Nachfolgesuche: Ein Hausarzt aus Ilanz erzählt

Der 66-jährige Allgemeinmediziner Hans-Ueli Fuchs konnte seine Praxis in Ilanz zwar in eine Gemeinschaftspraxis überführen, doch die Suche nach einem passenden Nachfolger geht weiter.

, 21. Mai 2022 um 05:15
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Im Jahr 2021 waren in der Schweiz 39’222 Ärztinnen und Ärzte berufstätig. Das sind 720 mehr als im Vorjahr. Im Jahr 2013 betrug die Zunahme noch 1’384. Das deutet daraufhin, dass der jährliche Zuwachs der Anzahl berufstätiger Ärztinnen und Ärzte im Trend eher abnimmt.
Zu diesem Schluss kommt die FMH in ihrer Ärztestatistik, über die Medinside berichtet hat. Wie die FMH in ihrem Bericht schreibt, ist die Hälfte der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte 50 Jahre alt oder älter; ein Viertel ist bereits 60 Jahre alt oder noch älter.

Vom rechten zum linken Flussufer

Zu diesen 25 Prozent gehört auch Hans-Ueli Fuchs. Der 66-Jährige ist nun schon seit rund 36 Jahren als Hausarzt in Ilanz tätig. Die Kleinstadt in der Gemeinde Ilanz/Glion, die zur Region Surselva gehört, gilt als erste Stadt am Rhein.
Fuchs führte von 1986 bis 2022 seine eigene Praxis, die sich an der Glennerstrasse am rechten Ufer des Vorderrheins befand. Vor drei Monaten zog er gemeinsam mit seinem Team ins Nebengebäude des Regionalspitals Surselva ennet des Flusses, wo einige Räume für die neue hausärztliche Gemeinschaftspraxis «Mediselva – Praxis per Vus» umgebaut worden waren.
«Ich habe lange nach einem geeigneten Nachfolger für meine Praxis gesucht», erzählt Fuchs im Zoom-Gespräch. Zusammen mit einem Kollegen habe er zudem mehrere Anläufe unternommen, eine Gemeinschaftspraxis im Ort zu gründen, was aber auch nicht gelungen sei, sagt er.

Spitalnahe Hausarztpraxis als neue Option

Schliesslich kam Fuchs ins Gespräch mit dem Regionalspital Surselva: «Das Spital interessierte sich für die Idee einer spitalnahen Hausarztpraxis, die insbesondere zur Entlastung der Notfallstation beitragen sollte.»
Seit Anfang Februar dieses Jahres ist die Gemeinschaftspraxis «Mediselva» nun in Betrieb. Geführt wird diese von der Regionalspital Surselva AG, Fuchs und sein Team betreuen die Patientinnen und Patienten aber eigenständig.
Fuchs arbeitet noch zwei Tage in der Woche in der Praxis. Unterstützt wird er von der Praktischen Ärztin Vera van Dortmont, die in einer 80-Prozent-Anstellung in der Praxis tätig ist, sowie von drei Medizinischen Praxisassistentinnen. Eine Ärztin bzw. ein Arzt, die oder der den 66-jährigen Hausarzt ersetzen könnte, wurde bis jetzt nocht nicht gefunden. Es hätten sich zwar einzelne beworben, aber mit Anfragen sei er nicht überschwemmt worden, so Fuchs.

«Von dieser Regelung bin ich verschont geblieben»

«Heute werden verzweifelt Hausärzte gesucht, doch früher war diese Berufsgruppe nicht so gefragt», sagt Fuchs und fügt an: «Wer in den 1980er-Jahren eine eigene Hausarztpraxis eröffnen wollte, musste zuerst ein Jahr lang arbeiten, ohne dass er über die Krankenkasse abrechnen konnte.» Fuchs selbst war von der damaligen Regelung im Kanton Graubünden, dem sogenannten Karenzjahr, «zum Glück verschont geblieben». Die Praxis, die er 1986 eröffnete, konnte er nämlich von seinem Vorgänger übernehmen.
Der Weg zur eigenen Praxis sei damals für junge Allgemeinmediziner steinig und schwer gewesen. «Sie mussten ein Jahr lang quasi gratis arbeiten und hatten deshalb noch einen Notjob, viele waren nebenbei im Spital tätig.» Das sei sicher mit ein Grund gewesen, weshalb viele junge Ärzte damals der Hausarztmedizin den Rücken gekehrt hatten und ins Spital wechselten, um sich auf ein Fachgebiet zu spezialisieren, so Fuchs.

Knackpunkt Nachfolgesuche

«Aber», sagt Fuchs, «ein Hausarzt hat mehr Verantwortung als ein Spitalinternist, er muss in einem grossen Mass selbstständig arbeiten können.» Dazu seien heutzutage aber immer weniger junge Ärztinnen und Ärzte bereit, findet er. Das sei denn auch einer der Knackpunkte, weshalb sich die Suche nach einem Nachfolger schwierig gestalte.
Ein Hausarzt müsse auch in der Freizeit für seine Patienten erreichbar sein, das sei aber nicht mehr unbedingt das, was sich junge Ärzte wünschten. «Das mag jetzt vielleicht etwas grob tönen, aber in der Hausarztmedizin tätig zu sein, ist für viele keine Berufung mehr, sondern ein Job.»
Junge Ärztinnen und Ärzte wünschten sich eine bessere Work-Life-Balance. «Zu Recht», findet Fuchs. Denn bei den Hausärzten seiner Generation sei das Privatleben oft zu kurz gekommen.
«Eine grosse Belastung für junge Ärzte, die sich überlegen in die Hausarztmedizin einzusteigen, ist bekanntlich der Notfalldienst», sagt Fuchs. Die Verpflichtung zum Notfalldienst schrecke viele ab, in ein Gebiet mit wenigen Grundversorgern zu ziehen.
Hinzu komme, dass viele junge Ärzte nicht mehr das unternehmerische Risiko einer Allgemeinpraxis eingehen wollten. «Junge Mediziner haben ja kein Ökonomiestudium absolviert, es wird jedoch als selbstverständlich angesehen, dass sie ökonomisch denken können.»
Zur Verknappung der Hausärzte trügen zudem die vielen jungen Ärztinnen bei, die familienbedingt häufig in Teilzeitpensen arbeiten wollten.
Fuchs hat drei Vorschläge, wie mehr Ärztinnen und Ärzte für die Hausarztmedizin gewonnen werden könnten: 
  • Attraktivität des Berufes erhalten, indem hausarztspezifische Inhalte genau definiert werden.
  • Ausbildung zum Hausarzt als Spezialität anerkennen.
  • Ökonomische Situation der Hausärzte verbessern. 
Einige Bestrebungen in diese Richtung sind denn auch bereits im Gang. So hat das Kantonsspital Graubünden den Fachbereich «Hausarztmedizin» geschaffen, um den Hausärztemangel im Kanton zu bekämpfen. 

Zukunftsszenario: Wie geht es mit der Grundversorgung weiter?

Fuchs kann sich gut vorstellen, dass es in der Grundversorgung in den nächsten Jahren «einen fundamentalen Wandel» geben könnte. Da die Bedürfnisse wohl nicht mehr ausreichend gedeckt werden könnten, müsse die Grundversorgung neu organisiert werden, mutmasst der Hausarzt. Andere Medizinalberufe würden dann vielleicht in diese Lücke springen. Pflegefachpersonen etwa, die sich weiterbilden liessen, würden Grundversorgeraufgaben übernehmen, führt er aus. Die Grundversorgung werde vielleicht immer mehr ins Spital, das heisst auf die Notfallstation und in die Ambulatorien, verlagert. «Den klassischen Hausarzt wird es möglicherweise nicht mehr geben – oder nur noch in einer sehr ausgedünnten Form.»
Für Fuchs ist aber klar: «Die Rolle des Hausarztes wird nach wie vor sehr wichtig bleiben – gerade in der heutigen Zeit, in der die Medizin immer komplexer und zunhemend spezialisierter wird.» Fuchs’ Botschaft an junge Mediziner lautet denn auch: «Die Hausarztmedizin ist eine unglaublich spannende und beglückende Arbeit, die viel Befriedigung gibt und einen fordert, aber im guten Sinne. Deshalb ist es der Beruf auf jeden Fall wert, ihn zu erlernen und auch auszuüben.»

«Der Ablöseprozess fällt mir nicht leicht»

Fuchs wird seine Schlüssel für die Gemeinschaftspraxis «Mediselva» so schnell nicht abgeben. «Mir ist es wichtig, dass die Praxis gut läuft und gut besetzt ist, erst dann ziehe ich mich ganz zurück.» Er wolle aber höchstens noch bis nächsten Sommer arbeiten und hoffe, dass es bis dahin eine Nachfolgelösung gebe.
Seine Arbeit bereite ihm nach wie vor viel Freude. Es falle ihm deshalb nicht immer leicht, sich nach und nach abzunabeln, sich vermehrt in den Hintergrund zu stellen. «Ich muss auch lernen, dass ich nicht mehr immer für alles Zeit haben und für jeden da sein kann», sagt der 66-Jährige und fügt an: «Im Alter hat man zwar viel Erfahrung, man wird aber nicht leistungsfähiger und braucht mehr Erholungszeit.»
Diese möchte sich Fuchs denn auch künftig nehmen: «Ich habe viele Hobbys, etwa Bergsport, denen ich nachgehen möchte und freue mich, mit meinen Enkelkindern mehr Zeit zu verbringen.»  
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