Der Marburger Bund plant eine Urabstimmung über Streiks zu Beginn des nächsten Jahres. Dies teilte die Ärzte-Organisation am Samstag mit. Sie erachtet die Tarifverhandlungen mit den kommunalen Krankenhäuser (beziehungsweise mit deren Arbeitgeberverbänden) als gescheitert.
Das Angebot der Spitäler sei eine «völlige Verkennung der Erfordernisse ärztlicher Arbeitsbedingungen», befand die Verhandlungskommission. Es sei «ungeeignet, die Verhandlungen zu einem Abschluss zu bringen»,
Verhandelt wird um einen neuen Tarifvertrag für rund 60'000 Ärztinnen und Ärzte in Gemeinde-Spitälern in ganz Deutschland. Der Marburger Bund fordert dabei eine Reform der Schicht- und Wechseldienst-Regelungen, eine Erhöhung der Löhne um 8,5 Prozent sowie finanzielle Verbesserungen bei Pikettdiensten.
Die Arbeitgeberseite offerierte zuletzt Gehaltserhöhungen um 5,5 Prozent, ferner eine Steigerung des Nachtzuschlags von 15 auf 20 Prozent sowie eine Einmalzahlung von 500 Euro.
Frankreich, Belgien, Slowenien, USA…
Bereits im letzten Januar waren in Deutschland
tausende Ärzte in den Streik getreten: Damals waren es die Mediziner der Unikliniken, die auf diese Weise lineare Lohnerhöhungen um 12,5 Prozent einforderten. Im März gelang dann eine Einigung: Die Uni-Mediziner erhalten nun einen Gehaltsanstieg um 10 Prozent, verteilt auf zwei Schritte.
Überhaupt lässt sich feststellen, dass in den letzten zwei Jahren im europäischen Gesundheitswesen verstärkt zum Mittel des Streiks gegriffen wird – ob in Deutschland,
Frankreich,
Belgien oder
Slowenien. Denn die Problematik ähnelt sich: Der finanzielle Gürtel der Spitäler und Kliniken ist eng geworden; auf der anderen Seite erhöht der europaweite Fachkräftemangel überall den Druck aufs Personal; und das Personal wiederum kann in dieser Lage mehr Gegendruck aufbauen. Weshalb auch
die USA jüngst – und ebenfalls ungewohnt – einen Ärztestreik erlebten.
…Schweden, Grossbritannien
Symptomatisch war etwa der
Fall Schweden, wo sich das Pflegepersonal zwischen April und Juni 78 Tage lang verweigerte – in den ersten Streiks seit 16 Jahren. Die Methode dort: Die Spital- und Klinikangestellten weigerten sich, Überstunden zu leisten – unter anderem mit dem Verweis, dass alleine das Pflegepersonal landesweit 3 Millionen Überstunden angehäuft habe.
Die Einigung, die im Juni gelang, sieht nun vor, dass die Arbeitszeit jener Gesundheits-Angestellten, die Nachtschichten leisten, um 10 Prozent gekürzt wird; dass die Löhne um 3 Prozent steigen; und dass gewisse Spezialisierungen im Pflegebereich nochmals besonders vergütet werden.
Historisch war auch die Streik-Reihe, die
Englands Gesundheitssystem zwischen Januar und September überstehen musste: Damals verweigerten 60'000 NHS-Mediziner immer wieder die Arbeit – nachdem sie schon im Jahr davor an insgesamt 28 Tagen in Ausstand gewesen waren. Die Junior respektive Resident Doctors forderten unter anderem eine Lohnerhöhung um 35 Prozent.
Das mag aus hiesiger Sicht als sehr hoch erscheinen – doch Grossbritannien erlebte in den vergangenen Jahren eine viel höhere Inflation. Und so erklärte die Ärzteorganisation BMA ihre Forderung schlicht damit, dass die Reallöhne so wieder aufs Niveau von 2008 gehoben werden sollen. Im September gelang dem neuen Gesundheitsminister
eine Einigung: Die jungen Mediziner erhalten Lohnerhöhungen um 22 Prozent, verteilt auf zwei Jahre.
Südkorea: Ärztestreik mit Nebeneffekten
Speziell war der grosse Ärztestreik in Südkorea: Dort reichten 13’000 Ärzte und Assistenzärzte im Februar dieses Jahres kurzerhand ihre Kündigung ein, und 8'800 Ärzte legten die Arbeit nieder.
Der Grund? Die Regierung plante, mehr Medizin-Studienplätze zu schaffen und damit dem auch in Südkorea drohenden Ärztemangel vorzubeugen: Ab 2025 soll die Zahl der jährlich zugelassenen Medizinstudenten um 2000 höher liegen, so der Beschluss.
Die etablierten Ärzte fürchteten jedoch Einbussen bei den Löhnen und auch weniger Karrierechancen und forderten, dass die Übung abgebrochen wird.
Die Regierung konterte und brachte im August 2024 ein neues Krankenpflegegesetz durchs Parlament in Seoul. Danach erhalten Pflegefachleute ab Mitte 2025 mehr medizinische Kompetenzen. «Physician Assistant Nurses» dürfen bestimmte medizinische Verfahren durchführen und Ärzte stärker bei Operationen unterstützen.