Fast täglich werden uns neue Lösungsansätze präsentiert, welche die jährlichen Gesundheitsausgaben bremsen sollten. Auch das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) hat vor kurzem einen Massnahmenkatalog ausgerollt, der auf 131 Seiten detailliert beschreibt, wie die Ausgaben weniger stark ansteigen dürften.
Vorgeschlagen werden in der Analyse im Auftrag von Gesundheitsminister Alain Berset
38 Kostendämpfungsmassnahmen. Zwar geht aus dem Bericht nirgends hervor, welche Kostentreiber wo konkret anfallen. Doch das Papier enthält auch einige gute Ideen – ältere und neuere. Etwas kritischer scheint allerdings die Zusammensetzung der Expertengruppe zu sein.
Unter der Leitung von Verena Diener trafen sich im vergangenen Jahr zwischen Februar und August fünf inländische und vier ausländische Experten – insgesamt sechs Mal. Hinzu kamen vier Vertreter aus der Bundesverwaltung. Was aber auffällt: Die Gruppe der aktiv tätigen Leistungserbringer fehlt ganz – Ärzte, Apotheker, Pharma, Spitäler, Pflegeheime. Aktuell Berufstätige aus der Praxis oder aus dem Spitalumfeld wurden keine mit einbezogen. Dafür holte man lieber mehr oder weniger unbekannte Experten aus dem Ausland – etwa Zeynep Or aus Frankreich oder Patrick Jeurissen aus Holland. Ungeachtet dessen, dass die Übertragung ausländischer Modelle auf das Schweizer Gesundheitswesen problematisch ist, weil hier völlig unterschiedliche Systeme miteinander verglichen werden.
Die Expertengruppe:
Verena Diener
Vorsitz: Alt-Ständerätin | Alt-Regierungsrätin Zürich | GL/GLP. Jahrgang 1949.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Vorsteherin der Gesundheitsdirektion Zürich | GDK | Stiftungsrat Gesundheitsförderung (1995-2007), Mitglied SGK-SR, Präsidentin Solothurner Spitäler AG. (Bild: Parlament)
Rudolf Blankart
Ausländischer Experte: Professor Regulatory Affairs Uni Bern (2017), GL-Mitglied sitem-insel. Jahrgang: 1980.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Früher Junior-Professor Technologie- und Qualitätsmanagement Gesundheitswesen, Hamburg Center for Health Economics (Deutschland). | (Bild: Uni Bern)
Reinhard Busse
Ausländischer Experte: Professor Management Gesundheitswesen TU Berlin. Jahrgang: 1963.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Medizinstudium, Arzt, Associate Director for Research Policy des European Observatory on Health Systems and Policies und Fakultätsmitglied der Charité (Deutschland), Schwerpunkt Gesundheitssystemforschung | (Bild: TU Berlin)
Zeynep Or
Ausländische Expertin: Research Director Indes.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Research Director, Institut de recherche et documentation en économie de la santé (Indes), Université Paris Panthéon-Sorbonne (Frankreich), Health Economist OECD (1998-2003) | (Bild: Indes)
Patrick Jeurissen
Ausländischer Experte: Professor Fiscal Sustainable Health Care Systems Radboud Universität. Jahrgang: 1969.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Professor für Fiscal Sustainable Health Care Systems Radboud Universität (Holland). Chief Research Scientist Ministry of Health, Master of Public Administration. Promotion Health Economics. Senior Research Fellow Council for Public Health and Health Care. | (Bild: Radbound)
Brida von Castelberg
Inländische Expertin: Vizepräsidentin Schweizerische Stiftung SPO Patientenschutz, früher Chefärztin. Jahrgang: 1952.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Spezialärztin FMH für Chirurgie sowie Gynäkologie und Geburtshilfe, Vizepräsidentin Schweizerische Stiftung SPO Patientenschutz, Emeritierte Chefärztin Gynäkologie Triemlispital Zürich. | (Bild: YouTube)
Dieter Conen
Inländischer Experte: Präsident der Stiftung für Patientensicherheit. Jahrgang: 1942.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Präsident der Stiftung für Patientensicherheit. Mitglied im Spitalrat des Universitätsspitals Zürich (USZ). Mitglied des Fachhochulrates der Careum Stiftung. Er war unter anderem Professor an der medizinischen Fakultät der Universität Basel und Leiter des Departements Innere Medizin am Kantonsspital Aarau (KSA). Seit 2008 ist er pensioniert. | (Bild: Patientensicherheit)
Yves Eggli
Inländischer Experte: Médecin associé, Institut universitaire de médecine sociale et préventive (IUMSP).Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Medizinstudium, Médecin associé, Institut Universitaire de Médecine Sociale et Préventive (IUMSP CHUV/UNIL), PhD in Public Health (Universität Montreal). (kein Bild)
Heinz Locher
Inländischer Experte: Gesundheitsökonom, Jahrgang: 1944.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Gesundheitsökonom, Leiter der Abteilung Berufsbildung des SRK Gesundheits- und Fürsorgedirektion Kanton Bern. Unternehmungsberater Gesundheitswesen bei PricewaterhouseCoopers. Seit 2001 in eigener Firma tätig: Management- & Consulting Services, Bern. | (Bild: Archiv)
Tilman Slembeck
Inländischer Experte: Professor ZHAW, Jahrgang: 1963.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Professor Volkswirtschaftslehre an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Zentrumsleitung Center for Economic Policy der ZHAW. | (Bild: ZHAW)
Stefan Meierhans
Verwaltung: Preisüberwacher, Jahrgang: 1968.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: – | (Bild: Admin)
Serge Gaillard
Verwaltung: Direktor Eidgenössische Finanzverwaltung EFV, Jahrgang: 1955.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: – | (Bild: Admin)
Eric Scheidegger
Verwaltung: Stv. Direktor Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Jahrgang: 1961.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: – | (Bild: Admin)
Michael Jordi
Verwaltung: Zentralsekretär GDK.Medizinischer und/oder gesundheitsökonomischer Hintergrund: Zentralsekretär Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und –direktoren GDK, Studium Volkswirtschaftslehre, Master in Public Administration. | GDK
Man könnte höchstens einwenden: Mit Verena Diener oder mit Dieter Conen seien zwei Vertreter der Spitäler dabei. Doch es scheint in der Natur der Sache und des Gesetzes zu sein, dass Verena Diener als langjährige oberste Chefin der Solothurner Spitäler (soH) höchstwahrscheinlich keine Resultate auf den Tisch legt, das den Interessen ihres Spitals zuwiderläuft. Gleiches dürfte auf USZ-Spitalratsmitglied Dieter Conen zutreffen. Er ist seit 2008 pensioniert und war zuletzt Bereichsleiter Innere Medizin am KSA.
Eifern die Experten gewissen Vorstellungen nach?
Die Frage bleibt: Warum durften die Leistungserbringer, die ja letztendlich die Folgen für die getroffenen Entscheidungen tragen müssen, keinen Einsitz in der Expertengruppe nehmen? Das gleiche trifft auch auf die Krankenversicherer zu. Auch diese Tarifpartner wurden nie um deren Einschätzung gefragt, obwohl auch die Versicherer häufig als Adressat, Umsetzer und Verantwortliche der Massnahmen aufgeführt sind. Warum wurde auf diese Erfahrung – auf diese Expertise – verzichtet?
Für eine Antwort lassen sich nur Vermutungen anstellen. Es drängt sich schnell die Frage auf, ob die Zusammensetzung der Experten mit Verena Diener an der Spitze letztendlich möglichst politikkompatibel sein musste? Bundesrat Berset hat auf die Chance verzichtet, den übersteigerten Machbarkeitsglauben gewisser Massnahmen zu relativieren. Oder darauf hingewiesen zu werden, dass die drei Kantone mit Globalbudget schweizweit die höchsten Gesundheitsausgaben haben. Vom heftigen Prämeinschub oder von den gemeinwirtschaftlichen Leistungen im Kanton Waadt ganz zu schweigen. Dass die Leistungserbringer aussen vor blieben, kann politisch nur so gewollt sein. Denn so ist es möglich, dem Schweizer Gesundheitswesen nebst verbindlichen Zielvorgaben (M1) die aufgebaute Drohkulisse Globalbudget (M37) letztendlich definitiv über zu stülpen.
Mehrere Mitglieder weibeln für das Globalbudget
Unklar bleibt, ob alle Mitglieder «einstimmig» mit jeder der 38 vorgeschlagenen Reformen einverstanden waren – insbesondere mit M1 und M37? Klar ist, dass mehrere Mitglieder der Expertengruppe aktiv für Kostendeckel & Co. weibeln – mit Rückendeckung von Politikern, die sich das Thema Gesundheitskosten auf die Fahne geschrieben haben. So hat Reinhard Busse vor kurzem in einem Interview
die Vorteile eines Globalbudgets gelobt. Für den Professor beudeutet eine Budgetierung, die eine angemessene Kostensteigerung berücksichtige, noch lange nicht Rationierung. Ebenso findet auch Yves Eggli, dass der Einsatz eines Budgetrahmens nicht zwingend zu einer Rationierung führe. Und der Mediziner Eggli, der hauptsächlich im Elfenbeinturm tätig ist, zeigt sich überzeugt, dass die Einführung eines kantonalen ambulanten Budgetrahmens
nichts am Gesundheitssystem ändere.
Eine treibende Kraft hinter der Idee von finanziellen Globalzielen
ist ferner Serge Gaillard. Laut dem Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, der eigentlich wenig vom Gesundheitswesen versteht, stiess der Vorschlag in der Expertengruppe anfänglich auf Skepsis, doch am Ende überzeugte er alle. Auch Brida von Castelberg
spricht Ende Mai über die Kostendämpfungsmassnahmen und somit über die Modifizierung des Artikels 51 KVG. Von Castelberg war bis Ende 2013 Chefärztin der Frauenklinik am Stadtspital Triemli.
Gewiss, Lösungen für das Kostenwachstum im komplexen System Gesundheitswesen zu finden, ist ein Suchprozess mit vielen Irrungen und Wirrungen. Doch alleine der blinde Glaube an als Experten verkaufte Experten hat eine gefährliche Seite. Ende Jahr soll nun eine Studie im Auftrag des Bundesrates vorliegen, die genau aufzeigen soll, welchen Einfluss ein Globalbudget effektiv auf die Gesundheitskosten hat. Bleibt zu hoffen, dass für diese Analyse auch Experten an Bord geholt werden, die der Idee eines Globalbudgets etwas kritischer gegenüberstehen – zum Beispiel etwa der Gesundheitsökonom Stefan Felder von der Uni Basel.