«Die Spitäler müssten sich sehr genau überlegen, wofür sie die Arbeitszeit nutzen»

Mit einer tieferen Sollarbeitszeit könnten die Assistenzärztinnen und -ärzte nicht mehr einfach als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden.

Gastbeitrag von Philipp Thüler, 10. Februar 2024 um 03:39
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«Verbesserungen auf drei Ebenen»: Philipp Thüler vom VSAO  |  Bild: zvg
Der kürzlich im Medinside-Artikel «Der Regulierungswahn zerstört die Qualität der jungen Chirurgengeneration» zitierte chirurgische Assistenzarzt Tobias Kuhn hat in vielen Punkten recht: Chirurgische Assistenzärztinnen und -ärzte verbringen zu viel Zeit mit administrativen Tätigkeiten und zu wenig mit Patientinnen und Patienten.
Konkret sagt Kuhn, dass von einer 50-Stunden-Woche nur 3 bis 4 Stunden im Operationssaal verbracht würden – operiert werde vielleicht während einer Stunde. Das hören wir immer wieder auch von Mitgliedern.
Philipp Thüler ist Leiter Politik und Kommunikation sowie Stv. Geschäftsführer des Assistenz- und Oberärzte-Verbands VSAO.
Allerdings kommt der Artikel zum Schluss, dass das Problem gelöst wäre, wenn die Ärztinnen und Ärzte länger arbeiten dürften, da sie dann auch mehr operieren könnten. Das glaube ich nicht. Wenn bei einer 50-Stunden-Woche nur 3 bis 4 Stunden im Operationssaal möglich sind, werden es auch bei einer 70-Stundenwoche nicht viel mehr sein.
Einige Fakten zur Erinnerung: Das Arbeitsgesetz ist keine Erfindung des VSAO, sondern ein eidgenössisches Gesetz. Seine Bestimmungen schützen die Arbeitnehmenden – und im Gesundheitswesen auch die Patientinnen und Patienten.
Assistenzärztinnen und -ärzte arbeiten im Schnitt 56 Stunden pro Woche und damit sechs Stunden mehr, als das Gesetz erlaubt. Laut der VSAO-Mitgliederumfrage von 2023 wollen 86 Prozent der Assistenzärztinnen und -ärzte eine Arbeitswoche von maximal 42 Stunden; bei den chirurgischen Assistenzärztinnen und -ärzten liegt die Quote bei 75 Prozent.
«Wir sehen die 42+4-Stunden-Woche als Teil der Lösung und nicht des Problems.»
Dass heute ein viel zu grosser Teil der Arbeitszeit mit administrativen Tätigkeiten verbracht wird, ist auch dem VSAO ein Dorn im Auge. Nur sehen wir die 42+4-Stunden-Woche als Teil der Lösung und nicht des Problems.
Das Institut für Intensivmedizin des Universitätsspitals Zürich ist bislang die einzige Klinik, die das Konzept 42+4-Stunden-Woche für die Assistenzärzteschaft umgesetzt hat. Gelungen ist dies nur, weil die administrativen Tätigkeiten reduziert und die Abläufe optimiert wurden. Die Erfahrungen sind positiv, sowohl aus Sicht des Instituts wie auch der Ärzteschaft.
Wir sind uns bewusst, dass die alleinige Reduktion der Sollarbeitszeit nicht realistisch und auch nicht sinnvoll ist. Deshalb setzen wir uns auf verschiedenen Ebenen für Verbesserungen ein. Die Reduktion der Sollarbeitszeit ist ein Element, die Stärkung der Weiterbildung ein weiteres, die Reduktion der Bürokratie ein drittes.
Die drei Ebenen sind eng miteinander verzahnt. Die Sollarbeitszeit kann nur reduziert werden, wenn gleichzeitig die Weiterbildung gestärkt und die Bürokratie reduziert werden.
«Wenn die Sollarbeitszeit auf 42+4 Stunden beschränkt wird, müssen sich die Spitäler sehr genau überlegen, wofür sie diese Zeit nutzen wollen.»
Die Reduktion der Sollarbeitszeit ist also im besten Fall ein Katalysator, der positive Effekte für die ganze Klinik bringt. Anders ausgedrückt: Wenn die Sollarbeitszeit auf 42+4 Stunden beschränkt wird, müssen sich die Spitäler sehr genau überlegen, wofür sie diese Zeit nutzen wollen. Sie können die Assistenzärztinnen und - ärzte nicht mehr einfach als billige Arbeitskräfte überall da einsetzen, wo es grad nötig ist.
Wir sind bezüglich all dieser Anliegen – Arbeitszeitreduktion, Stärkung der Weiterbildung, Reduktion der Bürokratie – im regelmässigen Austausch mit dem Spitalverband H+, dem SIWF, dem BAG, der GDK und der FMH. Auch mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern der Chirurgie sind wir im Gespräch.
Das Ziel ist klar und es deckt sich mit Tobias Kuhns Anliegen: Die ärztliche – insbesondere auch die chirurgische – Weiterbildung soll gestärkt werden. Die Attraktivität des Arztberufs soll erhalten und gesteigert werden. Damit wir auch in Zukunft hochmotivierte und hochkompetente Ärztinnen und Ärzte haben, die für die Gesundheitsversorgung einer wachsenden und älter werdenden Bevölkerung zur Verfügung stehen.
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