Was die Chefärzte nervt – und sogar zur Kündigung treibt

Warum gibt eine Chefärztin oder ein Chefarzt das Amt auf? Betroffene antworteten für eine kleine Studie aus dem Kantonsspital St. Gallen. Die zeitliche Belastung ist offenbar nicht das Hauptproblem.

, 12. Januar 2017 um 07:25
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Der Ausgangspunkt war ein Gefühl: Geben nicht zunehmend mehr Chefärzte ihren Job auf? Und zwar vor dem Pensionsalter, ganz freiwillig, ohne Krach? 
Man kann dazu ja auch leicht Beispiele aus den letzten Monaten finden: Da gab etwa Chefarzt und Viszeralchirurg Raffaele Rosso am EOC-Spital Lugano bekannt, «jungen, frischen Kräften mit einem Geist der Innovation eine Chance geben zu wollen». Da liess sich STS-Chefchirurg Hans E. Wagner frühpensionieren – zum ausdrücklichen Bedauern der Spitalleitung. Oder da reichte Fritz Horber, der Chefarzt des Liechtensteinischen Landesspitals, seine Kündigung ein: Er wolle sich wieder der klinischen Praxistätigkeit widmen. In der Zeitung erklärte er dazu, er freue sich, bald «wieder eine angemessene Work-Life-Balance zu geniessen».

Zeitliche Präsenz zeigt Engagement

Das besagte Gefühl verleitete nun drei Vertreter des Kantonsspitals St. Gallen zu einer kleinen Studie. Mirjam Thanner, Betriebswirtschafterin, Kristina Milojkovic, Projektmitarbeiterin an der Frauenklinik, sowie René Hornung, der Chefarzt der Frauenklinik führten dazu Interviews mit 14 ehemaligen Chefärztinnen und Chefärzten – allesamt Vertreter des Fachgebiets Gynäkologie und Geburtshilfe.


Die Gesprächspartner zeichneten in den Interviews «ein Idealbild von Chefärztinnen und Chefärzten, welche eine medizinisch anspruchsvolle Tätigkeit ausführen, für die Teamarbeit und Nachwuchsförderung grosse Bedeutung besitzen und deren persönliches Engagement auch durch hohe zeitliche Präsenz im Spital und schnelle Erreichbarkeit spürbar ist»: So berichten die St. Galler Spurensucher nun in der «Schweizerischen Ärztezeitung».
Mit anderen Worten: Extrem lange Arbeitszeiten scheinen durchaus zum Selbst- und Idealbild der Befragten zu gehören.

Zu viel Bürokratie, zuwenig Mitsprache

Und so wurde die Belastung auch nur von etwa der Hälfte als denkbarer Ausstiegs-Grund genannt. Dennoch vermuten Thanner, Milojkovic und Hornung hier eine tiefere Ursache dafür, dass gewisse Chefinnen oder Chefs die Kündigung einreichen: Angesichts des Vielarbeits-Ethos geniessen Teilzeit-Lösungen eben arg wenig Akzeptanz. Und in diesem Umfeld bleibe «einer ärztlichen Führungsperson, die mehr Freizeit mit Familie oder Freunden verbringen will, wohl tatsächlich nur der Ausweg, dieses Amt aufzugeben.»
Die Autoren führten auch eine standardisierte Befragung durch, um mögliche Gründen für einen Ausstieg etwas zu gewichten. Fast alle Gesprächspartner nannten dabei die zu hohe Belastung durch administrative Tätigkeiten als entscheidenden Faktor. Als wichtig galten zudem die zu geringen Mitspracherechte bei klinikrelevanten Entscheidungen sowie eine ungenügende Klinikkultur.
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Welchen möglichen Gründen könnten Sie zustimmen? Erhebung aus der zitierten Studie.
Mit anderen Worten: Aspekte der Organisation standen ganz zuoberst auf der Verdachts-Liste. Die Autoren vermuten denn auch, dass «Anstrengungen zur Verbesserung der Organisationskultur, mehr Mitspracherechte bei klinikrelevanten Entscheidungen und administrative Entlastung» wichtige Erfolgsfaktoren für die Einbindung der Kaderärzte sein könnten.
Dies sei an sich noch nicht überraschend. Aber: «Die Herausforderung liegt vielmehr darin, diese nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch im klinischen Alltag zu leben und konkret umzusetzen.»


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