Nach den Bankern und Managern werden nun die Chefärzte der Spitäler an den Pranger gestellt. Geldgierig, skrupellos und selbstherrlich sind einige der Adjektive, die man oft liest, wenn es um die Machenschaften der Gilde geht, die einst als Halbgötter in Weiss verehrt wurde. So übertrieben diese Überhöhung war, so Unrecht tut man den Ärzten, wenn man sie nun mit dem Prädikat Abzocker brandmarkt. Diese Pauschalverurteilungen rühren auch daher, dass vielen Kritikern gar nicht bewusst ist, was es eigentlich bedeutet, als Chefarzt an einem Universitäts- oder Zentrumsspital tätig zu sein. Mit dem Dauerbashing riskieren wir, für diese verantwortungsvollen Aufgaben keine qualifizierten Mediziner mehr zu finden.
Denn für die Leitung von Kliniken oder Departementen mit oftmals über hundert Mitarbeitenden kommen nur die Besten infrage – Leute, die einen langen, anspruchsvollen Ausbildungsweg hinter sich haben. Zu dessen Meilensteinen gehören ein sechsjähriges Medizinstudium, gefolgt von der Weiterbildungszeit als Assistenzarzt bis zur Erlangung des Facharzttitels, worauf in der Regel die Beförderung zum Oberarzt erfolgt.
Danach spitzt sich die Pyramide immer steiler zu. Nur wenige werden zu Leitenden Ärzten oder Chefärzten berufen. Wer mit diesen höheren Aufgaben betraut wird, steht extrem unter Beobachtung respektive in der Verantwortung – nicht nur führungsmässig, sondern auch medizinisch. Denn für Fehler (und wo Menschen arbeiten, geschehen nun mal Fehler) haftet der Kaderarzt. Dies ist insofern bemerkenswert, als man heute viel rascher in ein juristisches Verfahren oder in den administrativen Fokus gerät als noch vor ein paar Jahren. Eine Verurteilung oder ein Verweis bedeuten meist das Karriereende.
«Vergessen Sie also das Klischee vom Chefarzt, der über Mittag Golf spielt und sich am Freitag in sein Feriendomizil verabschiedet.»
Auf Stufe Chefarzt ist man noch mehr gefordert, weil die akademische Verpflichtung hinzukommt. Wer ein Departement mit mehreren Kliniken oder ein Spital leiten will, braucht den Professorentitel, zumindest in einem Zentrums- oder Unispital. Das Anforderungsprofil ist enorm: Der Chefarzt muss akademisch auf höchstem Niveau sein, jahrelange Forschungs- und Dozententätigkeit vorweisen, regelmässig Forschungsergebnisse publizieren und strenge Vorgaben in der Fortbildung erfüllen. Und selbstverständlich wird von ihm auch Führungs- und Finanzkompetenz erwartet. Dass er überdies ein brillanter Kommunikator ist, der stets ein Ohr für die Sorgen und Nöte der Patienten und Mitarbeitenden hat, wird vorausgesetzt.
Vergessen Sie also das Klischee vom Chefarzt, der über Mittag Golf spielt und sich am Freitag in sein Feriendomizil verabschiedet. In einem öffentlichen Spital ist volle Präsenz und vor allem Bereitschaft während 24 Stunden an 365 Tagen gefordert. Wenn um zwei Uhr nachts nach einem schweren Unfall ein Patient eingeliefert wird, muss der Chef verfügbar sein, auch wenn die Operation vom Oberarzt oder Leitenden Arzt ausgeführt wird. Dafür erhält der Chefarzt je nach Fachbereich eine angemess ene Entschädigung in der Grössenordnung von einer halben Million Franken.
Das neue Lohnsystem, welches wir am KSB am 1. Januar 2019 eingeführt haben, wurde von unseren Kaderärzten ohne grosses Aufheben akzeptiert. Wir haben die Honorare (patientenabhängige Vergütungen) gestrichen und den Fixlohn-Anteil zulasten des variablen Teils erhöht. Bei den variablen Komponenten sind Aspekte wie Patientenzufriedenheit, Qualität der Behandlung, Projekterfolge oder der Gesamterfolg des Unternehmens massgebend. Insofern ist es nachvollziehbar, wenn sich unsere Chefärzte vermehrt die Frage stellen, weshalb sie sich diesen Job noch antun sollen, wenn sie wieder einmal eine Schlagzeile über vermeintliche Abzocke, Selbstbedienungsmentalität oder Vetternwirtschaft lesen und medial in Sippenhaft genommen werden. Für Aussenstehende mag das nach Phantomschmerz tönen. Aber all denjenigen Chefärzten, die ihren Job mit Herzblut erfüllen und rund um die Uhr für die Patienten da sind, geht dieses Bashing unter die Haut. Ihre Leistung darf man nicht nur monetär entschädigen. Diese Ärzte verdienen auch unseren höchsten Respekt.
Adrian Schmitter ist CEO der Kantonsspital Baden AG. Zuvor war er u.a. langjähriger Generalsekretär des Departementes für Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau.
- Dieser Gastkommentar ist zuerst in der «Neuen Zürcher Zeitung» erschienen.