Ist das Medizinstudium erst einmal abgeschlossen, wartet ein weiterer langer Weg auf die Ärztinnen und Ärzte. Die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeine Innere Medizin zum Beispiel dauert fünf Jahre. Dabei ist der Übergang vom Assistenzarzt zum Facharzt belastend und herausfordernd. Denn die Mediziner müssen in ihrer neuen Tätigkeit nicht nur klinische, sondern auch viele nicht-klinische Aufgaben bewältigen.
Mit welchen Herausforderungen Spitalinternisten in Spitälern konfrontiert sind, zeigt eine neue Studie um Christine Rothen vom Inselspital Bern. Dabei wurde eine Literaturrecherche durchgeführt und 35 Ärztinnen und Ärzte aus 12 grossen und kleinen Spitälern aus der Deutsch- und Westschweiz befragt. Zusammengetragen wurden vier Schlüsselthemen:
- 1. Gleichgewicht zwischen Meinungen und Interessen zum Wohle des Patienten: Ärzte müssen in einem interdisziplinären Umfeld die Anregungen, Meinungen und Interessen verschiedener Spezialisten berücksichtigen, Prioritäten setzen und abwägen. Dabei müssen sie immer die Anliegen und Ziele der oft multimorbiden Patienten berücksichtigen. Hinzu kommen die Anliegen der Angehörigen.
- 2. Entscheidungsfindung unter Unsicherheit: Viele Mediziner empfinden den Entscheidungsdruck und die Übernahme der Letztverantwortung unter unsicheren Bedingungen als belastend für ihre Arbeit. Denn auf die komplexe Problematik der Behandlung typischer multimorbider Patienten gibt es oft keine einfachen Antworten.
- 3. Gleichgewicht zwischen Patientensicherheit und lernfördernde Lernumgebung: Ärztinnen und Ärzte empfinden es schwierig, die richtige Balance zwischen Kontrolle über die Patientenversorgung und zunehmender Autonomie zu finden. Viele Oberärzte kippten das Gleichgewicht oft in Richtung Patientensicherheit und zögerten, Aufgaben an die Assistenzärzte zu delegieren und auf dessen Fähigkeiten zu vertrauen. Die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und sich zu entwickeln, bleibt auf der Strecke.
- 4. Übernahme einer Management- und Führungsrolle: Zur Aufgabe eines Oberarztes im Spital gehört die Führung von interprofessionellen und wechselnden Teams, bestehend aus Ärzten, Pflegepersonal, Therapeuten, Studierenden oder Sozialarbeitern. Zu den wesentlichen Tätigkeiten gehören hier nebst organisatorischen Aufgaben die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten, was Verhandlungs- und Diplomatiefähigkeiten verlangt.
So funktioniert der Übergang vom Assistenz- zum Oberarzt
Nebst einem breiten medizinischen Wissen und Vertrautheit mit den aktuellen Leitlinien benötigen Spitalinternisten viele zusätzliche nicht-medizinische Fähigkeiten im Bereich der Führung, Management und Lehre. Die Studienteilnehmer fühlen sich überwiegend gut auf klinische Aufgaben vorbereitet, nicht aber auf nicht-klinische Aufgaben. Diese müssten während der Facharztausbildung meist «informell und unstrukturiert» erworben werden.
Das Erreichen von solchen Kompetenz soll am besten als ein Prozess verstanden werden, der idealerweise als Assistenzarzt beginnt: Als Lösungsansätze nennen die Studienautoren die Schaffung eines Mentors, der in regelmässigen Abständen mit Rat und Tat unterstützt und hilft, in der neuen Rolle zu reifen. Zudem stellt sich die Frage, ob die bewusste Zuweisung einer Reihe von immer komplexer werdenden Aufgaben während der Facharztausbildung den Übergang erleichtern kann. Das würde helfen, Verantwortung und Entscheidungskompetenz auch unter unsicheren Bedingungen zu entwickeln, heisst es. Solche Massnahmen seien insbesondere auch in Zeiten des Ärztemangels wichtig, damit Assistenzärzte nach ihrer Ausbildung dem Spital erhalten bleiben.