Stressniveau bei angehenden Chirurgen «bedenklich hoch»

Angehende Chirurginnen leiden mehr unter Stress und fühlen sich hilfloser als ihre männlichen Kollegen. Das zeigt eine schweizweite Studie, an der Chirurgen des Kantonsspitals Winterthur (KSW) beteiligt waren.

, 24. März 2022 um 10:14
image
Eine nationale Studie bestätigt: Das Stresslevel bei angehenden Chirurginnen und Chirurgen ist hoch. Bereits vor der Pandemie war die Stressbelastung – verglichen mit der Schweizer Bevölkerung – «signifikant» höher.

Frauen sind gestresster und hilfloser als ihre Kollegen

Angehende Chirurginnen berichten von grösserem Stress und beschreiben häufiger Gefühle von Hilflosigkeit als ihre männlichen Kollegen. Zudem leiden viele ausländische Kollegen, welche bis zu 40 Prozent der Arbeitskräfte hierzulande ausmachen, unter Stress.
An der Studie massgebend beteiligt waren eine Chirurgin sowie zwei Chirurgen der Klinik für Viszeral- und Thoraxchirurgie des Kantonsspitals Winterthur (KSW): Laura Guglielmetti, Michael Adamina und Christian Gingert.

43,5 Prozent der Studienteilnehmer waren Frauen

An der Studie, welche im World Journal of Surgery erschienen ist, nahmen beinahe alle jungen angehenden Chirurginnen und Chirurgen in der Schweiz teil. In der repräsentativen Befragung wurde über fünf Jahre das Stressniveau während der Weiterbildung ausgewertet. Die Auswertung von 1694 Fragebogen schloss 43,5 Prozent Chirurginnen ein. Das mediane Alter der Befragten war 29 Jahre, und 72,7 Prozent befanden sich in den ersten zwei Jahren der Ausbildung. Rund 60 Prozent der angehenden Chirurginnen und Chirurgen der Schweiz haben einen ausländischen medizinischen Abschluss.

«Bedenklich hohe Stressniveaus»

Insgesamt zeigten sich «bedenklich hohe Stressniveaus und Hilflosigkeit sowie tiefe Selbstwirksamkeit * unter angehenden Chirurginnen und Chirurgen», schreibt Studienautor Michael Adamina in der Medienmitteilung des KSW.
Die erhöhte Stressanfälligkeit von Frauen in der Schweizer Chirurgie – insbesondere bei der Doppelbelastung als Elternteil und Medizinerin – wurde vor 20 Jahren erstmals dokumentiert. 

Hohe Arbeitsbelastung führt zu mehr Fehlgeburten

Gemäss einer US-Studie haben Chirurginnen aufgrund der hohen Arbeitsbelastung auch ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen. So waren Chirurginnen doppelt so häufig von Fehlgeburten betroffen als der US-Durchschnitt. Mehr als die Hälfte der befragten Chirurginnen arbeitete während der Schwangerschaft mehr als 60 Stunden die Woche (Medinside berichtete).

«Zahlen sind besorgniserregend»  

Die Autoren der Schweizer Studie stufen die Ergebnisse als «besorgniserregend» ein. Denn hohe Stresslevel seien mit Burnout, Fehleranfälligkeit und Ausstieg aus der ärztlichen Tätigkeit verbunden. Die Studienautoren kommen zum Schluss: «Diese Entwicklung befeuert hierzulande und auch in Europa den befürchteten Mangel an Chirurginnen und Chirurgen und gefährdet somit mittelfristig die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung.»

Was muss nun unternommen werden? 

Die Studienautoren sind der Meinung, eine detaillierte geschlechtsspezifische Analyse sei nun «dringend erforderlich»; Kollegen aus dem Ausland sollten besser integriert werden. Es brauche eine besser strukturierte Ausbildung (Fokus auf Patientenbedürfnisse anstatt administrative Einschränkungen) sowie eine familienfreundliche Arbeitsorganisation.
* Unter Selbstwirksamkeit versteht man in der Psychologie die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Studie: Immuntherapie steigert Überlebenschancen bei Lungenkrebs

Eine Studie des Kantonsspitals Baden und des Unispitals Basel zeigt: Wenn Patienten mit Lungenkrebs schon vor der Operation eine Immuntherapie erhalten, überleben deutlich mehr von ihnen die ersten fünf Jahre.

image

«Vor den Kopf gestossen»: Viszeralchirurgen kritisieren Kongressausschluss

Die Gesellschaft für Gastroenterologie beendet eine jahrzehntelange Zusammenarbeit abrupt. Viszeralchirurg Urs Zingg sieht darin einen «Schritt zurück ins eigene Schneckenhaus.»

image

HUG: Neue Co-Leitung für Adipositas und bariatrische Chirurgie

Laurence Genton Graf und Minoa Jung übernehmen die Leitung des entsprechenden Zentrums am Universitätsspital Genf.

image

Viszeralchirurgen legen Rezepte gegen die Bürokratie vor

Ärzte und Ärztinnen zeigen, welche Regeln und Gesetze ihnen den Alltag unnötig erschweren. Am liebsten würden sie diese tilgen.

image

«Manche haben unrealistische Erwartungen an die Schweiz»

Die Schweiz erscheint für viele ausländische Ärzte als Traumland. Was es braucht, damit der Jobwechsel gelingt, erklären die Ärztevermittler Francesca und Jan Saner.

image

Spezalisierte Reha: Bedarf soll deutlich steigen

Die Studie prognostiziert, dass die Nachfrage in den nächsten 25 Jahren um gut 40 Prozent wachsen wird – zumal in der geriatrischen, muskuloskelettalen und internistisch-onkologischen Rehabilitation.

Vom gleichen Autor

image

«Ich brauchte nach der Pause mindestens drei Jahre»

Daniela Fürer arbeitete rund eineinhalb Jahre als Intensivpflegefachfrau, dann wurde sie Mutter und machte eine lange Pause – bis zum Wiedereinstieg.

image

Quereinstieg Pflege: Hunger auf beruflichen Neubeginn

Der Rucksack von Annette Gallmann und Peter Kienzle ist gefüllt mit allerhand Arbeits- und Lebenserfahrung. Die 47-jährige Gastronomin und der 52-jährige Art Director machen die Ausbildung HF Pflege.

image

Hat das Stethoskop auf Arztfotos seine Berechtigung?

Ärztinnen und Ärzte werden fast immer mit einem Stethoskop um den Hals abgelichtet. Braucht’s das? Und: Ist das medizinische Diagnoseinstrument überhaupt noch zeitgemäss?