Assura versucht mit Online-Beratungsdienst Kosten zu sparen

Die Krankenversicherung Assura bietet ihren Versicherten an, dass sie sich vom deutschen Online-Beratungsdienst Betterdoc den besten Arzt oder das beste Spital für ihr Problem suchen lassen. Ist das die Zukunft?

, 19. Juni 2019 um 04:00
image
  • spital
  • assura
  • versicherer
Der Arzt empfiehlt eine Hallux-Operation. Doch die Patientin zögert. Ist es wirklich nötig, den Fuss zu operieren? Und wenn ja, bei welchem Chirurgen? Verwandte und Bekannte sind schnell mit Tipps zur Hand: «Auf keinen Fall operieren, dann geht es dir schlechter als vorher.» Oder die Befürworter: «Du musst unbedingt zu diesem Spezialisten, der macht das sehr gut.»
Doch oft sind die Ratschläge völlig widersprüchlich. Für Patienten ist es nämlich fast unmöglich, hinter die Kulissen zu blicken. Welcher Arzt hat die nötige Erfahrung? Leistet ein Spital gute Arbeit? Gäbe es Alternativen zu einer Operation?

Ein spezialisiertes Unternehmen schlägt bestes Vorgehen vor

Die Krankenversicherung Assura bietet ihren Versicherten deshalb versuchsweise einen Beratungsdienst an. Die Versicherten können sich von der deutschen Firma Betterdoc telefonisch das beste Vorgehen vorschlagen lassen. Betterdoc hat bisher 10 000 Fälle betreut und ist nach eigenen Angaben der Marktführer in Deutschland. Mehrere grosse deutsche Krankenkassen arbeiten mit Betterdoc zusammen.
Versuchsweise nutzt nun auch die Assura diesen Dienst. «Wir möchten herausfinden, wie nützlich eine solche Beratung für unsere Kunden ist und ob sich damit Behandlungskosten sparen lassen», sagt Karin Devalte von der Assura gegenüber Medinside.

Bewertet wird vor allem mit der Auswertung von Datenbanken

Die Zusammenarbeit von Betterdoc und Assura dürfte auch eine gute Gelegenheit sein, eine Datenbank mit Schweizer Arzt- und Spitalbewertungen von Patienten aufzubauen. Denn mit solchen Bewertungen arbeitet Betterdoc.
Die Firma versucht, die Qualität der Anbieter mittels Datenauswertung zu messen: Mit Patientenbefragungen, mit Qualitätsberichten der Spitäler, mit Fallzahlen und mit Zertifikaten. In komplizierten Fällen gibt Betterdoc seine Empfehlungen auch mit Hilfe von 2500 deutschen Ärzten ab, die ehrenamtlich für das Unternehmen arbeiten.

In 60 Prozent wird mit einer Zweitmeinung eine Operation vermieden

Innerhalb von 48 Stunden versucht das Unternehmen einen passenden Arzt oder ein passendes Spital für das jeweilige gesundheitliche Problem der Anrufenden zu vermitteln. Ziel ist es, den Patienten Ärzte und Kliniken mit hoher Spezialisierung, niedrigen Komplikationsraten und aktuellen Therapien-Standards zu schicken. In 60 Prozent, so rühmt sich Betterdoc, zeige sich sogar, dass eine geplante Operation unnötig sei und durch eine Zweitmeinung habe vermieden werden können.
Dass es gute und weniger gute Ärzte und Kliniken gibt, ist mittlerweile erwiesen. Betterdoc zitiert dazu Studien und warnt zum Beispiel im Fall von Prostata-Krebs-Operationen: Je nach Operateur kann danach eine schwere Inkontinenz bis zu 11 Mal häufiger auftreten. Oder nach einem Hüftgelenk-Ersatz: In schlechten Kliniken ist das Risiko einer erneuten Operation wegen Komplikationen um mehr als das 20fache höher als in den besten Kliniken.

Massive Unterschiede bei der Qualität von Herzkatheter-Eingriffen

Auch Herzkatheter-Operationen verlaufen je nach Spital ganz unterschiedlich: Bei einem Viertel der Spitäler gibt es dabei mindestens 51 Prozent mehr Komplikationen und Folgeeingriffe als bei jenem Viertel der Kliniken mit den geringsten Raten. Der Haken: Bei allen drei Studien handelt es sich um deutsche Spitäler.
Wie viel Betterdoc über die Verhältnisse an Schweizer Spitälern weiss, ist unklar. Schweizer Ärzte und Spitäler sind denn auch zurückhaltend mit der Bewertung der Betterdoc-Dienstleistungen: «Grundsätzlich unterstützt die FMH die Möglichkeit einer Zweitmeinung für Patienten und Patientinnen», sagt Yvonne Gilli vom FMH-Zentralvorstand auf Anfrage von Medinside. Sie schränkt aber ein: «Die Qualität der Beratung hängt davon ab, wer mit welcher Kompetenz und mit welchen Interessen die Beratung anbietet». Mit Betterdoc hat die FMH noch keine Erfahrungen.

Wie seriös sind die Spital-Empfehlungen für die Schweiz?

Auch die Schweizer Spitäler reagieren zurückhaltend auf den deutschen Beratungsdienst: Die Grundlagen, die Betterdoc nutzt, um Patienten einem Arzt oder einem Spital zuzuweisen, kennt Hplus nicht im Detail. «Doch viele solche Dienste arbeiten mit Rankings auf Basis von Qualitätsdaten, die aus Sicht von Hplus nur bedingt dafür geeignet sind, Rankings zu erstellen», gibt Mediensprecherin Dorit Djelid zu bedenken.
Hplus betreibt ebenfalls ein Spitalsucheportal www.spitalinfo.ch, das auf Rankings verzichtet. Es gibt aber bei den einzelnen Spitalprofilen Angaben zur Patientenzufriedenheit und den Qualitätsbericht. Damit will Hplus den Nutzern ebenfalls bei der Suche nach dem passenden Spital helfen.

Bei jeder Anfrage geben Patienten viele Gesundheitsdaten preis

Derzeit bietet die Assura die Betterdoc-Beratung gratis an. Die daraus folgenden Arztkonsultationen oder Spitalaufenthalte werden normal abgerechnet. Die Assura versichert, dass sie keine Gesundheitsdaten oder anderweitige Details zu den Anfragen erhält, die ihre Versicherten bei Betterdoc machen. Die Firma melde nur die Namen, Adressen, Geburtsdaten und Versichertennummern der Teilnehmer an die Assura.
Doch das darf die Versicherten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ihre persönlichen Gesundheitsdaten trotzdem preisgeben: Zwar nicht gegenüber der Krankenkasse. Aber dem Beratungsdienst müssen sie viele persönliche Gesundheitsdaten und ärztliche Diagnosen liefern. Diese nutzt Betterdoc dann zusammen mit den Erfahrungen der Patienten wiederum für weitere Empfehlungen.

Die häufigsten Fragen: Eingriffe an Hüfte, Knie, Schulter und Sprunggelenk

Die häufigsten Anfragen von deutschen Patienten an Betterdoc betrafen bisher orthopädische Operationen an Hüfte, Knie, Schulter und Sprunggelenk, Krebs-Operationen an Blase, Darm und Prostata sowie chronische Erkrankungen mit schlechtem Behandlungserfolg.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Jede Notfall-Konsultation kostet 460 Franken

Notfallstationen werden immer öfter besucht. Eine Obsan-Studie bietet neue Zahlen dazu. Zum Beispiel: 777'000 Personen begaben sich dreimal in einem Jahr auf den Spital-Notfall.

image

Zürcher Krankenhäuser und Versicherer haben sich geeinigt

Nun ist ein jahrelanger Streit beendet: Die Zürcher Spitäler vereinbaren mit Helsana, Sanitas und KPT einen Taxpunktwert von 93 Rappen - ein Kompromiss.

image

Balgrist-Team behandelt im Spital Männedorf

Das Spital Männedorf hat eine neue Klinik für Orthopädie und Traumatologie. Das Team kommt vom Balgrist.

image

Solothurner Spitäler: Bericht zu CEO-Lohn bleibt vorerst geheim

Noch ist unklar, ob Zusatzzahlungen an den Ex-Chef der Solothurner Spitäler rechtens waren. Der Bericht dazu ist da - aber nicht öffentlich.

image

Kispi wegen «Riesenfete» kritisiert – doch die Köche arbeiten gratis

Das überschuldete Kinderspital Zürich feiere seinen Neubau mit einem Michelin-Sternkoch, schreibt ein Online-Medium provokativ.

image

Weitere Umstrukturierung bei Hirslanden – Thomas Bührer in die Konzernleitung

Die Spitalgruppe schafft intern eine neue «Region Mittelland». Damit sollen die Versorgerregionen auch näher an der Konzernleitung sein.

Vom gleichen Autor

image

SVAR: Neu kann der Rettungsdienst innert zwei Minuten ausrücken

Vom neuen Standort in Hundwil ist das Appenzeller Rettungsteam fünf Prozent schneller vor Ort als früher von Herisau.

image

Kantonsspital Glarus ermuntert Patienten zu 900 Schritten

Von der Physiotherapie «verschrieben»: In Glarus sollen Patienten mindestens 500 Meter pro Tag zurücklegen.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.