Dass die Tarifsenkung für Laboranalysen bereits nach nur zwei Jahren ihre Wirkung verloren hat, ist eine Sache. Besonders fragwürdig ist aber der Umstand, dass die Mengenausweitung zu einem wesentlichen Teil mit Vitaminspritzen erzielt wurde, deren wissenschaftliche Basis sehr dünn ist. Medinside berichtete
hier darüber.
Kostenanstieg: 12 Prozent
Im ersten Semester 2023 betrugen die Kosten der Auftragslabore 492 Millionen Franken. Ein Jahr später stiegen sie in der gleichen Zeitspanne auf 553 Millionen; plus 12 Prozent. Damit zahlten die Krankenkassen im zurückliegenden Semester mehr für Laboranalysen als vor dem Tarifschnitt, den der Bundesrat vor zwei Jahren vorgenommen hatte.
Brisant: Gemäss Santésuisse betreffen die drei grössten Posten ausgerechnet Vitaminspritzen: Holo TC, eine Messung für Vitamine B12, Vitamin D und ein direkter Test für Vitamin B12. Das berichtete die
«Rundschau» des Schweizer Fernsehens.
Placebo-Effekt
Thomas Rosemann ist Direktor des Instituts für Hausarztmedizin an der Uni Zürich. «Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass eine derartige Verabreichung irgendwelche positiven Effekte bei den Menschen hat - über den Placebo-Effekt hinaus.»
Somit dürften solche Tests gar nicht über die Grundversicherung abgerechnet werden, sofern man den Gesetzestext zum Nennwert nimmt. Behandlungen müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein. Vitamintests vermögen laut Rosemann die WZW-Kriterien nicht zu erfüllen.
Keine positiven Auswirkungen
Egal welche sogenannten Endpunkte man untersucht habe - sei es Müdigkeit, sei es kognitive Leistungsfähigkeit bei B12 oder seien es Frakturen, Herzkreislauferkrankungen oder Tumoren beim Vitamin D - in keiner dieser Studien hätten die Einnahmen dieser Substanzen positive Auswirkungen gezeigt. Dazu Rosemann: «Wenn schon die Substanz und deren Einnahme nichts bringt, dann ist es ja umso absurder, auch noch einen Spiegel für teures Geld zu testen.»
«Also sind Vitaminspritzen gugus?» fragt die Reporterin den Spezialisten: «Ja, ein Schmarren».
Das sagt das BAG
Der Kostenanstieg bestimmter Laboranalysen zulasten der OKP ist auch dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) aufgefallen. Der Mengenanstieg lasse sich nicht mit der demografischen Entwicklung oder einem neuen nachgewiesenen medizinischen Bedarf erklären, schreibt das Amt in einem
Rundschreiben vom 18. Januar 2023.Es hält in diesem Rundschreiben fest: «Die Bestimmung des Vitamin-B12-Spiegels geht zulasten der OKP, wenn sie bei Personen durchgeführt wird, die Symptome aufweisen, die auf eine durch Vitamin-B12-Mangel induzierte Erkrankung hindeuten.»
Hingegen stelle die Bestimmung des Vitamin-B12-Spiegels keine Pflichtleistung dar, wenn sie «bei Personen ohne Symptome, die auf eine durch einen Vitamin-B12-Mangel induzierte Erkrankung hindeuten.»
Ärzte ignorieren Vorgaben
Thomas Rosemann sagt in der «Rundschau»: «Wenn man sich ans BAG halten würde, wären wahrscheinlich 90 Prozent weniger Tests durchgeführt worden.»
Dass sich gewisse Ärzte über die Vorgaben des BAG hinwegsetzen, zeigt das Beispiel des Arztes und Unternehmers Andrea Vicenzo Braga, der laut «Rundschau» mehrere Praxen und Gesundheitsprojekte in In- und Ausland betreibt.
«Absoluter Unsinn»
Das Rundschreiben des BAG hält er für einen absoluten Unsinn: Es zeige einmal mehr, dass jemand zuerst krank werden müsse, bevor das Gesundheitssystem die Kosten für Laboranalysen übernehme, sagt er im «Rundschau»-Beitrag. Hätte man die Laboranalyse frühzeitig gemacht, so wäre der Mangel nicht entstanden und die Krankheit gar nicht eingetroffen.
Und weiter sagte Braga in kernigem Berndeutsch: «Ich halte mich nicht an das Papier. Ich mache das, was ärztlich richtig ist.»