Die Kunst des optimalen Schrumpfens

Viele Lehrbücher dozieren, wie ein Unternehmen erfolgreich wachsen kann. Keines aber definiert, wie ein Betrieb gut schrumpft. Diese hohe Kunst sollten wir alle beherrschen – gerade im Gesundheitswesen.

Gastbeitrag von Stephanie Hackethal, 22. Dezember 2023 um 08:44
letzte Aktualisierung: 16. Januar 2024 um 06:46
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Unsere Gesellschaft kennt nur eine Richtung: den Pfeil nach oben. Mehr, grösser, weiter, stärker. Wachsen, wachsen, wachsen – so lautet das Motto. Aber ist das auch immer gut und richtig? Muss es wirklich immer mehr sein?
Im Endeffekt geht es doch darum, dass man das, was man macht, richtig gut macht. Oder besser gesagt: optimal und angemessen Wirkung erzeugt. Auf die Grösse allein kommt es dabei nicht an.
Stephanie Hackethal ist seit 2021 CEO und Vorsitzende der Geschäftsleitung des Kantonsspitals Glarus. Zuvor war sie unter anderem COO des Kinderspitals Zürich und Leiterin Unternehmensentwicklung am Spital Bülach.
Im Kantonsspital Glarus hiess die Strategie in der Vergangenheit – wie in den meisten Spitälern dieses Landes – stets: wachsen, alle Patientinnen und Patienten aufnehmen, maximale Kapazitäten vorhalten, möglichst viele Leistungen anbieten. Als Grundversorger, wie das Kantonsspital einer ist, musste man in die Breite gehen, um ein attraktiver Dienstleister und guter Arbeitgeber zu sein.
Mehr und mehr zeigt sich aber, dass wir dabei vergessen haben, worauf es am Ende ankommt: auf das optimale Verhältnis von Ressourcen zu Nachfrage. Und dabei ist kleiner und weniger oft mehr.

Tönt einfach, ist schwierig

Wir müssen also lernen zu schrumpfen, mit Augenmass Ressourcen reduzieren: Betten, OP und schlussendlich auch Mitarbeitende. Auch Leistungen gehören dazu, medizinische wie Supportleistungen.
So einfach sich das anhört, so schwierig ist es. Denn es ist viel leichter, Kapazitäten aufzubauen. Für das Abbauen und Reduzieren hingegen, da gibt es keine Anleitung.
In unserem Falle herrscht seitens Verwaltungsrat und Geschäftsleitung Konsens: Wir können und wollen nicht mehr alles anbieten. In der Konsequenz stellt sich also die Frage: Welche Patientin, welchen Patienten können wir aufnehmen oder müssen wir an Partner überweisen? Nicht etwa, weil es jemand besser kann als wir, sondern weil wir es uns nicht mehr leisten können.
«Vorhalteleistungen sind langfristig kein tragfähiges Rezept. Im Gegenteil – sie sind ein Risiko.»
Qualität und Patientensicherheit gehen vor, Wirtschaftlichkeit ist ganz unmittelbar damit verknüpft. Vorhalteleistungen sind langfristig kein tragfähiges Rezept. Im Gegenteil – sie sind ein Risiko, namentlich ein finanzielles. Nur wer konstant und angemessen eine Leistung rentabel erbringen kann, arbeitet nachhaltig und verlässlich.

Vom Mut, Nein zu sagen

Für einen kontrollierten Schrumpfungsprozess braucht es ein Commitment der Führung. Es braucht den Mut, auch Nein zu sagen. Das ist keine Bankrotterklärung. Wir müssen transparent und ehrlich festhalten, was wir fortan tun und was wir auch nicht mehr anbieten können.
Diese Entscheide – einmal gefällt – gilt es konsequent zu verfolgen, auch wenn der interne und öffentliche Diskurs vorerst anders verläuft. Die Verantwortung für das Ganze zu tragen, heisst auch, Gegenwind auszuhalten. Das ist einfacher gesagt als getan. Denn ein Kantonsspital ist ein emotionales Gut – es gehört gewissermassen allen, jeder Bürgerin, jedem Bürger.
Das ist Glück und Herausforderung zugleich: Die Glarner Bevölkerung identifiziert sich in enormem Masse mit unserem Spital. Das ist eine riesige Chance. Es muss gelingen zu erklären, dass dieses Vorgehen zu ihrem Besten ist, das Beste fürs Spital und das Beste für diesen Kanton. Wir streben das Optimum für eine gesunde Zukunft an.

Sparen ist kein Selbstzweck

In diesem Transformationsprozess konzentrieren wir uns auf unsere Kernaufgabe: die medizinische Grundversorgung. Diese ist essenziell für einen weitläufigen Kanton wie unseren. Es geht dabei aber nicht allein ums Sparen, es geht ums kontrollierte, gesunde Schrumpfen.
Das alles sind primär betriebswirtschaftliche, also technische Überlegungen. Hinter allem stehen jedoch auch Menschen, deren Mindset, Historie und Gewohnheiten. Ein solch komplexer und schmerzhafter Prozess geht nicht, ohne dass die Mitarbeitenden dieses Vorgehen mittragen.
«Nachhaltige Patientenversorgung kann und muss auch heissen: vorübergehend oder langfristig reduzieren.»
Nun schätzt der Mensch primär die Konstanz und mag Veränderungen nur bedingt. Dass dieser Vorgang Diskussionen und auch Unruhe auslöst, das ist verständlich
und auch richtig. Denn nur im Dialog finden wir zu den besten Lösungen. Leider gibt es aber auch Kräfte, die sich diesem verweigern. Das kann zum Bumerang werden. Denn so sichern wir die Patientenversorgung gerade nicht, sondern verunsichern alle.
Eine nachhaltige Patientenversorgung in unserem Spital und unserem Kanton kann und muss auch heissen: vorübergehend oder langfristig reduzieren, aufs Optimum fokussieren statt ein Maximum anstreben.
Wir gehen diesen Weg kontrolliert und mit Augenmass. Aber: ohne Anleitung und ohne Lehrbuch. Dieses Werk gilt es noch zu schreiben.
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