Die Verwechslung von Medikamenten kommt immer wieder und überall vor. Das deutsche Ärztenetzwerk
Coliquio hat Fehlerberichtssysteme durchforstet und fünf Arzneimittel-Paare aufgelistet, welche besonders hohes Verwechslungspotenzial haben.
1. Oxytocin und Dexamethason
Oxytocin fördert unter anderem die Wehentätigkeit, Dexamethason beugt Übelkeit und Erbrechen nach einem Kaiserschnitt vor. Im Fehlerberichtssystem
Cirsmedical heisst es: «Auf dem Narkosewagen liegen Dexamethason und Oxytocin. Die weisse Schrift der Medikamente auf dem hellbraun-dunkelbraunen Etikett lässt sich schlecht lesen.»
Wird bei einem Kaiserschnitt allerdings zu früh Oxytocin gespritzt, kann das Kind gefährdet werden. Gegenstrategie: Gut sichtbare Kennzeichnung mit einem wasserfesten Stift.
2. Ephedrin und Epinephrin
Ephedrin verengt die Gefässe, erweitert die Bronchien und erhöht den Blutdruck. Epinephrin – auch Adrenalin genannt – wird hingegen bei Herz-Kreislauf-Stillstand oder schweren anaphylaktischen Reaktionen angewendet. Eine Verwechslung könnte im Notfall verheerende Folgen haben. Auch hier sind sich die Spritzen farblich ähnlich. In diesem Fall haben die beiden Wirkstoffe auch einen ähnlichen Namen, was eine Verwechslung noch wahrscheinlicher macht.
3. Cotrim forte und Calcium forte
In einem weiteren Fall aus dem Fehlerberichtssystem kam es zu einer Verwechslung aufgrund einer unleserlichen, handschriftlichen Anordnung und ähnlicher Medikamentennamen. Bei einem älteren Patienten wurde Cotrim forte (Cotrimoxazol, Kombinationspräparat aus den Antibiotika Sulfamethoxazol und Trimethoprim) statt Calcium forte (Nahrungsergänzungsmittel) gelesen. Der Patient kam jedoch nicht zu Schaden, da er nach Erhalt des falschen Medikaments noch einmal nachfragte und es nicht einnahm.
4. Metamizol- und Laxanstropfen
In einem anderen Fall kam es zu einer Verwechslung von Metamizol- und Laxanstropfen aufgrund von ähnlich aussehenden Verpackungen. Wegen unklarer Durchfälle hätte der Fehler bis zu einer Isolierung der betroffenen Patienten führen können. Zudem kann die versehentliche Gabe von Laxantien zu einer Dehydratation und damit zu Verwirrtheit und Stürzen führen.
5. Urapidil und Tranexamsäure
Urapidil wird als Soforttherapie bei einer akuten Bluthochdruckkrise eingesetzt, während die Tranexamsäure bei schweren Blutungen zur Anwendung kommt. Eine Verwechslung der beiden Medikamente könnte fatale Folgen haben. Zudem werden beide Medikamente vor allem in Notfallsituationen verwendet, dementsprechend sind auch der Zeitdruck und Stresslevel hoch.
Verwechslungsgefahr besteht bereits beim Einsortieren im Ambulanzwagen. So seien beide Verpackungen identisch im Aussehen, hiess es im Fehlerberichtssystem. Auch die Ampullen-Aufkleber sähen sich zum Verwechseln ähnlich. Zudem stünden sie im Schrank nebeneinander, da alle Medikamente alphabetisch sortiert würden.
Lösungsstrategie: Urapidil nicht unter U, sondern unter E als Ebrantil – so der Handelsname einsortieren. So lassen sich die beiden Mittel wenigstens räumlich zu trennen.
Weitere Verwechslungen
Falsche Dosis für Morphiumpflaster: Das Komma wurde als Punkt geschrieben und deshalb übersehen: Bei 125 anstatt 12.5µg ist die Patientin beinahe nicht mehr aufgewacht.
Avastin statt Atorvastatin: Ein Patient gibt an, das Krebsmittel Avastin einzunehmen. Gemeint war aber das Statin Atorvastatin.
Steht Dipi für Dipidolor oder für Dipiperon? Eine missglückte Abkürzung: Der Stationsarzt verschreibt «Dipi b. Bed» gegen Schmerzen. Daraufhin kommt die Pflegefachfrau mit einem Medikamentenbecher, während die Patientin – selbst im Gesundheitswesen tätig – eine Injektion erwartete. Es zeigte sich, dass die Fachfrau den Unterschied zwischen Dipidolor (Wirkstoff Piritramid, Analgetikum aus der Gruppe der Opioide) und Dipiperon (Wirkstoff Pipamperon, Neuroleptikum) nicht kannte.
Grossbuchstaben wirken
Eine
wissenschaftliche Arbeit in Zürich zeigte, dass Grossbuchstaben in Medikamentennamen die Fehlerrate reduzieren können (siehe Bild oben).
Wegen tödlicher Verwechslung verurteilt
Viele Pflegefachfrauen empörten sich über das Urteil, vor allem jene, die den Arbeitsdruck, der zu einem solchen Fehler beiträgt, selber gut kennen: Lange Arbeitszeiten, überfüllte Spitäler, unvollständige Protokolle und die unvermeidliche zunehmende Nachlässigkeit, die sich in einem Job einschleicht, bei dem es täglich um Leben und Tod geht. Viele haben schon Medikamente verwechselt und ihren Fehler erst in letzter Minute entdeckt.
Eine Pflegefachfrau differenzierte: «Es gibt zwei Arten von Pflegefachleuten. Die einen gehen davon aus, dass sie niemals einen solchen Fehler machen würden, und normalerweise liegt es daran, dass sie nicht erkennen, dass sie es könnten. Und die zweite Art sind diejenigen, die wissen, dass dies jeden Tag passieren kann, egal wie vorsichtig sie sind.»