Assistenzärzte am Centre hospitalier universitaire vaudois
(CHUV) sitzen dreimal so lange vor dem Computer als vor den Patienten. Konkret sind es 1,7 Stunden beim Patienten, 5,2 Stunden an elektronischen Geräten wie Computer oder Tablet.
Dies hat die Ärztin Nathalie Wenger vom Unispital Lausanne in einer Studie mit 36 Medizinern herausgefunden. Ihre Ergebnisse hat sie nun im Fachmagazin «Annals of Internal Medicine» veröffentlicht.
Insgesamt wurden in der Studie fast 700 Arbeitsstunden von 23 Assistenzärztinnen und 13 Assistenzärzten der Inneren Medizin am CHUV beobachtet. Im Schnitt hatten alle ihr Studium vor zwei Jahren abgeschlossen.
Die Tätigkeiten verteilten sich wie folgt:
Patient (indirekt): 52 Prozent: Patientenakten dokumentieren, mit anderen Ärzten zusammenarbeiten, Informationssuche. Patient (direkt): 28 Prozent: klinische Untersuchung und medizinische Handlungen.Ausbildung, Training, akademische Forschung: 6 ProzentKommunikation mit Patienten und Angehörigen: 2 ProzentAndere Tätigkeiten: 12 Prozent (zum Beispiel Verschiebung von Patient zu Patient)Knapp eine Viertelstunde pro PatientDie zwei Tätigkeiten, die über eine Stunde Zeit benötigten, waren Erfassung der Patientenakte in den elektronischen Patientendossiers und die tägliche Patientenvisite. Im Schnitt verbrachten die Ärzte jeweils 14,6 Minuten pro Tag bei einem Patienten.Ausserdem geht aus der Time-and-Motion-Studie hervor, dass die an der Studie teilnehmenden Ärzte pro Tag rund 1,6 Stunden mehr als geplant arbeiteten. Sie kamen im Schnitt auf 11,6 Stunden pro Tag. Die Studie wurde zwischen Mai und Juli 2015 durchgeführt.
Nathalie Wenger, MD; Marie Méan, MD; Julien Castioni, MD; Pedro Marques-Vidal, MD, PhD; Gérard Waeber, MD; Antoine Garnier, MD, MBA. «Allocation of Internal Medicine Resident Time in a Swiss Hospital: A Time and Motion Study of Day and Evening Shifts», in: «Annals of Internal Medicine», Januar 2017.
E-Health-Tools: Verbesserungspotential
Die Studie enthält auch einen Hauch Kritik am digitalen Zeitalter. «Trotz verbesserter Technologie haben elektronische Patientendossiers (EMR) die Versprechen in der Spitalpraxis bisher nicht erfüllt», steht im Papier.
Das heisse nicht, digitale Tools seien schlecht oder gut. Die Erkenntnis, dass Assistenzärzte 50 Prozent der Zeit am PC verbringen, sollte aber dazu führen, über die Zeitstruktur von Assistenzärzten nachzudenken, sagt Wenger
in einem Interview mit der Plattform «Medscape».Hauptziel: Zufriedenere Ärzte
Mehr Zeit für Patienten und weniger Bildschirmarbeit müsse auch nicht unbedingt mehr Wohlempfinden für Patienten bedeuten. Aber die Zeit am Computer zu reduzieren, hat laut den Studienautoren folgende Vorteile:
- Es führt zu mehr Zufriedenheit bei den Ärzten.
- Es reduziert Stress und Burnout.
- Es hilft, die (freigewordene) Zeit für die Ausbildung zu nutzen.
Es braucht eine Veränderung
E-Health und andere digitale Technologien sollen laut Wenger die Effizienz der Gesundheitsversorgung erhöhen und nicht verhindern.
«Unsere Ergebnisse zeigen, dass organisatorische und technologische Veränderungen erforderlich sind». Dazu gehören laut Experten unter anderem Delegieren von administrativen Aufgaben oder Optimierung der Dokumentation über Sprach- oder Schreiberkennungssysteme.