Die psychiatrische Versorgung durch Spezialisten entwickelt sich im Kanton Bern zusehends zu einem Problem. Immer häufiger springen Hausärzte ein, um ihre Patientinnen und Patienen mit schweren psychischen Problemen zu betreuen – etwa dann, sollten suizidgefährdete Personen im Wartezimmer sitzen. Ein Beispiel ist Corninne Sydler. Die Betreuung von Menschen mit psychischen Schwierigkeiten gehöre zwar auch zur Arbeit von Hausärztinnen und Hausärzten. Sie seien allerdings bei komplexen Störungen darauf angewiesen, die Patienten möglichst rasch an Spezialisten verweisen zu können, wird die Co-Präsidentin der Berner Haus- und Kinderärzte in der
«Berner Zeitung» zitiert.
Mittlerweile erhalten Hausärzte laut Sydler immer häufiger die Rückmeldung «Aufnahmestopp». Bis ein passender Behandlungsplatz gefunden werde, brauche es oft mehrere Zuweisungsversuche. Zudem ist Geduld angesagt: Insbesondere Kinder und Jugendliche müssen oft Monate lang auf einen Behandlungsplatz warten.
Kein Nachwuchs in Sicht
Längst schlagen die niedergelassenen Psychiaterinnen und Psychiatern Alarm. Um die Suche nach einem Behandlungsplatz zu erleichtern, listet die
Bernische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (BGPP) auf der Homepage des Verbandes seit einiger Zeit jene Ärztinnen und Ärzte auf, die noch Patientinnen aufnehmen können.
Printscreen Hompage der BGPP Stand 15. September 2022
Die Anzahl der Erwachsenenpsychiater nimmt laut der «Berner Zeitung» laufend ab: «Zwischen 2018 und 2021 um 11 Prozent von 218 auf 193.»
Wie die BGPP ausführt, ist die Versorgung noch nicht zusammengebrochen, weil viele von ihnen über das Pensionsalter hinaus arbeiten. Eine aktuelle Analyse zeige, dass 2021 fast 40 Prozent der niedergelassenen Erwachsenenpsychiater in der Region Bern über 65 Jahre alt waren (2018 waren es noch 26 Prozent). Gibt diese Altersgruppe ihre Praxistätigkeit auf, stehe ein Drittel der Patienten ohne Betreuung da. Nachwuchs sei kaum in Sicht.
Die Sorgen der UPD und des PZM
Zudem müsse die psychiatrische Grundversorgung im Studium gestärkt werden, sodass endlich wieder mehr junge Nachwuchskräfte ausgebildet werden. Denkbar sei etwa die Gründung eines eigenen Instituts. «Zudem muss die psychiatrische Grundversorgung im Studium gestärkt werden, sodass endlich wieder mehr junge Nachwuchskräfte ausgebildet werden.»
Die BGPP wünsche sich, dass der Kanton mit Unterstützung der Bezirksvereine der niedergelassenen Psychiater eine Übersicht über die aktuelle Situation erstelle. Nur so könne eine bedarfsgerechte Versorgung garantiert werden, so die BGPP.
Gesundheitsdirektion will einschreiten
Bei der kantonalen Gesundheitsdirektion (GSI) soll die BGPP laut der «Berner Zeitung» mit ihren Forderungen zumindest teilweise offene Türen einrennen. Ab 2023 soll es möglich werden, Fachrichtungen, bei welchen es eine Unterversorgung gebe, gezielt zu fördern. Dazu geöhren die Kinderund Jugendpsychiatrie sowie Psychiatrie und Psychotherapie.
Finanziell beteiligen will sich der Kanton neu an «innovativen Programmen», ist weiter zu lesen. In deren Rahmen soll etwa ein Weiterbildungskonzept (ähnlich jenem des Berner Instituts für Hausarztmedizin) erarbeitet werden können. Dieses habe dazu geführt, dass wieder mehr Studierende diese Medizinrichtung einschlagen.
Die GSI geben sich auch offen gegenüber einem Praxisassistenzprogramm. Dazu müsste aber ein entsprechender Antrag eingereicht werden, der «geprüft und allenfalls bewilligt» würde.