«Wir sind keine psychiatrische Wellness-Klinik»

Wir beherbergen keine gutbetuchten Gesundheitstouristen, sondern Schwerkranke sagt Marc Risch, Besitzer einer psychiatrischen Klinik.

, 11. November 2020 um 06:48
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Marc Risch ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Ihm gehört das Clinicum Alpinum im Liechtensteinischen Gaflei. | zvg
Hoch über Vaduz, auf 1500 Metern über Meer, steht der Holzbau des Clinicums Alpinums. Auf den ersten Blick glaubt man, ein edles Wellness-Hotel auf dem Liechtensteiner Sonnenplateau von Gaflei entdeckt zu haben.
Doch es ist eine psychiatrische Klinik. Deren Besitzer, der Psychiater Marc Risch, erklärt im Interview, warum seine Klinik zwar wie ein alpines Luxushotel aussieht, aber keines ist. Und warum die Klinik seit März deutlich mehr Patienten mit Depressionen und anderen Affektkrankheiten behandelt.
Herr Risch, als Medinside kürzlich in Zusammenhang mit einem Artikel über Gesundheitstourismus ein Bild des Clinicum Alpinum zeigt, haben Sie sich gewehrt und betont, dass Ihre Klinik keine psychiatrische Wellness-Klinik sei. Warum ist Ihnen der Unterschied so wichtig?
Weil wir eine psychiatrische Fachklinik sind, wo die Patientinnen und Patienten während sechs bis zehn Wochen ein intensives Therapieprogramm mit 18 bis 22 Therapieeinheiten pro Woche absolvieren. Wir konzentrieren uns auf affektiven Störungen sowie auf neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen. Wir bieten eine an anerkannten Standards orientierte Behandlung durch hochqualifizierte Ärzte, Psychologen und Fach-Therapeuten.
Das Klinikgebäude mit der luxuriösen Einrichtung, den Suiten und der Wellness-Anlage sieht aber nicht unbedingt wie eine psychiatrische Klinik aus.
Das stimmt. Wir haben uns bewusst für einen Neubau entschieden, um konsequent alle Erkenntnisse aus den Bereichen «Heilende Architektur» und «Heilende Natur» zu vereinen. Zudem bietet der Neubau auch Schutz für Menschen, die sich wegen schwerer Depressionen selbstschädigend verhalten.
Sie sagen, dass auch «Burnout-Klinik» nicht die richtige Bezeichnung für das Clinicum Alpinum sei. Warum nicht?
Wir legen Wert darauf, nicht von Burnout, sondern von Erschöpfungsdepressionen zu sprechen. Zwar wird in der Öffentlichkeit der Begriff Burnout oft als weniger stigmatisierend empfunden, weil man davon ausgeht, dass fleissige und starke Leistungserbringer in der Arbeitswelt auch einmal «ausbrennen» dürfen. Doch diese Ansicht ist mechanistisch und monokausal und trägt den Ursachen der Depression zu wenig Rechnung.
Die zunehmende Vermischung der Begriffe Burnout und Depression führt ausserdem zu einer Begriffsverwirrung und Verharmlosung. Gelegentliche Überforderungen, strenge Arbeitsperioden oder Trauer sind leider Teil unseres Lebens. Depression dagegen ist eine schwere, oft auch lebensbedrohliche Erkrankung. Wenn eine Depression richtig diagnostiziert wird und man sich rasch in eine spezialisierte Behandlung begibt, bestehen allerdings auch sehr gute Aussichten auf eine nachhaltige Genesung.
Jene Kliniken, die Gesundheitstouristen betreuen, sind wegen der vielen Reisebeschränkungen kaum belegt. Wie sieht die Belegung Ihrer Klinik derzeit aus?
Derzeit sind bei uns wegen der Corona-Schutzkonzepte, nur zwei Drittel der Betten belegt. Ohne die Coronapandemie würden wir derzeit bei einer Auslastung von über 80 Prozent liegen. Wir sind froh, dass wir den Betrieb im Unterschied zu einigen Psychiatrischen Kliniken in der Schweiz und in Österreich aufrechterhalten konnten. Die liechtensteinische Landesregierung hat uns ausserdem zur Sicherung der Behandlungskapazitäten einen Zusatzauftrag für die Kurzzeit- und Übergangspflege erteilt.
Wie lange bleiben die Patientinnen und Patienten im Clinicum Alpinum?
Eine schwere Depression ist nicht nach zwei Wochen überstanden. In der Regel bleiben unsere Patientinnen und Patienten zwischen sechs und zwölf Wochen bei uns, bevor sie dann ambulant von ihrem Psychiater oder Psychologen weiterbehandelt werden. Das Organisieren einer optimalen und nahen ambulanten Nachsorge ist allerdings schwierig, weil auch die ambulant-psychiatrischen Versorger schon lange überlastet sind.
Obwohl Sie keinen Gesundheitstourismus anbieten, kommen trotzdem viele Ihrer Patienten aus dem Ausland.
Ja. Da wir im Vier-Ländereck Liechtenstein, Schweiz, Österreich und Deutschland liegen, haben wir auch Patientinnen und Patienten aus den entsprechenden Ländern. Wir verstehen uns als deutschsprachige Klinik, nehmen aufgrund unserer Lage aber auch Italienisch sprechende Betroffene auf. Derzeit haben wir einen hohen Anteil – etwa 70 Prozent – an Patientinnen und Patienten aus der Region. Etwa 15 Prozent der Patienten stammen aus der restlichen Deutschschweiz, weitere 15 Prozent aus Deutschland und 5 Prozent aus Österreich.
Allgemein- und halbprivatversicherte Patienten aus der Schweiz müssen im Clinicum aber einen hohen Anteil selber zahlen.
Es ist leider so, dass dieser Anteil sehr von den einzelnen Kassen abhängt. Allgemeinversicherte Patientinnen und Patienten bezahlen den gleichen Tarif wie in den Grundversorgerkliniken der Schweiz – mit einem Unterschied: Alle unsere Patientinnen und Patienten erhalten unabhängig vom Versicherungsstatus während ihres Aufenthaltes ein grosses Einzelzimmer.
Gibt es bereits Fortschritte bei den Verhandlungen mit den Krankenversicherern?
Wir sind in ständigem Kontakt mit Verbänden und Behörden und zuversichtlich, dass wir, wenn wir weiterhin erfolgreich Patientinnen und Patienten auf dem Weg aus der Depression bestmöglich begleiten, wir mehr Gehör finden.
Ist das Clinicum Alpinum bei der Aufenthaltsdauer konkurrenzfähig zu Schweizer Einrichtungen?
Wir haben das Rad ja nicht neu erfunden, sondern setzen nur stärker auf eine Spezialisierung in unserem Fachbereich als das die Grundversorger tun. In der Körpermedizin ist diese bereits nicht mehr wegzudenken. So käme niemand auf die Idee, seine Knieprobleme von einem Allgemeinmediziner operieren zu lassen, sondern es wird ein spezialisierter Orthopäde aufgesucht. Genau diesen Schritt wollen wir in der Psychiatrie auch gehen. In der Behandlung und damit auch in der Behandlungsdauer richten wir uns wie Schweizer Einrichtungen auch an den gängigen Guidelines aus. Wir sind zudem in die entsprechenden Qualitäts-Benchmarks der Schweizer Kliniken involviert, machen ANQ-Messungen und sehen dabei, dass wir sowohl bezogen auf die Behandlungsdauer als auch bezogen auf die behandelten Diagnosen und Komorbiditäten der Depression auf einer Linie mit anderen Fachkliniken der Schweiz liegen.
Das Clinicum Alpinum behandelt schwere Erschöpfungsdepressionen. Haben Sie Hinweise darauf, dass die Corona-Epidemie solche Zustände fördert?
In der Coronakrise wurden - und werden immer noch - zentrale Belastungsfaktoren offenbar. Eine weitgehend unbekannte, nicht greif- oder sichtbare Bedrohung löst immer Verunsicherung und Angst aus. Durch die notwendigen Schutzmassnahmen sind insbesondere die sogenannten Risikogruppen, also Menschen mit schweren Vorerkrankungen, ältere und einsame Menschen, sehr stark in Bedrängnis geraten. Aber auch jüngere Menschen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren sind besonderen Belastungen durch die Anpassungen im sozialen Zusammenleben ausgesetzt.
Warum?
Vereinsamung, also die soziale Ausgeschlossenheit, ist im Rahmen der Coronapandemie sicherlich als Treiber für depressives Kranksein zu sehen. Das ist nichts Neues. Wir wissen aus grossen Kohortenstudien, die vor der Coronapandemie gemacht worden sind, dass es zwei Hauptreiber für Depressionen gibt: Stadtleben und Vereinsamung. So ist es kein Wunder, dass wir in unserer Klinik seit März deutliche Anstiege der Affektkrankheiten in den Dimensionen Depression, Angst, Panik und Zwang sowie Verlusttrauma haben.
Viele Psychotherapeuten loben derzeit Online-Therapien. Können diese den schweren Erschöpfungsdepressionen vorbeugen?
Wichtig ist vor allem die Verlässlichkeit der Kontaktaufnahme. Wir sind heute in der Lage, «fernmündlich» mit einsamen Menschen in Kontakt zu sein und damit vorübergehend zur emotionalen Stabilisierung beizutragen. Für Menschen mit Ängsten oder Angststörungen ist es wichtig, dass sie in Kontakt mit anderen Menschen bleiben. Ich bin jedoch überzeugt, dass unter normalen Bedingungen, also ohne Corona-Pandemie, eine persönliche Therapie zielführender ist, als der reine fernmündliche Kontakt zum Betroffenen.
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