Oberärztin gegen Inselspital: Ein «bahnbrechendes Urteil»?

In einem überraschenden Entscheid verlangt ein Berner Gericht die Wiedereinsetzung einer Kaderärztin. Der Arbeitsstreit wird damit endgültig zum Musterfall.

, 10. November 2017 um 09:09
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Klägerin mit Ausstrahlung: Natalie Urwyler, interviewt von «20 Minuten»  |  Screenshot 
Hier ging es nicht nur um einen Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin, zwischen dem Inselspital und der Oberärztin Natalie Urwyler. Sondern es ging um das Gleichbehandlungsgebot.
So jedenfalls verstand das Regionalgericht Bern-Mittelland die Problematik, mit der es in dieser Woche zu tun hatte. Denn es entschied: Die ehemalige Insel-Anästhesistin Natalie Urwyler, im Juni 2014 entlassen, sei wieder einzustellen. Auch sei ihr eine Parteientschädigung von 111'000 Franken zu bezahlen.

«Ein echter Durchbruch»

Die Begründung ist nicht bekannt, und die Insel-Gruppe will bis zum Vorliegen eines schriftlichen Urteils auch nicht Stellung nehmen.
Aber das überraschende Urteil besagt doch, dass die Richter der Argumentation der Klägerin Natalie Urwyler folgten: Sie interpretierten den Fall offenbar nicht als Entlassung einer schwierigen Mitarbeiterin, die nicht mehr tragbar geworden war (wie es die Arbeitgeberseite dargestellt hatte); sondern vielmehr als Entlassung einer Frau, die sich gegen eine unstatthafte Benachteiligung gewehrt hatte.
Insofern ist das Urteil über Bern hinaus zu beachten. Es sei «ein echter Durchbruch», befand denn auch Babette Sigg, die Präsidentin der CVP-Frauen, gestern vor den Medien in Bern; und Urwylers Anwalt nannte das Urteil «bahnbrechend».
Natalie Urwyler hatte scharfe Kritik an den Arbeitsbedingungen in der Insel-Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie geäussert. Frauen würden stark benachteiligt. Der Mutterschutz werde missachtet, schwangere Ärztinnen hätten nicht die vorgeschriebenen Ruhezeit erhalten. Die Lohnpraxis sei intransparent. Männer würden in der Forschung bevorteilt.

«Sehr belastet»

Mit ihrer Kritik wandte sie sich zuerst an interne Stellen, etwa die Gleichstellungskommission und den Rechtsdienst der Universität. Dort wurde die Ärztin zwar angehört – Konsequenzen gab es aber nicht.
Was folgte, war dann die Entlassung im Sommer 2014, mit der Begründung, dass das Arbeitsverhältnis «wegen zahlreicher Vorfälle» über längere Zeit hinweg «sehr belastet» gewesen sei.
Dieser Vorgang aber sei inkorrekt gewesen, befanden nun die Richter.
Von aussen sieht es nun also aus, als ob sich das Spital lieber einer ungemütlichen Angestellten entledigen wollte, als den wahren Problemen auf den Grund zu gehen. Und die ehemalige (womöglich auch zukünftige) Oberärztin erscheint als ernstzunehmende Kämpferin in Sachen Gleichstellung im Gesundheitswesen.

«Gemobbt, bis sie gehen»

An einer Pressekonferenz in Bern sagte Natalie Urwyler gestern, die Arbeitsplan-Bedingungen in den Spitälern seien für viele Frauen unmöglich, so dass sie nur noch kündigen könnten. «Auf diese Weise werden weibliche Fachkräfte nach und nach rausgeekelt oder dann eben gemobbt, bis sie von alleine gehen», so Urwyler.
Die Ärztin erinnerte auch an ein altes Phänomen: Dass nämlich seit zwei Jahrzehnten mehr Frauen als Männer ein Medizinstudium abschliessen – dass sie im oberen ärztliche Kader jedoch immer noch die grosse Ausnahme sind. 
Ein Beispiel: Die Leitung der Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie sei auch heute noch frauenfrei.


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