Patriarchale, nicht selten cholerische Klinikdirektoren mit – im günstigeren Fall – grossem medizinischem Know-how, aber fehlendem Interesse und ebenso fehlenden Kompetenzen in den Bereichen Führung und Management: Wer kennt sie nicht? Nicht zuletzt wegen den damit verbundenen Defiziten kam es zu einer Machtverschiebung.
Nicht mehr die Mediziner, sondern Verwaltungsdirektoren übernahmen die Führung von Kliniken. Doch damit wurde der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.
Denn mit der Führung durch Finanz- und Verwaltungsprofis vollzog sich – befeuert durch die politisch gewollte DRG-Abgeltung – vielerorts ein Kulturwandel, indem Kliniken zunehmend durch die Logik von Verwaltungsorganisationen geprägt wurden.
Frank Urbaniok ist forensischer Psychiater. Von 1997 bis 2018 war er Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Kantons Zürich. Heute ist er als selbständiger Gutachter und Supervisor tätig. Jüngstes Buch: «
System und Irrtum: Fehlerquellen der Wissenschaft».
Das führt zwangsläufig zu einer Verschiebung von Prioritäten. Finanzielle und verwaltungsprozessuale Zielsetzungen dominieren gegenüber klinischen und wissenschaftlichen Zielen. Symptome dieser Entwicklung sind ausufernde bürokratische Prozesse, die auf Kosten medizinischer und pflegerischer Leistungen gehen und zu Zielkonflikten zwischen medizinischen/wissenschaftlichen Erfordernissen und scheinbar finanziellen und verwaltungstechnischen Notwendigkeiten führen.
Es ist ein immerwährender gesellschaftlicher Kampf, dass diejenigen, die die eigentliche Arbeit tun, nicht zu Statisten degradiert werden durch diejenigen, die diese Arbeit organisieren, verwalten und überwachen. Er lässt sich in vielen Lebens- und Arbeitsbereichen beobachten.
In Kliniken führt er zu folgender Grundsatzfrage: Sollen Kliniken vorwiegend medizinische Organisationen sein, in der das Primat der klinischen Versorgung allenfalls in Kombination mit ambitionierten wissenschaftlichen Zielsetzungen gilt? Oder sollen Klinken Verwaltungsorganisationen sein, die medizinische Dienstleistungen anbieten und nach Möglichkeit Profite erwirtschaften?
«Viele engagierte Pfleger und Ärzte empfinden aufgrund der bürokratischen Übersteuerung ihres Alltags, wegen Qualitätsverlusten der medizinischen Versorgung und fehlender Wertschätzung Frustration und Resignation.»
Mit Hilfe schicker Power-Point Präsentationen wird uns erzählt, dass es diesen Gegensatz gar nicht gibt. Aber es gibt ihn und er prägt den Charakter und den medizinischen, pflegerischen und wissenschaftlichen Alltag in vielen Kliniken in entscheidender Weise.
Das lässt sich leicht an der Relation zwischen medizinisch-pflegerischen Kernleistungen am Patienten und Dokumentationspflichten und anderen kollateralen Tätigkeiten, die rechtlichen und verwaltungstechnischen Zielsetzungen entsprechen, erkennen. Viele engagierte Pfleger und Ärzte empfinden aufgrund der bürokratischen Übersteuerung ihres Alltags, Qualitätsverlusten der medizinischen Versorgung und fehlender Wertschätzung Frustration und Resignation.
«Die Lösung besteht nicht darin, aus Kliniken Verwaltungsorganisationen zu machen.»
Niemand kann sich Klinikdirektoren zurückwünschen, die eine partizipative Führungskultur und Managementkompetenzen als störende Elemente autokratischer Selbstherrlichkeit empfanden. Aber die Lösung besteht nicht darin, aus Kliniken Verwaltungsorganisationen zu machen, in denen bürokratische Prozesse und Verwaltungslogiken gegenüber einer konsequenten Patientenorientierung und kreativer wissenschaftlicher Weiterentwicklung dominieren.
Es mag Orte geben, in denen die medizinische Leitung und die nicht-medizinische Geschäftsleitung Synergien und Mehrwert schaffen. Es gibt aber viele andere Beispiele, in denen der Grundkonflikt auf Kosten einer konsequenten Patientenorientierung, der Arbeitszufriedenheit von Pflegenden und Ärzten, der wissenschaftlichen Weiterentwicklung und effizienter Leistungserbringung geht.
«Meine Meinung dazu: Weniger Verwaltungslogik, Bürokratie, Profitorientierung und mehr klinische, medizinische, pflegerische, wissenschaftliche Identität.»
Darum braucht es für die zukünftige Entwicklung und die Positionierung der medizinischen Versorgung eine Grundsatzdiskussion darüber, welchen Charakter medizinische Organisationen haben sollen. Meine Meinung dazu: Weniger Verwaltungslogik, Bürokratie, Profitorientierung und mehr klinische/medizinische/pflegerische/wissenschaftliche Identität, die den Kern und die Prozesse der Organisation durchdringt und entscheidend prägt.
Um das zu erreichen und bestehende Fehlentwicklungen zu stoppen, ist eine offene politische und gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft unseres Gesundheitssystems notwendig.