«Kostenziel im Widerspruch zur Bundesverfassung»

Ein Deckel bei den Gesundheitskosten verletzt das Versicherungsprinzip. Zu diesem Schluss kommt Ueli Kieser, Professor für Sozialversicherungs- und Gesundheitsrecht.

, 3. Dezember 2020 um 12:30
image
Der Bund will eine zentralisierte und rein kostenbasierte Steuerung des Gesundheitswesens. | Pxfuel CCO
Bundesrat Alain Berset plant, ein Ziel für das Kostenwachstum im Gesundheitswesen festzulegen. Er will für das Ausgabenwachstum ein Globalbudget, das jeweils nicht überschritten werden soll. Sonst drohen finanzielle «Korrekturmassnahmen»: degressive Tarife. 
Die «Zielvorgabe» ist gleichzeitig der indirekte Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative der CVP.
Über die konkrete Ausgestaltung und die Umsetzung ist bislang wenig bekannt. Ärzteverbände und Spitäler wehren sich gegen die Pläne des Gesundheitsministers: Sie warnen etwa vor Wartezeiten und Zusatzkosten. Mit Kostenzielen hätten Leistungserbringer zudem keinerlei Anreiz, sich auf eine Vergütung zu einigen, welche eine medizinisch nicht begründbare Mengenausweitung verhindert.

Alle müssen die notwendigen Behandlungen erhalten

Nun kommt ein juristisches Gutachten zum Schluss: Das Kostenziel steht im Widerspruch zur Bundesverfassung. Erarbeitet wurde das noch nicht veröffentlichte Papier von Ueli Kieser, Rechtsanwalt in Zürich und Professor für Sozialversicherungs- und Gesundheitsrecht in St. Gallen. In Auftrag gegeben wurde die juristische Analyse von der Ärztevereinigung FMH.
Denn gemäss Verfassung führt der Bund eine «Krankenversicherung». Daraus folgt für den Professor, dass hier zwingend das Versicherungsprinzip massgebend sein müsse, wie er unlängst gegenüber der NZZ sagte. Das heisst: Jedermann muss stets die notwendigen Behandlungen erhalten, wenn eines der versicherten Risiken eintritt.

Versicherungsprinzip sei in jedem Fall verletzt

Obwohl der Bundesrat argumentiert, auch mit der Festlegung der Kostenziele sei der Zugang immer gewährleistet, ist für Kieser das Versicherungsprinzip in jedem Fall verletzt – unabhängig von der Umsetzung. Denn wenn die Vergütungen an die Ärzte und Spitäler einzig aus Kostengründen reduziert würden, sei nicht mehr sicher, ob diese weiterhin alle notwendigen Leistungen anböten, so Kieser gegenüber der Zeitung.
Eine finanziell motivierte Steuerung über die Vergütung ist dem Professor zufolge in einem Versicherungssystem generell «unzulässig». Erlaubt seien Eingriffe beim Preis nur aufgrund von Mängeln bei der Qualität oder der Effizienz. Rechtlich wäre eine Einführung aber möglich, weil es in der Schweiz keine Möglichkeit gibt, Bundesgesetze auf ihre Verfassungsmässigkeit zu überprüfen.

Umfang der versicherten Leistungen reduzieren

Für Versicherungsexperte Ueli Kieser gibt es zwei Optionen, um die Kosten in der Grundversicherung zu bremsen, wie er der NZZ weiter sagte: Man könne die versicherten Risiken einschränken, was bei der Krankenversicherung aber kaum umsetzbar sei. Die andere Lösung besteht für ihn darin, den Umfang der versicherten Leistungen zu reduzieren. Das würde bedeuten, dass der Bund den Katalog der Grundversicherung einschränken muss. Für alles andere bräuchte man dann eine Zusatzversicherung.  
Artikel teilen
  • Share
  • Tweet
  • Linkedin
  • Whatsapp
  • Telegram
Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Was ist Ihr Beruf?

Wo arbeiten Sie?*

undefined
undefined

*Diese Angaben sind freiwillig. Sie bleiben im Übrigen anonym.
Warum bitten wir Sie darum? Medinside bietet Ihnen die Informationen und Beiträge kostenlos. Das bedeutet, dass wir auf Werbung angewiesen sind. Umgekehrt bedeutet es idealerweise auch, dass Ihnen auf Medinside möglichst nur Werbung gezeigt wird, die zu Ihnen passt und die Sie interessant finden könnten.
Wenn wir durch solche Erhebungen Angaben über das allgemeine Profil des Medinside-Publikums gewinnen, nützt dies allen: Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, uns und unseren Kunden. Vielen Dank!


Mehr zum Thema

image

Fachärztemangel: Wallis will Hürden für ausländische Mediziner senken

Während Städte eine hohe Ärztedichte haben, fehlen Fachkräfte in ländlichen Regionen. Eine Standesinitiative soll das ändern. Die Erfolgschancen sind gering.

image

Zug verliert seinen beliebten Gesundheitsdirektor an Bern

Gesundheitsdirektoren haben in den Kantonen oft einen schweren Stand. Nicht so der Zuger Martin Pfister. Doch nun geht er in den Bundesrat.

image

Koordinierte Versorgung: Netzwerke sind vom Tisch

Der Ständerat beriet über das Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Er plädierte nun ebenfalls für Mengenrabatte bei umsatzstarken Medikamenten.

image

Co-Creation im Gesundheitswesen

Zippsafe revolutioniert mit seinen Produkten das Gesundheitswesen. Ein platzsparendes Spindsystem optimiert Personalumkleiden, während ZippBag und ZippScan den Umgang mit Patienteneigentum verbessern. Erfahren Sie, wie die Produkte durch enge Zusammenarbeit mit Schweizer Spitälern entwickelt wurden.

image

Effiziente Desinfektion: Plastikfrei & nachhaltig

Die Bacillol® 30 Sensitive Green Tissues bieten nachhaltige und effektive Desinfektion. Sie bestehen aus 100% plastikfreien Cellulosetücher und reduzieren CO₂-Emissionen um 25% pro Packung. Mit hoher Reissfestigkeit, grosser Reichweite und Hautverträglichkeit sind sie optimal für Hygiene und Umwelt.

image

Spital Zofingen: Bundesrat findet Verkauf unproblematisch

SP-Nationalrat Cédric Wermuth warnte vor einer schleichenden Privatisierung der Grundversorgung – der Bundesrat sieht in der Übernahme des Spitals Zofingen durch SMN kein Problem.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.