Die Zahl der Eintritte in Notfallstationen nimmt konstant zu. Und die Entwicklung steht in keinem Verhältnis zum Bevölkerungswachstum. Das stellen die Fachleute des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums Obsan fest. Wegen der
Resultate ihrer Studie gehen sie davon aus, dass der Grund für diese Zunahme vor allem bei der veränderten Art der Arztkonsultation liegt – dies vor allem bei jungen Erwachsenen.
«Notfallstationen dienen gerade bei ambulant behandelbaren Erkrankungen immer häufiger als Tor zum Gesundheitssystem», stellt Pierre-Nicolas Carron, Leiter der Notfallstation im Universitätsspital Lausanne (CHUV) fest, wenn er die erhobenen Zahlen analysiert.
Aber nicht nur jüngere, sondern auch ältere Menschen nehmen Notfallstationen zunehmend häufig in Anspruch. «Dieser Anstieg spiegelt das Wachstum dieser Bevölkerungsgruppe in unserer Gesellschaft, ihre Vulnerabilität und ihre Morbidität wider», so Carron. Nach wie vor bilden aber Kleinkinder (0–5 Jahre) die grösste Gruppe der Notfallpatienten, gefolgt von den jungen Erwachsenen (19–25 Jahre).
Rekordjahr 2022
Im Jahr 2022 wurden in den Notfallstationen der Spitäler 2,25 Millionen ambulante Eintritte gezählt. Dies waren über 6000 Eintritte pro Tag. Werden diese Eintritte ins Verhältnis zur Bevölkerung gesetzt, so entspricht dies im Durchschnitt 255 Eintritten pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner. Im Jahr 2022 machten die Eintritte in Notfallstationen 9,2 Prozent aller ambulanten Konsultationen aus.
Die Kosten für die medizinische Versorgung der Patienten in Notfallstationen beliefen sich 2022 auf mehr als eine Milliarde Franken – auch dies ein Rekord. Umgerechnet entspricht diese Zahl durchschnittlichen Kosten von 458 Franken pro Eintritt.
Je nach Kanton gibt es aber Unterschiede. So betragen die Kosten für eine Versorgung in einer Notfallstation zwischen 625 Franken im Kanton Nidwalden und 375 Franken im Kanton Waadt.
Knapp ein Viertel der Patientinnen und Patienten begeben sich wiederholt in eine Notfallfallstation. Dieser Anteil hat seit 2017 zugenommen. Damals betrug er noch 21,7 Prozent. 2022 suchten bereits 24 Prozent der Patienten wiederholt eine Notfallstation auf, rund 8 Prozent sogar dreimal und mehr.
Oder in Zahlen: 777'000 Patientinnen oder Patienten begaben sich im Erfassungsjahr 2022 dreimal auf einen Spital-Notfall.
Mehr Notfallbesuche in der Westschweiz
In den Spitälern der Westschweiz und des Tessins werden häufiger Notfallstationen besucht. Im Kanton Jura sind es 357 Eintritten pro 1000 Einwohner, in der Waadt 330 in Neuenburg 325 und im Tessin 319. Die tiefsten Raten haben Uri mit 152 und Appenzell Innerrhoden 109 Eintritten pro 1000 Einwohner.
Die Studienautoren geben verschiedene Gründe für diese Unterschiede an: Etwa die Hausarztdichte oder die Einschätzung der Patienten, ob ein Notfall vorliegt oder nicht. An einigen Orten kommt es auch öfter vor, dass der ärztliche Bereitschaftsdienst in die Spitäler integriert ist.
Das Covid-Paradox
Die Zahlen zeigen auch das so genannte Covid-Paradox: In den ersten Wellen von Covid-19 nahm die Arbeitsbelastung in Notfallstationen ab, obwohl viele Patienten mit Atembeschwerden aufgenommen wurden. Patienten - insbesondere in den jüngeren Altersgruppen - waren offenbar zurückhaltender, eine Notfallstation aufzusuchen.
In der Obsan-Studie wird aber auch ersichtlich, dass es während der Pandemiejahre eine Verlagerung der medizinischen Tätigkeiten zu Hausärztinnen und Hausärzten gab. Die Studienautoren orten deshalb auch für die Zukunft ein Potenzial für die Verlagerung der Konsultationen von den Notfallstationen der Spitäler in die Arztpraxen.
So könnte der Anstieg gebremst werden
Bei einem ausreichenden Angebot an medizinischer Grundversorgung in den Arztpraxen, so die Autoren, könnten Patienten vermehrt dorthin verwiesen werden.
Diese Erkenntnis sei umso wichtiger, als die Rate der Inanspruchnahme von Notfalldiensten nach der Pandemie im Jahr 2022 ihren Höhepunkt erreicht habe, auch verglichen mit dem Zeitraum vor der Pandemie, und daher mit einer weiteren Zunahme dieser Inanspruchnahme gerechnet werden müsse.