrankungen gelten.
Tastanova A., Folcher M., Müller M., Camenisch G., Ponti A., Horn T., Tikhomirova MS, Fussenegger M. «Synthetic biology-based cellular biomedical tattoo for detection of hypercalcemia associated with cancer», in: «Science Translational Medicine», 18 April 2018. 

Früherkennung erhöht Chancen

«Früherkennung erhöht die Überlebenschancen deutlich», wird Fussenegger zitiert. Wird beispielsweise Brustkrebs frühzeitig erkannt, beträgt die Heilungschance 98 Prozent; wird der Tumor jedoch erst zu spät diagnostiziert, hat nur jede vierte Frau gute Aussichten auf Heilung. «Heute gehen ja die meisten Leute erst dann zum Doktor, wenn ihnen ein Tumor Probleme bereitet. Dann ist es aber leider oft zu spät.»
Das Implantat hat zudem einen weiteren Vorteil: «Es dient vor allem der Selbstkontrolle und wäre dadurch kostengünstig», so der ETH-Professor im Beitrag weiter. Wolle man sich jedoch nicht dem ständigen Stress aussetzen, könne auch ein Implantat verwendet werden, dessen Fleck sich nur mit rotem Licht erkennen lasse. «Den regelmässigen Check könnte in dem Fall auch gleich der Arzt machen.»
Der Nachteil ist, dass die Lebensdauer eines solchen Implantats bis jetzt beschränkt ist, wie Fussenegger der Literatur entnommen hat. «Verkapselte Lebendzellen halten gemäss anderen Studien rund ein Jahr. Danach muss es inaktiviert und ersetzt werden.»

Vielseitig verwendbares Frühwarnsystem

Bis jetzt ist das Frühwarnimplantat ein Prototyp; die eben in der Fachzeitschrift «Science Translational Medicine» veröffentlichte Arbeit darüber eine Machbarkeitsstudie. Die Forscher haben ihr Frühwarnsystem erst im Mausmodell und an Schweineschwarten getestet. Dort hat es zuverlässig funktioniert. Leberflecken entstanden nur, wenn die Kalziumkonzentration einen Hochstand aufwies.
Von Tests an Menschen sind die Basler Wissenschaftler weit entfernt. «Die Weiterentwicklung und vor allem klinische Versuche sind aufwändig und teuer, was wir als Forschungsgruppe nicht leisten können», sagt der ETH-Professor. Er will aber künftig die Translation seiner Entwicklungen fördern, damit diese eines Tages in anwendbare Produkte münden. Um ein solches Krebsdiagnose-Implantat zur Marktreife zu bringen, rechnet er mit mindestens zehn Jahren Forschungs- und Entwicklungszeit.
Das Konzept des «biomedizinischen Tattoos» wie Fussenegger diese neue Erfindung bezeichnet, wäre auch auf andere sich schleichend entwickelnde Krankheiten wie neurodegenerative Erkrankungen oder Hormonstörungen übertragbar. Im Prinzip können die Forscher den molekularen Sensor austauschen, um andere Biomarker als Kalzium zu messen.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Studie: Tageszeit könnte Krebstherapie beeinflussen

Am frühen Morgen seien Krebsmedikamente besonders wirksam, am frühen Nachmittag weniger. Spitäler richten sich bislang nicht danach.

image

Je weniger Pflege-Fachleute, desto längere Spitalaufenthalte

Mit Team-Nursing können Spitäler viel Geld sparen. Doch eine US-Studie zeigt, dass die Patienten unter diesem Modell leiden.

image

SAMW: Diese KSBL-Ärztin ist ein Vorbild

Magdalena Filipowicz Sinnreich gewinnt den diesjährigen Stern-Gattiker-Preis.

image

Ostschweizer Kispi und HSG: Gemeinsames Diabetes-Forschungsprojekt

Untersucht wird, wie sich Blutzuckerschwankungen auf die Nervengesundheit bei Kindern mit Diabetes Typ 1 auswirken - und welche Rolle Lebensstilfaktoren spielen.

image

Das «Time Magazine» ehrt noch einen Schweizer

Fidel Strub verlor seine rechte Gesichtshälfte an die Tropenkrankheit Noma. Seit Jahren kämpft er für deren Erforschung.

image

Insel-Chirurg mit dem Håkan Ahlman Award ausgezeichnet

Cédric Nesti wurde von der Europäischen Gesellschaft für Neuroendokrine Tumoren für eine Publikation über die Gefährlichkeit von Lymphknotenmetastasen.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.