Die Suche nach qualifiziertem Pflegepersonal ist kein Zuckerschlecken: Wie der Verein
«Ja zur Pflegeinitiative» schreibt, sind derzeit um die 11'000 Stellen in der Pflege unbesetzt – bis 2029 braucht es weitere 70'000 neue Pflegende: Der
Nachwuchsbedarf ist trotz Förderung erheblich. Und: Vier von zehn Pflegenden verlassen ihren Beruf frühzeitig. Das ist jedoch nicht erst seit der Corona-Krise so: Tatsache ist, dass in der Schweiz bereits vor der Pandemie
fast die Hälfte der ausgebildeten Pflegefachpersonen aus dem Beruf ausgestiegen sind – viele bereits vor ihrem 35. Geburtstag.
Um vakante Stellen zu besetzen, suchen Spitäler vermehrt Aushilfen über spezialisierte Vermittlungsfirmen. Das koste, wie Recherchen der
«NZZ am Sonntag» ergaben, viel Geld. So sollen temporär Angestellte 30 bis zu 50 Prozent mehr verdienen als Festangestellte. Ein Umstand, der unter Spitalangestellten Missstimmungen provoziert habe.
«Klar ist, dass der Personalvermittler nicht die Lösung für den chronischen Personalmangel im Gesundheitswesen ist. Allerdings ist er aber auch nicht die Ursache der hohen Personalkosten», sagt Conny Bacher, Leiterin Marketing und Kommunikation sowie Mitglied der Geschäftsleitung bei
Careanesth AG in Zürich, auf Anfrage gegenüber Medinside.
Einen Personalmangel verspüre man vor allem in der Intensiv- und Notfallpflege sowie in der Anästhesiepflege, allerdings weniger stark. Die Anfragen der Spitäler und Gesundheitsinstitutionen sei wesentlich höher «als wir Personal in den Fachbereichen zur Verfügung haben», so Bacher. Seit Anfang Jahr seien im Schnitt 5000 Mitarbeitende im Einsatz über alle Berufe im Gesundheitswesen (ohne Hilfsfunktionen wie Studenten) und über alle Einsatzgebiete. Vier Prozent davon seien Pflegefachpersonen mit Fachweiterbildung zur Intensivpflegefachperson.
ZHAW hat Lohn-Unterschiede untersucht
Dass Personalausfälle in der Pflege zunehmend mit temporären Aushilfen kompensiert werden, ist kein neues Phänomen. Um der Frage betreffend die «vermeintlich höheren Kosten temporärer Pflegekräfte» nachzugehen, hat das Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie (ZHAW) im Auftrag des Personaldienstleisters 2018 untersucht, wie gross der Kostenunterschied zwischen Eigenpersonal und den Temporärkräften von Careanesth aus Vollkostensicht tatsächlich ist.
Das Fazit der Studie:
Die Kosten für eine festangestellte Vollzeitkraft betragen für 192 produktive Arbeitstage im Schnitt 108'000 Franken. Im Vergleich dazu fallen bei temporär Angestellten für dieselbe Zeitspanne Kosten von rund 121'000 Franken an (siehe Grafik links). Damit sind Festangestellte im Schnitt elf Prozent günstiger als Temporärkräfte.
Die ZHAW hält fest: «Obwohl die Kosten für Temporärpersonal erwartungsgemäss höher als jene für Festangestellte sind, fällt der Kostenunterschied aus Vollkostensicht nicht mehr so stark ins Gewicht, wie es die direkten Kosten auf den ersten Blick erwarten lassen.»
Der Grund dafür liege darin, dass in den gängigen Vergleichen die effektive Arbeitszeit und damit die unproduktiven Zeiten der festangestellten Pflegenden nicht berücksichtigt würden. «Das lässt die festangestellten Pflegenden etwa 34 Prozent günstiger erscheinen.»
Doch sind diese Lohn-Vergleiche, eruiert im Jahr 2018, heute noch realistisch? Bei 11'000 offenen Stellen stellt sich die Frage, wer sich an dem Fachkräftemangel eine goldene Nase verdient. Die Spitäler und die Fachkräfte sind es wohl kaum. (Den Link zum Kostenvergleich ZHAW finden Sie am Ende des Textes.)
Coronakrise eher «ein Minus-Geschäft.»
«Bei dieser Frage dürfen Äpfel nicht mit Birnen verglichen werden. Es ist gut möglich, dass sich aktuell gutes Geld mit der Festvermittlung verdienen lässt. Für eine Festvermittlung zahlen Kunden eine Provision von rund acht- bis zwölftausend Franken», gibt Bacher zu denken.
Dieses Geschäftsmodell sei unrentabel. «Wir haben seit Anfang der Coronakrise drei Festvermittlungen gemacht. Wie in den Institutionen haben auch bei uns die Bewerber gefehlt.»
«Die Corona-Krise war für den klassischen Personalverleih ein Nullsummenspiel gewesen – eigentlich eher ein Minus-Geschäft.»
Der Unterschied zur Festvermittlung ist der temporäre Personalverleih, wie es zum Beispiel bei Careanesth, spezialisiert auf die Vermittlung von Pflegefachpersonal, der Fall ist: «Wir verlangen auf dem Bruttostundenlohn einen Faktor von 1,3 bis 1,4 – das sind sehr geringe Margen, weil bereits die Sozialleistungen mit einem Faktor von zirka 1,2 zu veranschlagen sind. Rechnet man noch weitere Faktoren wie Ausfallrisiko mit rein, verbleiben uns unter dem Strich keine dreiprozentige Gewinnmarge.»
Von einer goldenen Nase will die ehemalige Anästhesiepflegefachfrau jedoch nichts wissen. «Wir haben seit drei Jahren weder die Löhne für die Mitarbeitenden noch die Preise für die Kunden erhöht.» Die Corona-Krise sei für den klassischen Personalverleih ein Nullsummenspiel gewesen, «eigentlich eher ein Minus-Geschäft.»
«Die Entscheidung ist nicht Vermittler oder Spital, sondern das Arbeitsmodel.»
Der Grund: «Es gab nicht mehr Pflegefachpersonen; die verfügbaren Temporärkräfte wurden in Covid-19 spezifische Abteilungen vermittelt. Dafür hatten andere Stationen weniger Bedarf», erklärt Bacher. Zudem habe man für einen Teil der Pflegefachpersonen Kurzarbeit anmelden müssen. «Durch die fehlenden Operationen blieb ein Grossteil der Pflegefachpersonen auf den Abteilungen und im OP-Bereich ohne Einsätze.»
Einen Aufschwung im temporären Geschäft brachten die Covid-Stationen, Impfzentren und Testzentren, die teils von den Kantonen in Auftrag gegeben wurden. «Wir konnten schnell, unbürokratisch und in ausreichender Zahl Personalressourcen bereitstanden.» Aufgrund dieser Verschiebung schreibe man heute keinen Verlust.
Ein grosser Vorteil bei der Rekrutierung sei gewesen, dass viele Fachpersonen «reaktiviert» werden konnten; diejenigen, die aus dem Gesundheitswesen ausgetreten waren und nach der Pandemie wieder im Gesundheitswesen bleiben wollen. «Das ist eine gute Entwicklung angesichts des Personalmangels.»
Die Vorteile für das Personal?
Trotzdem stellt sich die Frage, weshalb es für das Pflegepersonal attraktiver ist, sich bei einem Vermittler und nicht direkt bei einem Spital anstellen zu lassen?
«Die Entscheidung ist nicht Vermittler oder Spital, sondern das Arbeitsmodel.» Eine Pflegeperson, die sich für einen Vermittler entscheide, habe andere Möglichkeiten, die sie bei einer Festanstellung nicht habe. Eine Festanstellung wiederum biete Sicherheit.
«Vor Covid hatten wir viele Mitarbeitende, die einige Monate arbeiteten und dann auf Reisen gingen. Und während die einen Mitarbeitenden die Abwechslung schätzen, weil sie nicht tagein tagaus im selben Team am selben Ort arbeiten möchten, wollen andere keine starren Dienstplanstrukturen.» Zur letzten Gruppe würden unter anderem Mütter gehören.
Was sagen der Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) und die Spitäler dazu? Ein Update folgt.