Kreativitätsschub im Pflegeheim

Bilder betrachten, Gedichte rezitieren: Kunstprojekte zeigen, wie sich demente Menschen durch kreative Impulse aus der Reserve locken lassen.

, 10. November 2015 um 08:20
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Kreativität und Demenz in einen Zusammenhang zu bringen, scheint ziemlich gewagt. Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die zum völligen Verlust aller intellektuellen Fähigkeiten führt. Allerdings zeigt sich, dass die veränderte Wahrnehmung bei dementen Menschen vorher nicht erkennbare kreative Kompetenzen zutage fördert.

Kreativität zulassen

«In der Begleitung von Menschen mit Demenz kommt es darauf an, diese Impulse zu interpretieren und schöpferische Aktivitäten zuzulassen», sagt Dagmar Jung, Fachreferentin für Altenhilfe im Diakonischen Werk in Hessen und Nassau (DWHN). Diadem, die die Demenzstiftung des DWHN, will einen Beitrag dazu leisten, dass Demenz mit anderen Augen betrachtet wird. Dazu wurde die Wanderausstellung «Kunst trotz(t) Demenz» ins Leben gerufen, die derzeit im Alterszentrum Klus Park in Zürich zu sehen ist.

Entspannte Atmosphäre, offene Fragen

Dabei wird die Kreativität dementer Menschen mit moderierten Bildbetrachtungen angeregt. «Was hier im Alterszentrum Klus gemacht wird, ist Kunstbetrachtung im wahrsten und besten Sinn», schreibt der «Tages-Anzeiger» (nur print). Gerotopsychologe Rudolf Bähler, der die Sehschule moderiert, sorgt für eine möglichst entspannte Atmosphäre und überlässt die Interpretation der Kunst den Betrachtern.
Ob die Antworten falsch oder richtig sind, ist völlig egal. Mit offenen Fragen kann er den Teilnehmern vieles entlocken. Sie erzählen Geschichten und beginnen, aus ihrer Kindheit zu erzählen. Die Methode, die er anwendet, nennt sich Timeslips. Demnach soll das Erfinden von Geschichten die Teilnehmenden stimulieren, und zwar ohne Druck der Erinnerung und der Freiheit der Vorstellung.

Erinnerungen durch Gedichte hervorholen

Dass sich demenzkranke Menschen plötzlich wieder an die schönsten Momente ihres Lebens erinnern, zeigt ein weiteres Kunstprojekt mit Slam Poetry des deutschen Lyrikers Lars Ruppel. Sein Programm «Weckworte» basiert aus dem amerikanischen Konzept Alzpoetry, der Kurzform für Alzheimer und Poetry. 
Ziel ist es, die Lebensfreude von dementen Menschen mit Gedichten zu wecken. In den Workshops lernen Pflegepersonal und Angehörige, Gedichte für Menschen mit Alzheimer vorzutragen. Klassische Gedichte sind ebenso vertreten wie kurze Abzählreime. 

Pflege kulturell aufwerten

«Viele Pflegekräfte haben im Unterricht die Lust an Poesie verloren. Zwischen ihnen und der älteren Generation entsteht eine kulturelle Differenz, die durch die Lyrik geschlossen werden kann», so Ruppel. Durch die neu entdeckte Freude am gesprochenen Wort könne die Pflege kulturell aufgewertet werden. Und bei den Patienten kommen längst verschüttet geglaubte Erinnerungen hoch. 


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