«Rund 10 Prozent der Covid-19-Patienten erkranken lebensgefährlich und benötigen intensivmedizinische Behandlung»: Dieser Satz scheuchte letzten Sommer die Schweizer Medien und deren Leser auf. Die «Aargauer Zeitung», zum Beispiel, spitzte den Satz in einem Titel sogar zu und veröffentlichte die Schlagzeile: «10 Prozent aller Covid-19-Patienten schweben in Lebensgefahr».
Formulierung kam von der Medienstelle des USZ
Doch nachträglich stellte sich dies Aussage als übertrieben, reisserisch und schlicht unwahr heraus. Dabei stammt der Satz aus einer zweifellos seriösen Quelle: Das Universitätsspital Zürich (USZ) vermeldete, dass «eine neue Studie den Ärztinnen und Ärzten nun wichtige Informationen liefere zum individuellen Risiko und für die Therapie schwer erkrankter Patientinnen und Patienten schon bei deren Aufnahme auf der Intensivstation.»
Das Problem war, dass das USZ in seiner
Mitteilung zwei Dinge vermischt hatte – und die meisten Medien das nicht merkten. Sowohl die «Aargauer Zeitung», als auch das «St. Galler Tagblatt», «watson» sowie «Pilatus Today» glaubten, dass die alarmierende 10-Prozent-Quote das Resultat der USZ-Studie war.
Nur Intensivpatienten ausgewertet
Dies war aber ein Irrtum. Die Studie wertete nur den Krankheitsverlauf von Covid-19- Patientinnen und Patienten aus, die bereits ernsthaft krank waren und auf einer Intensivstation behandelt werden mussten.
Es ging also gar nicht darum, wie hoch der Anteil der lebensgefährlich Erkrankten an der Gesamtheit aller bestätigten Fälle ist. Zur Entlastung der Medien, welche die Schlagzeile brav nachbeteten, räumte der Presserat ein, dass bereits die Medienmitteilung des USZ den falschen Bezug hergestellt hatte.
«Aargauer Zeitung» zweifelte nicht an USZ-Aussage
Die «Aargauer Zeitung» führte denn auch zu ihrer Entlastung an, dass es das «übliche und angemessene Mass journalistischer Sorgfaltspflicht im Berufsalltag übersteigt», an der grundsätzlichen wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit einer Medienmitteilung eines schweizerischen Universitätsspitals zu zweifeln.»
Das leuchtete dem Presserat ein. Und es führte beim Gremium denn auch zu einer sehr ungewöhnlichen Feststellung: Im Normalfall ist es nicht die Aufgabe des Presserats, die Qualität einer Medienmitteilung zu beurteilen, da die Pressestellen nicht journalistisch arbeiten. Trotzdem wagt er es in diesem Fall, Kritik am Universitätsspital zu üben: «Der Presserat kommt in diesem Falle nicht umhin, festzustellen, dass die Medienmitteilung des USZ zumindest ausgesprochen missverständliche Passagen enthielt, welche die Redaktionen auf falsche Fährten führten.»
Zuerst abklären, dann veröffentlichen
Trotzdem wäre es die Aufgabe der Medien gewesen, angesichts der ungenauen Angaben in der Mitteilung zu hinterfragen: Wer ist mit «Covid-Patienten» gemeint? «Das muss in einer solchen Lage geklärt werden, bevor man publiziert», fand der Presserat. Bei schlechten Prognosen für Covid-Patienten gehe es nicht um ein übliches Thema. Es müsse deshalb kritisch angegangen werden.
Schliesslich rügte das Gremium die Medien «watson.ch», die CH-Media-Titel «Aargauer Zeitung», «St. Galler Tagblatt» sowie die Online-Seite «Pilatus Today». Sie haben die Behauptungen der USZ-Medienmitteilung unnachgefragt übernommen. Ohne Rüge weg kamen die «NZZ am Sonntag» und «higgs.ch». Diese beiden Medien haben beim USZ kritisch nachgefragt, ob die Zahl stimme.