«Sex and Crime, all diese wilden Geschichten, die man aus Arztromanen und Spitalserien kennt, die gibt’s wirklich»: Das sagt Eric Lippmann. Er berät seit über 30 Jahren Führungskräfte, insbesondere aus dem Gesundheitswesen.
In einem Interview mit der Online-Zeitung
«Infosperber» schildert er krasse Beispiele aus seiner Arbeit: So habe sich ein Chefarzt mehrfach schlecht gegenüber Pflegefachfrauen verhalten, ohne dass etwas passiert sei. Dann verunfallte er einmal betrunken mit dem Velo und wurde ins Spital eingeliefert, und zwar in dasjenige, in dem er selber arbeitete.
Trotz fristloser Kündigung wieder neue Stelle
Dort hiess es, der diensthabende Arzt stehe nicht zur Verfügung. Er selber hätte Dienst gehabt. Erst nach diesem Vorfall sei ihm fristlos gekündigt worden. «Aber», fügt Eric Lippmann hinzu, «jetzt kommt noch etwas Typisches für das Gesundheitswesen dazu: Nach einem Monat fand er bereits wieder eine neue Stelle, wieder in leitender Position.»
Lippmann war schockiert, dass der Arzt wieder mit einer Führungsposition betraut wurde, obwohl viele Leute im Ärztekreis die Geschichte dieses Mannes kannten.
Das Problem sei: Viele Spitäler bräuchten im Medizinbereich eine Spitzenkraft, jemand, der fachlich top sei und vielleicht auch noch habilitiert habe. Die finde man nicht wie Sand am Meer. Mangelnde Führungsqualität falle in der Anstellungspraxis dann leider nicht ins Gewicht.
Rauere Sitten als in der Hotelküche
Lippmann schildert ein weiteres Beispiel: Ein Streit im Operationssaal eskalierte. «Die Ärzte sind mit dem Skalpell aufeinander losgegangen!»
Lippmann ist überzeugt: «Im Gesundheitswesen herrschen rauere Sitten als in anderen Branchen, weil es da um Leben und Tod gehen könne, und das unter hohem Zeitdruck. Das ist schon was anderes, als wenn in einer Hotelküche mal die Töpfe fliegen. Umso wichtiger ist eine souveräne Führung, denn wenn im Spital Fehler passieren, geht es wirklich ans Lebendige».
Er hat mehrere Erklärungen dafür, warum gerade in Spitälern grosse Führungsmängel herrschen:
- Ärzte und Ärztinnen seien – mehr noch als in der Pflege – fast ausschliesslich fachspezifisch ausgebildet. Führungspositionen im Spitalbereich würden meist aufgrund rein fachlicher Kompetenzen besetzt werden.
- Machthierarchie sei in Spitälern noch sehr verbreitet.
- Systematische Einschüchterungen führen zu einer Angstkultur. Gerade in Spitälern wäre jedoch psychologische Sicherheit wichtig, wenn Spitzenleistungen erbracht werden sollen.
- Wenn Angestellte wegen Führungsversagen kündigen, erhöht das den Druck auf jene, die bleiben. Sie müssen immer wieder neue Leute einarbeiten. Der Stress im Team werde grösser. Daraus ergebe sich ein Teufelskreis.
- Viele Angestellte würden sich nicht trauen, den oberen Führungskräften ehrliches Feedback zu geben. Die Chefs müssten Feedback fördern und einfordern. Und sich für kritisches Feedback bedanken.
- Konfliktpotenzial ortet der Coach auch im Dreibeinmodell, das in vielen Spitälern praktiziert wird: Pflege, Ärzteschaft und Betriebsleitung.
Mehr Bereiche trennen
Lippmann rät, dass die Bereiche stärker getrennt werden sollten, damit sich nicht alle Führungskräfte an mehreren Fronten gleichzeitig behaupten müssen. Sonst seien die Anforderungen zu hoch. «Es müsste möglich sein, dass zum Beispiel jemand in einem Spitalbetrieb ärztliche Direktorin sein kann, aber nicht auch noch die Forschungsabteilung und noch den Lehrbetrieb anführen muss. Aus meiner Erfahrung finde ich das alles einfach zu viel für einen Menschen, das kann man nicht hinkriegen.»
Zur Person
Eric Lippmann arbeitet seit über 30 Jahren am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) an der ZHAW. Von 2009 bis Januar 2024 war er Dozent und Leiter des IAP-Zentrums für Leadership, Coaching & Change Management. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt im Gesundheitswesen.