Pflegeinitiative: Wenn sich die Wirklichkeit nicht an den Plan hält

Auch im Thurgau sollte ein Bonus-Malus-System mehr Pflege-Praktika ermöglichen. Doch es fehlen die Menschen. Und jetzt bringen die Strafzahlungen Spitex- und Heim-Betriebe in Not.

, 18. Oktober 2024 um 13:27
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Freie Plätze: Bildungszentrum für Gesundheit und Soziales in Weinfelden
Wir haben ein weiteres Beispiel, wie staatliche Regulierung – obwohl gut gemeint – den Gesundheitsbetrieben das Leben erschwert. Der Fall stammt aus dem Kanton Thurgau, und es geht um die Umsetzung der Pflegeinitiative; beziehungsweise um die dabei angestrebte Förderung der Pflegeausbildung.
Dazu schuf der Regierungsrat im Thurgau – wie in anderen Kantonen – ein Bonus-Malus-System: Es soll die Spitäler, Heime und Spitex-Betriebe zur Schaffung von Praktikumsplätzen verpflichten.
Doch der Bonus hilft bloss begrenzt gegen die Ausbildungslücken. Und der Malus bringt diverse Gesundheits-Institutionen in Existenznot. Dies erhellen nun eine Kantonsparlaments-Anfrage sowie die «Thurgauer Zeitung».
Konkret erhalten die Thurgauer Gesundheitsbetriebe wöchentlich 400 bis 550 Franken, wenn sie HF-Pflege-Studenten einen Praktikumsplatz zur Verfügung stellen. Bei 24 Praktikumswochen pro Jahr ergibt dies also 9'600 bis 13’200 Franken pro Pflege-Studentin und -Student. Wenn andererseits ein Betrieb sein Soll nicht erfüllt, muss er 3'600 Franken pro ausgefallener Praktikumswoche entgelten. Hochgerechnet auf 24 Wochen macht dies 86’400 Franken pro Lücke.

10 bis 11 Millionen minus 2 Millionen

Soweit das Konzept. Doch es mangelt nicht so sehr am Goodwill der Spitex- oder Pflege-Betriebe – sondern daran, dass einfach nicht genügend Auszubildende da sind, welche die Praktikumsplätze dann auch nutzen könnten.
Dazu fehlen kantonsweit etwa 120 bis 130 Auszubildende: Dies rechnete der Gemeindepräsident von Bussnang, Ruedi Zbinden, in der «Thurgauer Zeitung» vor.
Die Abweichung der Wirklichkeit vom Plan bedeutet wiederum, dass die Thurgauer Gesundheitsbetriebe etwa 10 bis 11 Millionen Franken an «Bussen» berappen müssten – selbst wenn sie bereit wären, Praktika anzubieten.
Konkrete Beispiele sind etwa das Alters- und Pflegezentrum Amriswil, dem Strafzahlungen von etwa 500’000 Franken pro Jahr drohen. Oder die Spitex Oberthurgau: 320’000 Franken Strafe pro Jahr.

Was macht der Staat mit dem Geld?

«Diese Strafzahlungen werden sich die meisten Betriebe nicht leisten können», so SVP-Politiker Zbinden: «Was macht ein Betrieb dann?»
Es gibt noch ein weiteres Rechenproblem, so Zbinden: Das kantonale Bildungszentrum für Gesundheit und Soziales in Weinfelden habe ja selber bloss eine Kapazität für 80 bis 90 HF-Auszubildende pro Jahr. Doch die vom Reissbrett verlangte Ausbildungs-Verpflichtungs-Zahl liegt über 200.
Tatsächlich waren die «Soll-Ausbildungsleistungen» (so der Begriff) aus einem theoretischen Bedarf an Pflegepersonal hochgerechnet worden – und nicht etwa aus der Realität beim Nachwuchs oder in den Bildungsstätten.
Curaviva Thurgau, der Verband der Alters- und Pflegeheime im Kanton, sucht nun das Gespräch mit dem Regierungsrat. Und im Grossen Rat hat SVP-Kantonsrat Zbinden mit Kollegen eine Anfrage eingereicht. Darin verlangen die Politiker unter anderem Klarheit über die Verwendung der Gelder aus Strafzahlungen.
Denn es gibt eine weitere bemerkenswerte Rechnung: Die Bonus-Zahlungen des Kantons dürften «kaum die 2-Millionen-Franken-Grenze überschreiten», wie die Parlamentarier in ihrer Grossrats-Anfrage kalkuliert haben.
10 Millionen Malus-Strafzahlungen minus 2 Millionen Bonus-Zahlungen? Das ergibt nicht mehr Pflegepersonal – aber einen schönen Batzen für die Staatkasse.

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