Analyse und KommentarCatherine Riva, Serena Tinari –
Re-Check.chIhre Bekannheit erstaunt nicht: in weniger als einem Jahr haben die Schweizer Medien gewisse Forscher in den Rang von VIPs erhoben. Während im Januar 2020 die Namen von Marcel Salathé, Jacques Fellay, Christian Althaus, Didier Trono, Samia Hurst-Majno, Richard Neher, Nicola Low, Martin Ackermann und Matthias Egger in der Öffentlichkeit kaum bekannt waren, weiss heute fast jeder in der Schweiz, wer diese Experten der Task Force sind.
Laut dem Magazin Horizonte des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) weist die Schweizer Mediendatenbank SMD allein für den Zeitraum von Januar bis Juni 2020 beispielsweise mehr als 1400 Einträge für Marcel Salathé und rund 700 Einträge für Christian Althaus (der im Januar 2021 aus der Task Force ausschied) auf. Diese Rekordzahlen verdeutlichen die Ergebnisse des Berichts «Qualität der Medien, Jahrbuch 2020», herausgegeben vom Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (fög): seit Februar 2020 sind die Medien in hohem Masse auf Experten angewiesen. Und die ersten, die rund um das Thema SARS-CoV-2 angefragt wurden, sind die Task Force Mitglieder.
Die offizielle Aufgabe dieser Forscher ist es, den Bundesrat, die Kantone und die Bundesverwaltung in der COVID19-Krise durch Empfehlungen zu beraten, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen sollen. Die Task Force beschränkt sich jedoch selten auf die Beratung. Seit Februar 2020 vergeht kein Monat, in dem nicht eines der Mitglieder oder sogar das gesamte Kollektiv aktiv in den Medien zu Wort kommt (wie zum Beispiel
hierhierhierhierhierhierhier im Juni, hier im Juli , hier im August, hier im September, hier im Oktober, hier im November und hier im Dezember 2020)
Meistens geht es darum, ein bedrohliches Bild der Situation zu zeichnen, die von den Behörden verordneten Massnahmen zu kritisieren und eine Verschärfung zu fordern. Und selbst wenn der Bundesrat zunächst beschliesst, ihren Empfehlungen nicht zu folgen, bekommt die Task Force am Ende fast immer, was sie empfiehlt: zum Beispiel die Maskenpflicht in
öffentlichen Verkehrsmitteln oder die
Schliessung von Restaurants, Bars und Nachtclubs.
Damit ist die Task Force heute eines der einflussreichsten Gremien des Landes und als solches verdient sie es, auf ihre Legitimität und die Qualität ihrer Arbeit hin überprüft zu werden.
Welcher Status? Welche Legitimation?
Es soll zunächst daran erinnert werden, dass die Task Force ein nicht gewähltes und nicht repräsentatives Gremium ist, sie ist weder dem Volk noch dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig. Sie hat sich auf Initiative, unter anderem, einiger ihrer Mitglieder selbst konstituiert. Aus den
Dokumenten, die wir auf einen Öffentlichkeitsgesetz-Antrag hin erhalten haben, geht hervor, dass Martin Ackermann, der derzeitige Vorsitzende der Task Force, Yves Flückiger (swissuniversities), Michael Hengartner (Präsident des ETH Rats) und Matthias Egger (Präsident des Schweizerischen Nationalfonds) am 24. März 2020 eine Word-Datei in drei Sprachen an Lukas Bruhin, den Leiter des für die Bewältigung der Coronavirus-Krise zuständigen Bundesratsstabs, geschickt haben. Diese Datei stellte ein «schlüsselfertiges» Konzept für eine wissenschaftliche ad-hoc-Task Force vor. Wir haben diese Word-Datei mit dem Dokument verglichen, mit welchem das BAG und das SFBI den Schweizerischen Nationalfonds (SNF), den ETH-Rat (Eidgenössische Technische Hochschulen), Swissuniversities und die Akademien der Wissenschaften Schweiz mit dem Auftrag betrauten, eine «Swiss National COVID-19 Task Force» einzurichten. Dieser Vergleich zeigt , dass Ackermanns Word-Datei nahezu unverändert übernommen wurde. Mit ein paar E-Mails, ein paar Telefonaten und einer Power-Point-Präsentation wurde dann die Task Force eingerichtet. Die Frage nach der Dauer des Mandats wurde nicht angesprochen.
Zusätzlich zu diesem Mangel an demokratischer Legitimation kommt, dass die Arbeitsweise der Task Force gelinde gesagt undurchsichtig ist. Ihre Mitglieder sind kooptiert d.h. die Ernennung von Neumitgliedern muss lediglich
in Abstimmung mit den Auftraggebern der Task Force, also vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) und dem BAG abgesprochen werden. Es gibt kein Reglement, das die Kriterien für die Aufnahme, das Wahlverfahren oder die Rotation festlegt. So wurde beispielsweise Pietro Vernazza, Chefarzt der Abteilung für Infektionskrankheiten am Kantonsspital St. Gallen, im März 2020 in das Expertengremium eingeladen, danach jedoch ohne Erklärung wieder
ausgeladen.
Auch an Transparenz bezüglich Interessenkonflikte von Task Force-Mitgliedern mangelte es lange Zeit. Als wir im April 2020 das SBFI und das BAG baten, uns die Interessenbindungen dieser Forschenden zukommen zu lassen, wiesen sie uns auf die Website der Expertengruppe hin, auf der zu diesem
Zeitpunkt nur Links zur Webseite des jeweiligen Forschers in der Institution, in der er oder sie arbeitet, zu finden waren. Eine solche Seite enthält jedoch im Prinzip keine Erklärung über Interessenkonflikte: Sie ist vor allem ein Raum, in dem der Wissenschaftler seine Arbeit im bestmöglichen Licht präsentiert, mit einer Liste seiner Veröffentlichungen und Auszeichnungen. Erst im
Juni 2020 wurden die formellen Interessenbindungen öffentlich einsehbar. Es bleibt jedoch die Frage der Überprüfung ihrer Vollständigkheit.
Ein weiteres Problem ist, dass weder die Legislative noch der Souverän eine Möglichkeit haben, zu erfahren wie die derzeit 70 Mitglieder der Task Force ihre Entscheidungen treffen: Ein weiterer Öffentlichkeitsgesetz-Antrag von Mike Wyniger, Filmemacher aus Bern, ergab, dass die Task Force kein Protokoll über ihre Sitzungen führt. Gian Casutt, Leiter Kommunikation des ETH-Rats, begründete das Fehlen der offiziellen Dokumente wie folgt: «Die Science Task Force macht an ihren Sitzungen, die alle virtuell stattfinden, keine Protokolle. Es gibt daher keine amtlichen Dokumente dazu. Wie Sie vielleicht wissen arbeiten die Mitglieder der Task Force ehrenamtlich und unentgeltlich, daher sind die Prozesse sehr schlank gehalten ohne grossen administrativen Aufwand». Diese Bereitschaft, unbürokratisch zu agieren, mag für die Mitglieder der Task Force Vorteile haben, stellt aber ein grosses Problem in Bezug auf Transparenz und die Möglichkeit demokratischer Kontrolle dar. Tatsächlich sieht das
Bundesgesetz über die Archivierung Folgendes vor: «Rechtlich, politisch, wirtschaftlich, historisch, sozial oder kulturell wertvolle Unterlagen des Bundes werden archiviert». Auf die so archivierten Dokumente können diejenigen zugreifen, die Öffentlichkeitsgesetz-Anträge stellen. Wenn die Task Force keine Protokolle ihrer Sitzungen führt, kann ein wichtiger Teil ihrer Aktivitäten niemals einer detaillierten Prüfung unterzogen werden, weder jetzt noch in Zukunft.
Schliesslich gibt es kein Dokument, das die Aussetzung der Aktivitäten der Task Force oder ihre Auflösung regelt.
Nichteinhaltung von Regeln und Vermischung der Rollen
Im Reglement war aber von Anfang an festgelegt, dass die Mitglieder der Task Force nicht direkt mit den Medien oder in sozialen Netzwerken kommunizieren sollen, es sei denn, sie täten dies ausschliesslich in ihrem eigenen Namen. Nur der Vorsitzende ist dazu berechtigt. Und wenn eine solche Mitteilung neue Massnahmen betrifft, darf sie erst erfolgen, nachdem sie von den Behörden bekannt gegeben wurden. Das Mindeste, was man sagen kann, ist, dass einige Mitglieder der Task Force diese Bestimmungen nicht immer berücksichtigen, wenn wir uns auf die
Regelmässigkeit ihrer öffentlichen Wortmeldungen in den Mainstream-Medien und sozialen Netzwerken beziehen.
Das
Interview mit Samia Hurst-Majno, das der Blick am 7. Februar 2021 veröffentlicht hat, ist sinnbildlich für das, was in den letzten zehn Monaten passiert ist. Diese Experten sprechen, wenn sie gefragt werden, nie nur als Forscher eines Fachgebiets. In den Medien heisst es dann immer, sie seien «Mitglieder der Task Force». Im Blick-Artikel wird Samia Hurst-Majno zum Beispiel zunächst als «Taskforce-Vizepräsidentin» vorgestellt und ihr Fachgebiet wird erst nach 7 (von 11) Fragen erwähnt. Die Forscherin spricht auch ausführlich über epidemiologische Fragen, vor allem über die Gefahr einer dritten Welle und die Entwicklung der Zahl der «Fälle». Aber auch über die Haltung der Einwohner der Schweiz (wir wären «zu wenig vorsichtig») und die Angemessenheit neuer Massnahmen. Das sind alles Themen, die nicht in ihren Kompetenzbereich, die Bioethik fallen. Das hindert Samia Hurst-Majno, wie auch andere Mitglieder der Task Force, nicht daran, sich ermächtigt zu fühlen, diese Aspekte zu kommentieren und gute und schlechte Punkte an die Bevölkerung und die Behörden zu verteilen.
Das Resultat dieser Vermischung der Rollen ist seit Monaten dasselbe: Aussagen von Task-Force-Mitgliedern machen Schlagzeilen. Sobald sie von anderen Medien aufgegriffen werden, werden sie zu «Fakten», die Ängste und Spannungen schüren und am Ende die Führungskräfte beeinflussen. Indessen ignoriert man Themen und Ergebnisse der Diskussionen zwischen den Führungskräften und der Task Force. Der Öffentlichkeitsgesetz-Antrag, den wir zu diesem Thema Mitte Januar 2021 eingereicht haben, wird voraussichtlich erst Ende Februar 2021 beantwortet. Wir werden unsere Leser auf dem Laufenden halten. Eines ist inzwischen sicher: die öffentlichen Äusserungen der Mitglieder der Task Force bestimmen regelmässig die Richtung der Debatte, obwohl das Reglement dieser Expertengruppe dies nicht vorsieht.
Aber sollte diese Unabhängigkeit der Task Force Mitglieder nicht doch als positiv angesehen werden?Ist damit nicht sichergestellt, dass Wissenschaftler ohne politischen Druck arbeiten können? Die Antwort könnte «ja» lauten, wenn der wissenschaftliche Output der Task Force von hoher Qualität wäre.
Dies ist leider nicht der Fall.
Weltuntergangsszenarien
Die von diesen Forschern erstellten Szenarien, Analysen und Modelle haben sich regelmässig als falsch erwiesen. Angefangen bei den Zahlen, die Christian Althaus, Emma Hodcroft, Richard Neher und Marcel Salathé in einem ersten
Schreiben an Alain Berset im Februar 2020 genannt haben. Die von ihnen vorgetragenen spektakulären Raten von schweren Fällen, Krankenhausaufenthalten und Todesfällen basierten unter anderem auf einer völlig fehlerhaften Modellierung des Imperial College London. Natürlich war es im Februar 2020 schwierig, etwas über das SARS-CoV-2-Virus zu wissen. Aber das Ergebnis war desselbe bei den Szenarien, die die Task Force und einige ihrer Mitglieder später bei Pressekonferenzen und in ihren Beiträgen in den Medien präsentierten: Sie waren oft und erheblich falsch, wie die folgenden drei Beispiele zeigen.
1. Entwicklung der Epidemie im Sommer 2020:Im April 2020 verkündete eine
Studie unter der Leitung von Jacques Fellay, ausserordentlicher Professor an der EPFL und dem CHUV und Mitglied der Task Force, dass die «allmähliche Lockerung der Anti-Coronavirus-Massnahmen in der Schweiz die Zahl der Infektionen erhöhen und einen Wiederanstieg während des Sommers verursachen könnte», mit «dem Ergebnis von 5000 bis 15’000 Todesfällen, oder sogar mehr als 20’000». Jacques Fellay war kategorisch: «Alle Gruppen, die die Epidemie in der Schweiz modellieren, kommen zu sehr ähnlichen Schlussfolgerungen. Die grosse Unbekannte ist die Auswirkung der schrittweisen Lockerung der derzeit geltenden Massnahmen. Die R0 wird nicht durch das Verbot einiger Festivals im Sommer unter 1,2 gehalten werden.»
Mitte Juni 2020 brachte die Task Force das Thema erneut: Ihr Leiter äusserte die Befürchtung, dass es im Sommer zu einer
zweiten Welle kommen könnte und
kritisierte die Massnahmen des Bundesrates als unzureichend. Tatsächlich gab es zwischen dem 1. Mai und dem 1. Oktober 2020 ohne Lockdown nie mehr als 0,29 Hospitalisierungen pro 100’000 Einwohner pro Tag (mit einem Maximum von 29 Hospitaliserungen an einem Tag) und nie mehr als 0,08 Todesfälle pro 100’000 Einwohner, die auf COVID-19 zurückgeführt wurden (mit einem Maximum von 7 Todesfällen an einem Tag). Diese Zahlen sind weit entfernt von den Vorhersagen der Experten. Unseres Wissens haben sie sie weder widerrufen, noch korrigiert. Sie haben sich auch nicht entschuldigt.
2. Überlastung der Spitäler im Herbst 2020:Im
Oktober, im
November und im
Dezember 2020, kritisierte die Task Force die Massnahmen im Hinblick auf fehlende Kapazitäten in den Spitälern wiederholt als nicht ausreichend. Die Schweizer Spitäler und ihre Intensivstationen waren jedoch zu keinem Zeitpunkt überlastet (
1) (2) (
3). Das hinderte die grossen Medien nicht daran, monatelang eine Atmosphäre der Panik aufrechtzuerhalten, indem sie Grafiken und rote Linien präsentierten, ohne die Daten in ihrem Kontext darzustellen oder in Perspektive zu setzen.
3. Entwicklung der Epidemie zwischen Mitte Dezember 2020 und Mitte Januar 2021: Mitte Dezember 2020 gab die Task Force bekannt, dass die Massnahmen nicht ausreichten und ein
Lockdown notwendig sei. Sie befürchte das
Schlimmste für die Feiertage. Tatsächlich ist die Zahl der Krankenhausaufenthalte und Todesfälle, die auf COVID-19 zurückgeführt wurden, seit Mitte Dezember stetig gesunken. Und das, obwohl viele Schweizer in den Kantonen, in denen die Skigebiete geöffnet waren, diese aufsuchten und in den Restaurants auf den Pisten assen (ein Verhalten, das das Schlimmste befürchten liess (
4), (
5)). Wieder einmal hat sich keine der düsteren Vorhersagen bewahrheitet: seit Anfang November zeigen alle Kurven («neue Fälle», Hospitalisierungen, Todesfälle) einen stetigen Rückgang. Und auch hier gab es keine Korrektur, keinen Rückzug und keine Entschuldigung seitens der Experten.
Die Frage nach den britischen, südafrikanischen und brasilianischen «neuen Varianten» wird wahrscheinlich der nächste Test für die Zuverlässigkeit der Vorhersagen der Task Force sein. Am 26. Dezember forderte die Task Force aufgrund dieser neuen Varianten erneut «
dringende zusätzliche Massnahmen in der Schweiz zur Bewältigung der Pandemie». Am 29. Dezember 2020 legte sie ihr «
Wissenschaftliches Update» zu diesem Thema vor, das auch die Variante B.1.1.7 («britische Variante») thematisiert. Dieser Text wurde von beunruhigenden Grafiken begleitet. Abhängig von den betrachteten Szenarien sagten die Verfasser eine Explosion der Fallzahlen voraus, die im April mit mehr als 20.000 neuen «Fällen» pro Tag ihren Höhepunkt würde erreichen können. Dieses Szenario würde Wirklichkeit werden, auch wenn durch «Eindämmungsmassnahmen» «die Reproduktionszahl der aktuell in der Schweiz dominierenden SARS-CoV-2 Stämme auf 0.9 gebracht» würde, «so dass die Zahl der Ansteckungen mit diesen Stämmen etwa alle vier Wochen halbiert» würde. Am gleichen Tag hielt Martin Ackermann eine Rede bei der Pressekonferenz, bei der er diese Grafiken präsentierte.
Die Fortsetzung gleicht einem «déjà-vu»: Am 30. Dezember gab der Bundesrat
bekannt, dass er die Massnahmen nicht verschärfen würde. Er
änderte dann aber seinen Kurs und führte am 13. Januar 2021 schärfere Massnahmen ein. Da alle Zahlen weiter fielen, wurde mit dem Auftauchen von Varianten argumentiert, die das Schlimmste zu befürchten liessen. Das Ergebnis war eine fünfwöchige Verlängerung der Schliessung von Restaurants, Kultureinrichtungen und Sport- und Freizeitanlagen. Aber auch die Einführung «neuer Massnahmen zur drastischen Reduzierung von Kontakten»: Homeoffice-Pflicht, Schliessung vieler Geschäfte, neue Einschränkungen für private Veranstaltungen und Versammlungen.
Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Task Force auch hier unnötigerweise den Teufel an die Wand gemalt haben könnte. Nach ihren
Szenarien, selbst den optimistischsten, hätte die tägliche Zahl der «neuen Fälle» bereits im Februar wieder ansteigen müssen. Bislang ist nichts dergleichen geschehen. Im Gegenteil, seit Anfang Februar liegt der 7-Tage-Durchschnitt bei weniger als 1500 «neuen Fällen» pro Tag. Derselbe
Indikator ist auch in Grossbritannien rückläufig, wo die neue Variante seit der letzten Dezemberwoche 2020 dominant ist. Ebenso wie die Anzahl der
Hospitalisierungen und
Todesfälle. Schliesslich kam eine
Studie des King’s College vom 1. Februar 2021 zum Schluss, dass es keinen Unterschied in Bezug auf Symptomatik und Schweregrad der Erkrankung zwischen der bekannten und der neuen Variante gibt .
Vielleicht hat in der Task Force der Wind jetzt gedreht. 24 Heures
fragte Martin Ackermann am 8. Februar, «ob er noch an die Möglichkeit eines Höchststandes von 20.000 glaube oder ob er das ‘Worst-Case-Szenario’ nach unten korrigiert habe». Aber es wurde keine klare Antwort gegeben: «Der Experte gibt keine Zahlen mehr für März oder April an.»
Was sind die Policy Briefs wert?
Szenarien und andere Modellierungen sind leider nicht der einzige problematische Aspekt der Arbeit der Task Force. Man kann auch die Qualität der von ihr veröffentlichten Policy Briefs in Frage stellen. («70+ papers!», jubelte Matthias Egger, ehemaliger Vorsitzender der Task Force, kürzlich in einem Tweet). «Die Swiss National COVID-19 Science Task Force behandelt in Policy Briefs dringende Fragen zur COVID-19-Krise»,
erklärt die Expertengruppe. «Sie geben die Ansichten der Task Force zu diesem Thema zum betreffenden Zeitpunkt wieder und basieren auf dem aktuellen Stand der Forschung und des Wissens. Bei Bedarf werden sie aufgrund neuer Studien oder Daten aktualisiert.»
Nehmen wir zwei Beispiele von Policy Briefs zu Massnahmen, die täglich mehrere Millionen Menschen in der Schweiz betreffen: das Tragen von Gesichtsmasken und PCR-Tests.
Ende Juli 2020 wies
InfoSperber darauf hin, dass im Policy Brief «
Strategy to react to substantial increases in the numbers of SARS-CoV-2 infections in Switzerland» (Nur auf Englisch verfügbar) vom 1. Juli 2020 z. B. die Behauptung, eine Meta-Analyse habe gezeigt, dass das Tragen einer Maske die Übertragung des Virus «um bis zu 80%» reduzieren könne, auf methodisch unhaltbaren Verkürzungen und ungenauen Zitaten beruht. Aber es gab den Medien die Munition, um Druck auf die kantonalen Behörden und den Bundesrat auszuüben. Und wurde trotz der von InfoSperberaufgezeigten Mängel nicht korrigiert.
Auch der PCR-Test ist ein sehr wichtiges Thema. Positive PCR-Tests sind heute faktisch die erste «Masseinheit» für die Schwere der Epidemie, denn sie sind die «neuen Fälle», die Tag für Tag in den Medien gemeldet und von den Behörden angeführt werden, um neue Einschränkungen zu rechtfertigen. Für die betroffene Person und oft auch für ihre Angehörigen ist ein positiver PCR-Test immer mit Konsequenzen verbunden: Quarantäne, Entzug des Rechts, die Wohnung zu verlassen, Verbot des Zugangs zu bestimmten Gebieten, Entzug des Kontakts zu Verwandten oder sogar Hospitalisierung für pflegebedürftige Personen. In diesem Zusammenhang würde man berechtigterweise erwarten, dass die Behörden und die Task Force grosse Sorgfalt walten lassen, um sicherzustellen, dass die Durchführung und Interpretation dieser Tests auf soliden Kriterien beruhen und nach den besten methodischen Standards ordnungsgemäss überprüft und bewertet
Das BAG adaptiert Empfehlungen der WHO nur selektiv
Im Januar 2021 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre
Anleitung zur Handhabung und Interpretation von PCR-Tests aktualisiert. In diesem Dokument weist die WHO darauf hin, dass bei abnehmender Prävalenz einer Krankheit das Risiko falsch-positiver Ergebnisse steigt, unabhängig von der behaupteten Spezifität des Tests. Weiter dass der PCR-Test ein diagnostisches Hilfsmittel und kein diagnostischer Test ist und schliesslich, dass die Anzahl der Amplifikationszyklen (Ct-Wert), die zum Nachweis des Virus mittels PCR-Test erforderlich sind, umgekehrt proportional zur Viruslast der getesteten Person ist. Aus diesem Grund empfiehlt die WHO, wenn die Testergebnisse nicht mit der klinischen Präsentation übereinstimmen (z. B. ein positiver Test bei einer symptomfreien Person), eine neue Probe entnommen und der Test wiederholt werden sollte und dass das Labor den Ct-Wert melden sollte. Schliesslich rät die WHO zur Vorsicht bei der Interpretation von schwach positiven Ergebnissen («weak positive results»).
Wir haben die Task Force gefragt, ob sie in Erwägung ziehen würde, der WHO zu folgen und zu empfehlen, dass Testzentren, Ärzte und Krankenhäuser erneut testen, wenn die getestete Person symptomfrei ist und dass die Labors die Anzahl der während des Tests durchgeführten Amplifikationszyklen angeben. Didier Trono, Virologe, Professor an der EPFL und Vorsitzender der Expertengruppe für Diagnostik und Tests der Task Force, antwortete: «Diese beiden Punkte haben mehr mit dem BAG als mit der Task Force zu tun, denn sie sind eher rechtlich als wissenschaftlich.» Das BAG hat uns seinerseits mitgeteilt, dass es nicht beabsichtigt, seine Richtlinien in diesem Bereich zu ändern.
Die Antwort von Didier Trono wirft die Frage auf, ob die Vorbehalte zum Thema wirklich «mehr juristisch als wissenschaftlich» sind. Denn die Frage nach der Nützlichkeit des PCR-Tests in Bezug auf seine Fähigkeit, vorherzusagen, ob eine Person infektiös ist oder nicht, wird seit einigen Monaten in der Fachliteratur diskutiert, wie eine
aktuelle Review von 29 Studien zeigt.Die vorläufigen Schlussfolgerungen dieser Review decken sich nicht mit denen des Policy Briefs «
An update on SARS-CoV-2 detection tests», der Ende Oktober 2020 von der Task Force veröffentlicht wurde. In diesem Dokument heisst es insbesondere: «Gängige Geräte führen 40 Amplifikationszyklen durch, und Ct-Werte von 37 und darunter gelten im Allgemeinen als eindeutig positiv, aber auch höhere Werte geben aufgrund der extremen Spezifität der Technik Anlass zu einem starken Verdacht auf eine Infektion.» («Commonly used machines perform 40 cycles of amplification, and CT values of 37 and below are generally considered as unequivocally positive, but even higher values raise a strong suspicion of infection owing to the extreme specificity of the technique.»)
Wir haben die Task Force und das BAG gefragt, ob aus dieser Aussage geschlossen werden könne, dass die meisten Ergebnisse der in der Schweiz durchgeführten PCR-Tests auf 40 Amplifikationszyklen basieren. Das BAG hat dies bejaht.
Didier Trono erklärte: «Die meisten Ergebnisse spiegeln Tests wider, die weit vor 37 Zyklen positiv werden. Diejenigen, die diese Stufe oder höher erreichen, sind aussergewöhnlich und werden normalerweise durch einen zweiten Test bestätigt.» Leider gibt es keine Studien oder Dokumente, die diese Behauptungen bestätigen, da nicht alle Labore systematisch den Ct-Wert bei der Meldung von Testergebnissen angeben.
Wir haben Didier Trono auch gefragt, welche Literaturhinweise den im Policy Brief angegebenen Ct-Wert von 37 unterstützten, sowie die Aussage, dass «selbst höhere Werte aufgrund der extremen Spezifität der Technik einen starken Verdacht auf eine Infektion aufkommen lassen», da wir dazu keine Publikationen finden konnten, die dies bestätigen. Zudem widersprechen sie den Ergebnissen, die in der aktuellen systematischen Übersichtsarbeit vorgestellt wurden.
Die Antwort von Didier Trono: «Dieser Kommentar (der Policy Brief, Anm. d. Red.) bezieht sich auf die Haltung der diagnostischen Labors in der Schweiz» und ist daher «nicht das Ergebnis einer Zusammenstellung von Literatur oder einer bestimmten Studie». Der Forscher erklärte weiter: «Es ist anzumerken, dass zwei der Mitglieder der TF (Task Force, Anm. d. Red.) Direktoren von diagnostischen Labors sind, nämlich Laurent Kaiser aus Genf und Alexandra Trkola aus Zürich, und an der Erstellung der entsprechenden Dokumente beteiligt waren. Darüber hinaus hat die TF seit Beginn der Pandemie regelmässig mit Teams aus anderen diagnostischen Einrichtungen diskutiert, gelegentlich auch aus dem privaten Sektor.»
Wie steht es um die EbM?
Tatsächlich gelten in der evidenzbasierten Medizin (EbM) Expertenmeinungen, wie eminent sie auch sein mögen, erst dann als Evidenz, wenn sie durch klinische Evidenz transparent gestützt werden. Dasselbe gilt für die Praktiken von Akteuren wie z. B. Labors: es reicht nicht aus, dass sie alltäglich sind, es muss auch überprüfbar sein, auf welcher Art von Beweisen sie beruhen.
Wir haben Didier Trono gefragt, auf welche Grundlagen die Experten ihre Behauptungen und auf welche die Labors ihre Praktiken stützen. Didier Trono antwortete uns wie folgt: «Bitte verschonen Sie mich mit den Predigten über EbM: Wenn im zitierten Dokument von « starkem Verdacht » die Rede ist, bezieht sich dies auf die qualitative Bewertung dieser Art von Ergebnis durch diejenigen, die diese Tests durchführen, in der gleichen Weise, wie ein Radiologe auf der Grundlage einer aussagekräftigen, aber nicht pathognomonischen Szintigraphie von « starkem Verdacht auf Lungenembolie » sprechen würde, wobei es dem medizinischen Versorgungsteam überlassen bleibt, dieses Ergebnis im Kontext der vom Patienten präsentierten Symptome und klinischen Zeichen zu interpretieren. Die Verwendung des Begriffs « starker Verdacht » ist daher nicht zu beanstanden, da er gar nicht quantitativ gemeint ist.»
Didier Trono hat sich in dieser E-Mail weiter ausführlich geäussert, ohne jedoch die Frage zu beantworten, die wir ihm gestellt haben. Wir wissen daher immer noch nicht, auf welche wissenschaftlichen Grundlagen sich die Task Force stützt, um von «starkem Verdacht auf eine Infektion aufgrund der extremen Spezifität der Technik» zu sprechen. Ein Punkt ist zudem überraschend: Das von Laurent Kaiser geleitete virologische Labor des HUG, das, wie Didier Trono betont, an der Erstellung des betreffenden Positionspapiers mitgewirkt hat, hat in einem
Rundschreiben vom April 2020 tatsächlich festgelegt: «Es ist zu beachten, dass für alle diese Techniken Ct-Werte über 35 sehr geringe Mengen viraler RNA darstellen.» Sehr geringe Mengen viraler RNA sind jedoch nicht mit einem «starken Verdacht auf eine Infektion» vereinbar.
Zusammengefasst: Trotz der Bedeutung der PCR-Tests in der aktuellen Krise sind die Task Force und das BAG der Meinung, dass es ausreiche, sich auf die aktuell angewandte Praxis zu verlassen und dass es nicht notwendig sei, einen transparenten Nachweis für ein gutes Nutzen-Risiko-Verhältnis vorzulegen. Das BAG antwortete: «Die Empfehlungen der Task Force sind klar und entsprechen der guten Laborpraxis in der Schweiz. In diesem Punkt stimmt das BAG mit der Task Force überein.» Und wenn der Vertreter der Task Force nach wissenschaftlicher Evidenz gefragt wird, wie sie in der EbM definiert ist, bittet er, «vor Predigten» verschont zu werden.
Wo sind die Studien?
Im Übrigen ist es bedauerlich, dass die Task Force die Durchführung von Studien in der Schweiz nicht vorgeschlagen hat, um festzustellen, ob die von ihr empfohlenen nicht-pharmazeutischen Massnahmen (Tragen von Masken, soziale Distanzierung, Lockdown, Einschränkung der Anzahl der genehmigten Treffen, Schliessung von Infrastrukturen) ein gutes Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweisen. Im April 2020
räumte sie allerdings ein, dass das Wissen, auf das sie ihre Empfehlungen stützte, unzureichend war. Und sie betont auf ihrer Website, dass sie als Teil ihrer Mission «die Forschungsfelder und -möglichkeiten» ermittelt, «in denen die Schweizer Wissenschaft rasch einen wichtigen Beitrag zum Verständnis und zur Bekämpfung von COVID-19 leisten kann». Die Dringlichkeit einer solchen Arbeit über den Nutzen nicht-pharmazeutischer Interventionen wurde im September 2020 vom Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin in Deutschland
unterstrichen. Und im November 2020
erinnerte eine in der medizinischen Fachzeitschrift BMJ veröffentlichte Analyse an die Notwendigkeit, den möglichen Schaden solcher Massnahmen zu berücksichtigen .
Während zehn Monaten hätten die Mitglieder der Task Force Zeit gehabt, zum Beispiel in der Schweiz Cluster-Studien zu den Vorteilen des Tragens von Masken, des Nicht-Zugangs zu bestimmten Strukturen und von Lockdowns zu konzipieren und durchzuführen. Zwar erhalten diese Experten keine zusätzliche Vergütung und ihre Zeit ist wertvoll, wie der oben zitierte Sprecher des ETH-Rats erklärte. Warum also nicht diese Zeit für Forschungsarbeiten verwenden, die Massnahmen aufzeigen, die wirklich etwas bewirken können, ohne der Bevölkerung zu schaden? Die kostbare Zeit wird jedoch genutzt, um sich an die Medien zu wenden und neue Kontroversen zu entfachen, indem die Prinzipien der Subsidiarität und das Funktionieren der Institutionen torpediert werden.
Es soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Task Force erhebliche Forschungsanstrengungen zu den Folgen der von ihr empfohlenen und im Land umgesetzten Massnahmen unternommen hat. Diese kürzlich geführte Umfrage zeigte den besorgniserregenden Zustand der psychischen Gesundheit eines wachsenden Teils der Bevölkerung auf. Aber auch hier ist die am 20. Januar 2021 veröffentlichte
Schlussfolgerung der Expertengruppe ernüchternd: Statt selbstkritisch zu sein – wenn sich die psychische Gesundheit der Bevölkerung verschlechtert, könnte das auch an den Massnahmen liegen, die die Behörden auf Empfehlung dieser Expertengruppe ergriffen haben –, empfiehlt die Task Force vor allem die «Reduzierung der Fallzahlen», sprich die Anzahl positiver Tests. Dies läuft in ihrer Logik darauf hinaus, noch schärfere Einschränkungen zu empfehlen.
Antworten auf all diese Fragen kann die Schweiz auch
nicht vom Nationalen Forschungsprogramm COVID-19 des Nationalfonds erwarten (NFP 78 COVID-19), das auf Initiative der gleichen Akteure lanciert wurde, die sich für die Einrichtung der Task Force eingesetzt haben und dessen Leitungsausschuss seit November 2020 von
Marcel Salathé präsidiert wird. Keines der ausgewählten Projekte zielt darauf ab, das Nutzen-Risiko-Verhältnis von nicht-pharmazeutischen Massnahmen zu bewerten, die seit Monaten Millionen von Menschen in der Schweiz auferlegt werden.
Nur gerade
zwei Projekte gehen indirekt auf diese Punkte ein, gehen aber von der Prämisse aus, dass diese Massnahmen (insbesondere Restriktionen) angemessen und effektiv seien und dass die Herausforderung darin bestehe, Instrumente zu entwickeln, um die Menschen zu überzeugen, diese einzuhalten. Auch hier scheinen die Forschungsprioritäten derjenigen, die sich als «die Schweizer Wissenschaft» präsentieren, äusserst voreingenommen zu sein.
Wollen wir wirklich so weiterfahren?
Diese tour d’horizon deutet darauf hin, dass die Task Force:
- kaum als wissenschaftlicher Beratungsausschuss agiert, der sich der Grenzen seines Mandats bewusst ist;
- sich kaum um die Komplexität von Fragen der öffentlichen Gesundheit sorgt (bei denen sich selbst die bestgemeinten Massnahmen als schädlich erweisen können);
- kaum bereit ist, grösstmögliche methodische Strenge an den Tag zu legen, indem sie transparent sowohl die von ihr herangezogenen Quellen als auch die Unsicherheiten des aktuellen Wissensstands darlegt.
Es ist auch etwas beunruhigend festzustellen, dass diese angeblichen Experten für öffentliche Gesundheitspolitik offenbar wenig Gewicht darauflegen, provokative Aussagen zu vermeiden, die am Ende die Öffentlichkeit beunruhigen und verängstigen. Die Bevölkerung befindet sich seit mehr als einem Jahr in einem permanenten Angstzustand und muss täglich sowohl mit alarmierender Medienberichterstattung als auch mit der unbestrittenen Last weitreichender Restriktionen fertig werden, die erhebliche Auswirkungen auf das tägliche private und berufliche Leben haben.
Das Verhalten der Task Force mit ihren öffentlichen Interventionen gleicht eher dem einer Lobbygruppe, deren Ziel es zu sein scheint, eine bestimmte Strategie zu fördern, selbst wenn sie dies durch selektive «Wissenschaft» erreicht und sie hat offenbar nicht die Absicht, ihre vergangenen Fehleinschätzungen einzugestehen oder aus ihnen zu lernen.
Die Task Force hatte mehr als zehn Monate Zeit, um zu zeigen, wozu sie fähig ist. Es ist an der Zeit, dass sich die Legislative – deren Schweigen seit Beginn dieser Krise ohrenbetäubend ist – und der Souverän fragen, ob sie diese Expertengruppe weiter bestehen und so arbeiten lassen wollen, wie sie es bisher getan hat.
Dieser Artikel ist zuerst auf Re-Check am 19. Februar 2021 erschienen:https://www.re-check.ch/wordpress/fr/wissenschaft-pandemie-task-force/