«Ich brauchte nach der Pause mindestens drei Jahre»

Daniela Fürer arbeitete rund eineinhalb Jahre als Intensivpflegefachfrau, dann wurde sie Mutter und machte eine lange Pause – bis zum Wiedereinstieg.

, 31. August 2022 um 12:12
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Daniela Fürer: «Als Wiedereinsteigerin war ich so fokussiert, dass ich erst jeweils nach Schichtende gemerkt habe: Es gibt ja eigentlich noch ein Leben ausserhalb der Arbeit.» | zvg
Über ein Jahrzehnt arbeitete Daniela Fürer nicht mehr in der Intensivpflege. Sie spricht von «elf Jahren Pause», aber Zeit, um sich gross auszuruhen, hatte sie schon damals wenig: Anstatt um die Patienten im Spital kümmerte sie sich nun zu Hause um ihre Kinder, daneben arbeitete sie in ihrem Erstberuf als Pharmaassistentin.
Vor rund acht Jahren kehrte Fürer wieder in die Intensivpflege und somit auch zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber, dem Kantonsspital Graubünden (KSGR), zurück – zuerst war sie sieben Jahre auf der interdisziplinären Intensivstation für Erwachsene tätig, seit einem Jahr arbeitet die 48-jährige diplomierte Expertin Intensivpflege auf der Kinderintensivstation.

Kinder statt Karriere

Doch von vorn: Fürer ist gelernte Pharmaassistentin. In diesem Beruf arbeitete sie aber nur für kurze Zeit; die Bündnerin wollte nämlich Krankenschwester – wie es damals noch hiess – werden, also absolvierte sie die Grundausbildung. Später machte sie noch eine Weiterbildung für Intensivpflege.
Fürer war rund eineinhalb Jahre auf der Intensivstation im KSGR tätig, als sie 2003 ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt brachte. Nach dem Mutterschaftsurlaub beschloss sie, ihre Tätigkeit am KSGR aufzugeben. Rund zwei Jahre später bekam sie noch eine Tochter.
«Ich arbeitete sehr gerne auf der Intensivstation, doch liessen sich Schichtarbeit und Familie schwer vereinbaren; ich wollte für meine Kinder voll da sein, das war mir ein grosses Anliegen», sagt die inzwischen alleinerziehende Mutter. Ihre Tochter und ihr Sohn seien ihr wichtiger gewesen, als sich selbst zu verwirklichen.
Ganz von der Arbeitswelt weg war Fürer nicht lange: «Ich konnte Teilzeit in einer Apotheke arbeiten; dank der regelmässigen Arbeitszeiten liessen sich Kinder und Job besser vereinbaren.»
Fürer hatte während all der Jahre immer den Wunsch, wieder in die Intensivpflege zurückzukehren: «Die Krankenpflege ist für mich nicht einfach ein Job, sondern meine Berufung – ich bin mit Leidenschaft und ganzem Herzen dabei.»

Bewerbung für den Wiedereinstieg

Es war eine einstige Arbeitskollegin von Fürer, die ihr den nötigen Schubs gab: «Wir waren uns per Zufall über den Weg gelaufen, kamen ins Gespräch und schliesslich konnte sie mich dazu bewegen, dass ich mich beim KSGR für einen Wiedereinstieg in die Intensivpflege bewarb.»
Fürer schätzte ihre Chancen, nach elf Jahren Unterbrechung wieder in den Beruf einzusteigen, als gering ein. Doch ihre Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet. «Die Zuständigen am KSGR sagten mir zwar, einen Wiedereinstieg nach so einer grossen Pause hätten sie noch nicht oft gehabt, doch weil sie mich von der früheren Anstellung und der Weiterbildung kennen würden und ich mit dem Betrieb schon vertraut sei, würde ich die Stelle bekommen.»

Wissens-Update

Um wieder in die Intensivpflege einsteigen zu können, absolvierte Fürer ausgewählte Stunden der Module des Nachdiplomstudiums in Intensivpflege am Bildungszentrum Gesundheit und Soziales (BGS) in Chur. Über einen Zeitraum von zwei Jahren besuchte Fürer verschiedene Module – die Kosten übernahm das Spital. «Das war eine super Sache, mein Wissen war danach wieder auf dem neuesten Stand», sagt die 48-Jährige.
Zu Beginn aber hat sich Fürer teilweise wieder wie eine Anfängerin gefühlt, wie sie im Gespräch erzählt. Die Grundlagen habe sie schon noch gewusst, etwa wie man eine Patientin, die ins künstliche Koma versetzt wurde, von Kopf bis Fuss wäscht – «das hatte ich alles noch präsent».
Fürer räumt ein: «Das Ganze dann in die Praxis erfolgreich umzusetzen, dass man dann für die Körperpflege eben nicht 30 Minuten, sondern lediglich 10 Minuten braucht, das musste ich zuerst wieder lernen. Und das ging nicht von heute auf morgen.»

Anspruchsvolle Jahre

Fürer brauchte rund drei Jahre, bis sie die organisatorischen Abläufe wieder verinnerlicht hatte und mit allem vertraut war. Sie findet denn auch: «Wiedereinsteiger müssen viel Zeit investieren.»
Fürer stieg mit einem 80-Prozent-Pensum wieder ein und reduzierte nach drei Monaten auf rund 40 Prozent – «denn da waren ja noch Familie und Haushalt, was ebenfalls Zeit beanspruchte». Als die Kinder schon etwas älter waren, erhöhte Fürer ihr Pensum nach und nach.
«Die Zeit des Wiedereinstiegs war sehr streng», sagt die diplomierte Expertin Intensivpflege. Wenn sie morgens im Spital ihre Arbeitskleidung angezogen habe, habe sie gleichzeitig ihr Privatleben abgestreift. «Als Wiedereinsteigerin war ich so fokussiert, dass ich erst jeweils nach Schichtende gemerkt habe: Es gibt ja eigentlich noch ein Leben ausserhalb der Arbeit.»

«Wenn ich das schon im Vornherein gewusst hätte…»

Vonseiten des Spitals hat sich Fürer bei ihrem Wiedereinstieg gut unterstützt gefühlt: «Ich erhielt die Betreuung, die ich benötigte.» Sie gesteht aber ein: «Wenn ich schon im Vornherein gewusst hätte, mit wie viel Aufwand und Zeit der Wiedereinstieg verbunden ist, so weiss ich nicht, ob ich mich dann auch für diesen Weg entschieden hätte.» Doch rückblickend sei sie froh, alles so konsequent durchgezogen zu haben. Denn die Arbeit bereite ihr so viel Freude.
Fürer sagt: «Ich könnte von manch berührenden Erlebnisse erzählen, doch ich glaube, etwas vom Schönsten ist es, wenn Patienten später noch einmal mit ihren Angehörigen auf die Station kommen und dann sehen möchten, wo sie gelegen haben und welche Pflegefachpersonen sie betreut haben etc. Zu sehen, wie die Patienten wieder im Leben zurück sind und wie sie und auch ihre Angehörigen dafür so dankbar sind, ist ein grosses Geschenk, und das geht schon sehr tief.»

Physische und psychische Belastung

Fürer bekam auch schon oft die Schattenseiten des Berufs zu spüren. Es habe zunehmend Tage gegeben, an denen sie sich bereits um 12 Uhr mittags völlig erschöpft gefühlt habe, erzählt sie. «Ich konnte mit der Zeit nicht Schritt halten.» Neben diesem Gefühl, dauerhaft gestresst zu sein, komme noch die körperliche Anstrengung und der Druck hinzu, keine Fehler zu machen.
Irgendwann kam der Moment, an dem Fürer klar wurde und sie sich eingestand: Sie will so nicht mehr arbeiten, die körperliche und psychische Belastung auf der Intensivstation für Erwachsene ist zu gross für sie. «Ich wusste von verschiedenen vorgängigen Gesprächen, dass sich die Situation im Moment – und wahrscheinlich auch längerfristig – nicht ändern wird», sagt Fürer und fügt an: «Ich habe dann schnell gemerkt, dass ich jetzt einmal nur auf mich schauen muss.»

Mehr Frei- und Spielraum

Seit einem Jahr arbeitet die diplomierte Expertin Intensivpflege mit einem 70-Prozent-Pensum nun auf der Kinderintensivstation des KSGR: «Fachlich musste ich zwar noch einiges an Zeit investieren, doch die körperliche Belastung ist nicht mehr so stark und das Arbeitstempo nicht mehr so hoch, das ist schon eine Erleichterung.»
Vor kurzem schloss Fürer eine Coaching-Ausbildung ab, diese gibt ihr etwas Spiel- und Freiraum: «Ich halte mir so ein Hintertürchen offen. Mein Wunsch ist es, in naher Zukunft zu einem gewissen Prozentteil selbstständig zu sein.»

«Wir Pflegerinnen und Pfleger brauchen nun ein Zeichen»

Die diplomierte Expertin Intensivpflege hat einige Ideen, wie mehr Wiedereinsteigerinnen und Wiedereinsteiger für die Intensivpflege, oder generell für die Pflegeberufe, gewonnen werden könnten: Flexible Arbeitszeiten, Erhöhung der Zulagen, individuelle Dienstplanung, Springerpools – Fürers Liste ist lang. Ihre wichtigste Botschaft aber lautet: «Es muss Bewegung in die Sache kommen – wir Pflegerinnen und Pfleger brauchen nun ein Zeichen, das uns die Bestätigung gibt: Wir werden mit unseren Anliegen gehört und wahrgenommen.»
Sie kenne einige Pflegefachpersonen, die kündigten, obwohl sie noch keine neue Stelle in Aussicht gehabt hätten. «Das waren Pflegerinnen und Pfleger, die ihren Beruf wirklich noch mit Herzblut ausübten. Klar, rücken dann neue Pflegekräfte nach; viele von ihnen sind zuerst guter Dinge, doch nach ein paar Monaten verlassen auch von ihnen wieder einige ihre Stellen, das ist zumindest mein Eindruck.»

Weckruf für die Politik

Fürer ist nicht eine, die laut fordert, sondern eine stille Schafferin, eine Mutter, die den ganzen Haushalt alleine stemmt, eine diplomierte Expertin Intensivpflege, die dreieinhalb Tage die Woche ihre Arbeit erbringt.
Sie hat es verdient, dass ihr Weckruf nicht auf taube Ohren stösst. Ihre Stimme soll gehört werden wie all die anderen Stimmen der Pflegerinnen und Pfleger da draussen – bevor die Pflege völlig ausgeblutet ist.

Wiedereinstieg Langzeitpflege: Was machen der Bund und die Kantone?

Der Bund beteiligt sich finanziell an kantonalen Förderprogrammen für Wiedereinsteigerinnen und Wiedereinsteiger: Personen, die wieder in die Langzeitpflege einsteigen möchten, sollen ein entsprechendes Kursangebot zu vergünstigten Konditionen besuchen können.
Die Beiträge sind an Bedingungen geknüpft (Details siehe Merkblatt unten) und werden ausschliesslich den Kantonen ausbezahlt. Bund und Kantone beteiligen sich zu gleichen Teilen an den Kurskosten bis zur maximalen Höhe von 2'500 Franken pro Person.
Bund will noch mehr Anreiz schaffen
Personen, die wieder in die Langzeitpflege einsteigen wollen, müssen ihre Kurstätigkeit im Zeitraum von 2018 bis 2022 aufgenommen haben; die finanzielle Unterstützung des Bundes ist dann auf maximal fünf Jahre begrenzt.
Doch um noch mehr Anreiz zu schaffen, will der Bund prüfen, ob Kantone, welche solche Wiedereinsteigerkurse angeboten haben, für eine begrenzte Zeit weiter unterstützt werden können, wie Jürg Bieri vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) auf Anfrage mitteilt.
Mit den kantonalen Förderprogrammen sollen während der genannten fünf Jahre rund 2'000 Personen für einen Wiedereinstieg in die Langzeitpflege gewonnen werden – so lautet das Ziel.
Bis jetzt sei der Erfolg zahlenmässig relativ, doch das Echo in den Kantonen sei sehr positiv ausgefallen, sagt Bieri vom SBFI. Laut ihm bieten derzeit rund zwei Drittel aller Kantone solche Förderprogramme für Wiedereinsteiger an.
«Wirksame und kostengünstige Massnahme»
Auch Kantonen, die bereits heute den Kursbesuch für Wiedereinsteigerinnen und Wiedereinsteiger mit einem kantonalen Förderprogramm finanziell unterstützen, erhalten vom Bund Beiträge. Zu jenen Kantonen gehören unter anderem Bern und die Waadt.
Bern ist einer der ersten Kantone, in dem Wiedereinstiegskurse bereits seit mehreren Jahren gefördert werden. Seit dem Jahr 2000 ermöglicht die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) des Kantons Bern Personen den kostenlosen Besuch von Wiedereinstiegskursen, wie Danny Heilbronn von der GSI auf Anfrage schreibt.
Die Kurse bezweckten einerseits, die Teilnehmenden zu motivieren, in den erlernten Beruf zurückzukehren; andererseits würden die Kurse auf die Veränderungen der beruflichen Funktionen vorbereiten, die durch die medizinischen, technischen, demografischen, strukturellen und organisatorischen Entwicklungen im Gesundheitswesen bedingt seien, so Heilbronn weiter. «Mit dieser wirksamen und kostengünstigen Massnahme wird dem Pflegepersonalmangel entgegengewirkt und damit ein Beitrag zur Versorgungssicherheit geleistet.»
Gemäss Heilbronn haben im Kanton Bern seit 2018, seitdem die kantonalen Förderprogramme vom Bund unterstützt werden, 175 Personen den Kurs für Wiedereinsteiger absolviert (Stand 30. August 2022). «Unser Reporting zeigt, dass rund 70 Prozent der Kursteilnehmenden erfolgreich eine Stelle im Pflegebereich finden und antreten», schreibt Heilbronn. Erste Auswertungen würden zeigen, dass viele dieser Pflegefachpersonen auch drei Jahre später im Pflegeberuf arbeiteten.

  • Merkblatt_Wiedereinstiegskurse_Langzeitpflege_D.pdf

  • pflege
  • intensivmedizin
  • kantonsspital graubünden
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