Das Fachmagazin «Nature» – immerhin eine der einflussreichsten Publikationen in der Biomedizin – sucht jedes Jahr jene klinischen Studien, welche die Medizin in naher Zukunft am stärksten prägen könnten. Basis bildet eine Befragung von elf führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus diversen Fachgebieten.
Die neue Liste, nun erschienen, verweist insbesondere auf die Künstliche Intelligenz und Gentherapien als Motoren des medizinischen Fortschritts – und sie thematisiert unter anderem Krebserkrankungen, Autismus und Projekte gegen den Klimawandel.
1. Gentherapien gegen Prionenkrankheiten
Prionenkrankheiten, darunter die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, sind derzeit noch unheilbar und oft tödlich. Eine Studie, die in 16 Zentren weltweit durchgeführt wurde, bewertet die Wirkung von ION-717, einem Antisense-Oligonukleotid, um die Produktion von Prionen im Gehirn zu senken. Es handelt sich
um die erste randomisierte Studie am Menschen zur Behandlung einer Prionenkrankheit. Für 2025 werden hier vorläufige Ergebnisseerwartet werden.
2. Krebsvorsorge dank Chatbots
Eine randomisierte kontrollierte Studie, die derzeit in Frankreich läuft, untersucht
die Wirkung eines Chatbots: Wie sehr kann Künstliche Intelligenz Frauen zur Teilnahme an der Gebärmutterhalskrebs-Vorsorge motivieren? Das Tool im Test soll benachteiligte Bevölkerungsgruppen erreichen, die nur einen eingeschränkten Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen haben. Der Chatbot informiert und motiviert die Frauen, zu Hause ein Selbsttest aufs Papillomavirus HPV durchzuführen. Die Studie umfasst etwa 4'000 Teilnehmerinnen ein und soll dieses abgeschlossen werden.
3. Ganz persönliche Krebsvorsorge
Eine ähnliche Untersuchung – namens
MyPeBS (My Personal Breast Cancer Screening – zielt darauf ab, die Brustkrebsvorsorge durch einen personalisierten Ansatz zu revolutionieren. Diese gross angelegte Studie mit über 53'000 Teilnehmerinnen in sechs Ländern vergleicht die derzeitigen Screening-Standards mit einer Strategie, die auf individuellen Risikofaktoren beruht: DNA-Tests, die einen polygenen Risiko-Score erstellen; sowie Parameter wie Familiengeschichte und Brustdichte. Ziel der Studie ist es, die Inzidenz von fortgeschrittenem Krebs nach vier Jahren zu senken und gleichzeitig unnötige Eingriffe zu vermeiden.
4. Neue Bestrahlung von Prostatakrebs
In einer Phase-3-Studie testet Novartis das
Potenzial von Lu177-PSMA-617 (Pluvicto) in Verbindung mit Standardtherapien für Patienten mit PSMA-positivem metastasierendem hormonsensitivem Prostatakrebs. Die Studie umfasst 1'126 Teilnehmer, die noch keine oder nur eine minimale Behandlung erhalten haben. Die Behandlung basiert auf einem gezielten radiopharmazeutischen Ansatz: Lutetium-177 gibt die Strahlung direkt an die Tumorzellen ab, die PSMA exprimieren, und begrenzt so die Schädigung des gesunden Gewebes. Es soll untersucht werden, ob diese Kombination auch in einem früheren Stadium der Krankheit eingesetzt werden kann.
5. Personalisierte Ernährungs-Empfehlungen
Die Studie
«Nutrition for Precision Health» zielt darauf ab, Ernährungsempfehlungen unter Berücksichtigung der Gene, der Umwelt und des kulturellen Hintergrunds jedes Einzelnen anzupassen. Die Studie, an der 8'000 Personen an 14 Standorten teilnehmen, besteht aus drei Phasen: Testmahlzeiten, um die biologischen Reaktionen zu analysieren, eine sechswöchige Überwachung von drei verschiedenen Diäten und schliesslich von den Forschern entwickelte präzise Ernährungsprotokolle. Mittels künstlicher Intelligenz und Machine Learning wollen die Forscher Algorithmen entwickeln, die individuelle Stoffwechselreaktionen vorhersagen können.
6. CBD zur Vorbeugung von Psychosen
Eine weitere wichtige Forschung im Jahr 2025 betrifft laut «Nature»
die Verwendung von Cannabidiol (CBD) zur Prävention von Psychosen. CBD ist in einigen Ländern bereits für die Behandlung von schwerer Epilepsie zugelassen und wird derzeit intensiv auf sein Potenzial zur Prävention psychiatrischer Störungen getestet. Derzeit steht es im Mittelpunkt von drei internationalen Studien, an denen rund 1'000 psychotische Patienten in 11 Ländern teilnehmen. Die ersten Ergebnisse werden für dieses Jahr erwartet.
7. Zwischen Klima und Gesundheit
Eine
«Reflect»-Studie in Burkina Faso bewertet die Auswirkungen von «Kaltdächern» auf die Gesundheit von Menschen, die mit extremer Hitze konfrontiert sind. Die Idee: Reflektierende Dächer senken die Innentemperatur von Gebäuden. Die Studie beobachtet 1'200 Personen über zwei Jahre hinweg und misst Indikatoren wie Herzfrequenz, Blutdruck, Blutzucker, Dehydrierung, Schlafqualität und psychische Gesundheit. Ziel ist es, eine erschwingliche und nachhaltige Lösung für jene Regionen zu finden, die am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.
8. Der Garten gegen Unterernährung
Eine weitere klinische Studie
mit dem Namen «Alimus», durchgeführt in Burkina Faso und Kenia, bewertet die Auswirkungen der häuslichen Gartenarbeit auf die Unterernährung. Das Projekt umfasst 600 Haushalte in jedem der beiden Länder. Ein Haupt-Messkriterium ist die Grösse der Kinder im Verhältnis zu ihrem Alter – ein Schlüsselindikator für den langfristigen Ernährungszustand. Wenn sich das Modell bewährt, könnte es in die lokalen Praktiken der Ministerien integriert werden, um die Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Die Ergebnisse werden für Mitte 2025 erwartet.
9. Genomische Korrektur bei Sichelzellenanämie
Eine klinische Studie
mit dem Namen «Beacon» erforscht einen neuen Ansatz zur Behandlung der Sichelzellenanämie unter Verwendung autologer CD34+ hämatopoetischer Stammzellen (HSZ), die mithilfe der Base-Editing-Technologie verändert wurden. Diese Technik, die vom CRISPR/Cas9-System abgeleitet ist, ermöglicht es, spezifische genetische Mutationen auf der Ebene von DNA-Basen zu korrigieren.
«Beacon» ist die weltweit erste klinische Studie, bei der diese Methode zur Modifizierung von HSCs eingesetzt wird. HSCs sind Zellen, die für die Behandlung von Blutkrankheiten wie der Sichelzellenanämie, einer schweren genetischen Erkrankung, von der Millionen von Menschen betroffen sind, von entscheidender Bedeutung sind.
10. Mehr Resilienz und bessere Kommunikation für Jugendliche
Die in Kenia durchgeführte
«mSELY»-Studie untersucht die Auswirkungen von digitalen Toolkits auf die psychische Gesundheit von Teenagern und ihren Eltern. Die Version für Teenager hilft den Probanden, sich selbst einzuschätzen, Resilienz zu entwickeln und positive soziale Bindungen aufzubauen. Die Version für Eltern bietet Erziehungsstrategien, um die Kommunikation mit ihren Kindern zu verbessern und ihre Elternrolle zu stärken. Etwa 600 Teilnehmer sind an diesem Projekt beteiligt.
11. Mehr Entspannung bei Autismus
«Guess What» lautet der Name einer Studie, bei der es um ein Handyspiel geht, welches das Zusammenleben von Erwachsenen und autistischen Kindern verbessern soll. Ziel ist es, den elterlichen Stress zu senken und gleichzeitig die Symptome des Autismus zu lindern, welche die soziale Integration der Kinder einschränken. An der Studie nehmen etwa 1'000 autistische Kinder im Alter von 2 bis 8 Jahren teil. Das Spiel sammelt Daten und nutzt künstliche Intelligenz, um autismusbezogene Signale zu analysieren und die Erfahrung anzupassen, um das Engagement der Nutzer zu erhöhen.