Kürzere Arbeitszeiten sind die nachhaltige Lösung

Wenn die Spitäler die Arbeitszeiten der Ärztinnen und Ärzte kürzen müssten, dann würden sie den Fokus sinnvoller setzen. Zum Beispiel auf bessere Prozesse.

Gastbeitrag von Patrick Hässig und Fabian Kraxner, 1. März 2024 um 23:00
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Gemeinsam zu mehr Standort-Attraktivität: Fabian Kraxner, Patrick Hässig  |  Bilder: zvg
Laut dem Bundesamt für Statistik arbeiten Vollzeitarbeit-Angestellte im Schnitt 41,7 Stunden pro Woche. Weshalb wird dann in vielen Weiterbildungsstätten erwartet, dass Assistenzärztinnen und Assistenzärzte bei hoher Belastung und Verantwortung wöchentlich 8 Stunden mehr arbeiten sollen? Dies stösst seit einiger Zeit auf Unverständnis bei vielen Nachwuchsärztinnen und -ärzten – genauso wie die ausufernde Bürokratie oder die regelmässigen Überstunden und Überzeiten. Und dies zu Recht.
  • Patrick Hässig ist diplomierter Pflegefachmann HF; er arbeitet auf einem Spital-Kindernotfall und ist Nationalrat. Fabian Kraxner ist Oberarzt, Vorstandsmitglied des VSAO Zürich und Gemeinderat von Hedingen. Beide politisieren für die GLP.
Mitte Februar kritisierte Ronald Alder vom Verband der Zürcher Krankenhäuser (VZK) auf Medinside den «Arbeitszeitröhrenblick» bei den Gewerkschaften. Es ist schade, dass mit dieser Ablehnung gegenüber einer Soll-Arbeitszeitreduktion und mit solch einem «Tarifröhrenblick» beim VZK kein innovativer Wind in die Zürcher Krankenhäuser kommen kann, obwohl jede Assistenzärztin und jeder Assistenzarzt der Meinung ist, dass sich durch Prozessoptimierungsmassnahmen täglich eine halbe bis eine ganze Stunde ihrer Arbeitszeit einsparen liesse.
Aber für Prozessoptimierung bei den befristet angestellten Ärztinnen und Ärzten scheint sich schlicht niemand zu interessieren.
Dabei gäbe es mehrere funktionierende Beispiele von visionären Spitälern:
  • Das Institut für Intensivmedizin des Universitätsspitals Zürich (USZ) war es, welches das Konzept der 42+4-Stunden-Arbeitswoche (42 Stunden Dienstleistung am Patienten plus 4 Stunden strukturierte Weiterbildung) erfolgreich für die Assistenzärzteschaft als Pilotprojekt umgesetzt hat. «Gelungen ist dies, weil die administrativen Tätigkeiten reduziert und die Abläufe optimiert wurden. Die Erfahrungen sind positiv, sowohl aus Sicht des Instituts wie auch der Ärzteschaft», schrieb Medinside dazu im Februar 2024.
  • Ebenfalls im Februar 2024 berichtete «20 Minuten» vom «echten Mehrwert» und den positiven Auswirkungen einer Arbeitszeitreduktion beim Pflegepersonal im GZO Spital Wetzikon. Gemäss der Studienleitung gab es weniger Personalfluktuation, weniger Kündigungen sowie weniger Krankheitstage. Hierdurch kam es seltener zu kostspieligen Temporäreinsätzen und zu stabileren Teams.
  • Die Integrierte Psychiatrie Winterthur – Zürich Unterland (ipw) führte zu Jahresbeginn ebenfalls die 42+4-Stunden-Woche ein.
Diese und weitere unerwähnte Beispielen liefern den konkreten Beweis, dass kürzere Arbeitszeiten für Assistenzärztinnen und Assistenzärzte eine praktikable Lösung sind. Neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen erhalten die Gesundheits-Institutionen damit einen Anreiz, ihre internen Abläufe effizienter zu gestalten und selbstverursachte Bürokratien zu minimieren. Freiwillig geschieht dies anscheinend kaum. Sonst hätte man in den letzten Jahren in den Spitälern vorwärts gemacht.
Laut dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium Obsan steigen fast ein Drittel der Ärztinnen und Ärzte (31,1 Prozent) wieder aus dem Beruf mit direktem Patientenkontakt aus.
Auch ein beträchtlicher Teil der Medizinstudenten zweifelt, ob sie je im Beruf tätig sein werden. Dies zeigte eine Umfrage, die der Verband Swimsa unter 2300 Medizinstudierenden gemacht hat. Dabei bekundeten ein Drittel der angehenden Ärztinnen und Ärzte, dass sie sich nach den ersten Praxiserfahrungen einen Berufswechsel ernsthaft überlegen. Grund dafür sind die erlebten Arbeitsbedingungen.
«Oder möchten Sie von einem übermüdeten Arzt behandelt werden?»
Arbeitswissenschaftlich sind die negativen gesundheitlichen Folgen von langen Arbeitszeiten klar belegt. Je länger man pro Woche arbeitet, umso mehr steigt das Risiko für Erkrankungen. Das beginnt mit häufigeren Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Verdauungsbeschwerden, Müdigkeit, Erschöpfung, Schlafstörungen und verstärktem Stresserleben; dann steigt das Risiko für schwerwiegende Erkrankungen wie Burnout, Depression, übermässigen Alkoholkonsum, kardiovaskuläre Erkrankungen und Schlaganfälle, Typ-2-Diabetes, Übergewicht, Adipositas.
Die erhöhte Müdigkeit führt zudem zum Konzentrationsverlust, was wiederum die Fehleranfälligkeit erhöht und die Patientensicherheit reduziert. Oder möchten Sie von einem übermüdeten oder kranken Arzt oder Ärztin behandelt werden?

Wir können jetzt handeln

Wir sind überzeugt, dass diese Sollarbeitszeitreduktion für Assistenzärzte um 4 Stunden pro Woche – also von bisher 50 Stunden auf neu 42+4- Stunden – der nachhaltige Weg ist. Die Klinik für Intensivmedizin am USZ hat die Umsetzung im Pilot gezeigt. Die Stadt Zürich wird dies in ihren städtischen Institutionen dank der 2023 überwiesenen Gemeinderatsmotion «Festsetzung eines Vollzeitpensums für die Assistenzärzteschaft in allen städtischen Gesundheitsorganisationen bei 42 Stunden pro Woche und gleichem Lohn» ebenfalls einführen.
Gemeinsam können damit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände miteinander die Job- und Standortattraktivität im Gesundheitswesen voranbringen.
Unser Fazit? Wir sowie die Politik können jetzt handeln. So debattiert der Zürcher Kantonsrat bald eine parlamentarische Initiative über die 42+4h-Woche für Assistenzärztinnen und -ärzte in allen kantonalen Gesundheitsinstitutionen. Einige Spitäler äussern nämlich, dass sie die Forderung der «42 + 4»–Woche nachvollziehen können, aber diese erst umsetzen würden, wenn gleich lange Spiesse für alle Spitäler gelten. Denn um die Gesundheitsversorgung der alternden Bevölkerung sicherzustellen sowie die Patientensicherheit und den Fachkräfteerhalt zu fördern, ist die effektive Verkürzung der ärztlichen Arbeitszeiten die nachhaltige Lösung.
Übrigens, die 46 Stunden-Woche liegt immer noch klar über dem Sollarbeitszeit-Durchschnitt in der Schweiz.

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