Anfang Juli vor über zehn Jahren suchte eine Patientin wegen eines Hämorrhoidalleidens eine Arztpraxis im Kanton Aargau auf. Für den nächsten Tag wurde eine Darmspiegelung vereinbart. Die Gastroenterologin führte die Koloskopie durch, entfernte dabei einen zufällig gefundenen Polypen und behandelte gleichzeitig die Hämorrhoiden. Der Patientin wurde ein Informationsblatt ausgehändigt, ein Fragenkatalog und eine Einwilligungserklärung lagen unterschrieben vor, eine weitere mündliche Aufklärung erfolgte nicht.
In den Tagen nach dem Eingriff klagte die Patientin über anhaltende Schmerzen. Trotz Anrufen ihres Partners in der Praxis wurden keine weiteren Untersuchungen veranlasst. Einige Tage später wurde die Frau notfallmässig ins Spital eingeliefert, wo wegen einer gedeckten Kolonperforation eine Laparotomie mit Hemikolektomie links mit Transverso-Sigmoidostomie durchgeführt wurde.
In den folgenden Tagen traten weitere Komplikationen auf, die eine Abszessdrainage und weitere Notfallbehandlungen erforderlich machten.
Hat die Patientin nun eingewilligt oder nicht?
Sieben Jahre später klagte die Patientin auf Schadenersatz, unter anderem wegen Verletzung der Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht. Die Patientin verlangte die Verurteilung der Ärztin zur Zahlung von über 1,1 Millionen Franken: für Erwerbs-, Haushalt-, Renten-, Betreuungs- und Pflegeschaden, Ersatz der Heilungskosten und der Anwaltskosten sowie eine Genugtuung. Das Bezirksgericht Aarau wies die Klage aber ab und das Aargauer Obergericht bestätigte diesen Entscheid im Sommer dieses Jahres.
Die fremdsprachige Patientin machte unter anderem geltend, sie habe den Polypen nicht oder jedenfalls nicht ohne Bedenkzeit entfernen lassen wollen. Sie habe auch nicht in die Polypektomie eingewilligt. Damit sei ihr Selbstbestimmungsrecht übergangen worden. Kurz: Es habe keine Einwilligung in die Polypektomie (Polypenentfernung) vorgelegen. Die Frau argumentiert, dass sie bei ordnungsgemässer Aufklärung den Eingriff abgelehnt hätte und legte Beschwerde beim Bundesgericht ein.
Gastroenterologin nicht haftbar
Das Bundesgericht hat die Klage nun aber unter Auferlegung der Gerichtskosten von 7000 Franken abgewiesen, wie aus einem kürzlich publizierten Entscheid hervorgeht. Es kam zwar ebenfalls zum Schluss, dass die Patientin nicht ausreichend über die Behandlung und deren Risiken aufgeklärt worden war. Doch das höchste Gericht stützt das Argument der «hypothetischen Einwilligung», wonach ein Patient, wenn eine ausreichende Aufklärung nicht nachgewiesen werden kann, sich für die Operation entschieden hätte.
Für das Bundesgericht steht zudem fest, dass die Perforation der Darmwand nicht unmittelbar anlässlich des Eingriffs, sondern erst sekundär einige Tage später erfolgte.
Es genüge ausserdem nicht, wenn die Patientin rückblickend – nach dem nicht planmässig verlaufenen Eingriff – einfach behaupte, sie hätte bei korrekter Aufklärung «nie und nimmer» in die Behandlung eingewilligt. Und es seien keine persönlichen Gründe, Haltungen oder Überzeugungen erkennbar, die plausibel machen, dass die Patientin bei gehöriger Aufklärung aus damaliger Sicht in einen echten Entscheidungskonflikt geraten wäre und die (medizinisch indizierte) Polypenentfernung mit gleichzeitiger Koloskopie abgelehnt oder aufgeschoben hätte.
- 4A_415/2023 Urteil vom 11. Oktober 2023