Für einmal könnte mehr Bürokratie im Gesundheitswesen angebracht sein: An Schweizer Spitälern werden Zehntausende von Ampullen Fentanyl geöffnet – das muss das Personal peinlich genau dokumentieren. Doch beim Entsorgen der Reste gibt es keine Kontrolle. Denn dies ist nicht vorgeschrieben.
Damit könnten Spitäler zur Quelle für den illegalen Bezug von Fentanyl werden. Weltweit ringen Städte mit dem Missbrauch von Fentanyl – ein starkes Schmerzmittel, das eingesetzt wird, wenn herkömmliche Arzneimittel nicht mehr ausreichen.
Auch in der Schweiz bereiten sich die Städte auf eine «Fentanylkrise» vor. Bereits gab es Schlagzeilen wie: «Zürich wappnet sich gegen Todesdroge». Die Behörden wollen derzeit um jeden Preis verhindern, dass die «Zombie-Droge» (wie sie auch genannt wird) die Bevölkerung erreicht.
Am USZ sehr häufig gebraucht
Das Universitätsspital Zürich (USZ) verbraucht grosse Mengen von Fentanyl – natürlich legal und unter stark kontrollierten Bedingungen. «Wenn es verordnet wird, ist der Weg bis zum Patienten dokumentiert», schreibt USZ-Sprecherin Martina Kaelin. Mögliche Reste würden sicher entsorgt.
Auf nochmalige Nachfrage präzisiert sie, was das heisst: «Die Medikamentenreste werden bei der Züripharm zurückgegeben. Ampullen und Spritzen werden in Sonderabfallbehälter gegeben, welche nicht wieder zu öffnen sind und so entsorgt werden.»
Ob diese Behälter tatsächlich alle am Bestimmungsort ankommen, muss das Spital nicht belegen. Am USZ bestehe derzeit kein Handlungsbedarf, die entsprechenden Regelungen anzupassen. Es gebe keine Hinweise, dass diese nicht ausreichend wären, teilt das Spital mit.
60'000 Dosen am Inselspital
Am Berner Inselspital, wo jährlich rund 60'000 Fentanyl-Dosen verbraucht werden, tönt es ähnlich. Auch dort heisst es, dass die Restmengen in «kaum zugängliches Gebinde» kämen und eine Entwendung deshalb «eher unwahrscheinlich» sei. Insel-Sprecher Daniel Saameli schreibt ausserdem: «Es wurden bisher keine Anzeichen eines missbräuchlichen Verwendens von Resten festgestellt.»
Unispital Basel prüft Dokumentation
Von den drei Deutschschweizer Universitätsspitälern will einzig das Universitätsspital Basel (USB) seine bisherige Praxis überdenken: «Es wird zurzeit eine digitale Betäubungsmittelbuchhaltung auf der Station entwickelt. Hier wird die Dokumentation der Entsorgung als zusätzlicher Schritt geprüft, obwohl es rechtlich nicht gefordert ist», schreibt Mediensprecherin Caroline Johnson.
Sie legt ausserdem offen, wie streng der Umgang mit Fentanyl im Spital ist: «Das Richten von Betäubungsmitteln findet immer nach dem Vier-Augenprinzip statt.» Die missbräuchliche Verwendung von Resten von Fentanyl-Ampullen wäre sehr aufwendig, da die angebrochenen Glasampullen nicht einfach entwendet werden könnten. «Die betreffende Person müsste eine zweite Spritze aufziehen und verschliessen, damit sie sie transportieren kann. Das wäre ein sehr auffälliger Vorgang und unter dem Vier-Augen Richtprinzip nicht möglich.»
So wirkt Fentanyl
Fentanyl zählt zu den opioiden Analgetika. Es wird vor allem bei starken Schmerzen wie chronischen Tumorschmerzen, Polytraumata, Verbrennungen und Frakturen eingesetzt. Es ist 100 Mal wirksamer als Morphin. Neben seiner schmerzlindernden Anwendung eignet es sich in höheren Dosen auch als Narkotikum in der Anästhesie. Diese Stärke der Wirkung in Kombination mit einem oft als positiv erlebten Effekt führt dazu, dass Fentanyl auch als Rauschmittel missbraucht wird.
Illegales Fentanyl wird in Laboren produziert – danach wird es in Form von Pulver und Pillen verkauft oder Augentropfen und Nasenspray beigemengt. Ausserdem kann es auf Löschpapier getropft werden.
Einige Drogenverkäufer kombinieren Fentanyl mit anderen Drogen wie Kokain, Heroin oder Methamphetamin, da bereits wenig Fentanyl ein großes Rauschgefühl auslöst – das macht die Drogenmischung in der Herstellung besonders günstig. Es gibt Drogenkonsumenten, welche die Substanz aus Fentanyl-Pflastern lösen, um sie sich anschliessend zu spritzen.
Bei einer Überdosis Fentanyl kann sich die Atmung verlangsamen oder ganz ausfallen. Gelangt dadurch nicht mehr genug Sauerstoff ins Gehirn, können Konsumenten ins Koma fallen, Hirnschäden entwickeln oder sterben.
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