Assistenzärzte: Vier Wege aus der Überforderung

Stress, Überstunden, Schlafmangel – und trotzdem gut drauf? Das geht. Eine Studie in Frankreich suchte gute Bewältigungsstrategien von jungen Medizinern.

, 10. Oktober 2024 um 05:22
letzte Aktualisierung: 18. November 2024 um 07:00
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Bild: Amirreza Jamshidbeigi on Unsplash
Lange Arbeitstage, wenig Unterstützung von oben, Organisationsmängel, Orientierungslosigkeit, mangelnde Wertschätzung: Was Schweizer Assistenzärzte regelmässig beanstanden, beschäftigt die «Internes» in Frankreich genauso. Auch im Nachbarland zeigen Befragungen der Nachwuchsmediziner, dass die Arbeitsbelastung in vielerlei Hinsicht problematisch ist.
So ergab eine Erhebung des Verbandes ISNI im Frühjahr, dass die jungen Mediziner in den Spitälern durchschnittlich 59 Stunden pro Woche arbeiten.
Und folglich sind Themen wie Ausstieg und Burnout im Nachbarland genauso präsent.
Eine sozialpsychologische Studie ging nun der Frage nach, wie Frankreichs Assistenzärzte dies bewältigen. Dabei massen die Betriebswirtschafts- und Management-Wissenschaftlerinnen Marie Cousineau und Adama Ndiaye in einem ersten Schritt die Burnout-Gefahr respektive -Werte von 242 Internes in einer Regionalspital-Gruppe.
  • Marie Cousineau, Adama Ndiaye: «Les remèdes des internes en médecine face à des conditions de travail difficiles», in: «The Conversation», September 2024.
Dann, in einem zweiten Schritt, wandten sie sich jenen Nachwuchsärztinnen und -ärzten zu, die keine Anzeichen von Überlastung zeigten. Diese Gruppe machte etwa die Hälfte von allen aus.
Mit diesen Personen wiederum führten die Forscherinnen qualitative Interviews – um herauszufinden, wie sie die Schwierigkeiten bewältigen und welche Strategien sie anwenden.
Die Analyse von Adama Ndiaye und Marie Cousineau brachte am Ende vier Erfolgsstrategien ans Licht.
«Der Blick nach vorne» (Oder im Original: «Les projectionnistes»). Hier spürt man zwar den ständigen Druck, aber die Personen suchen einen mentalen Ausweg im Blick nach vorn, im Blick in die Zukunft: Die Befragten erwähnten beispielsweise im Gespräch einen geplanten Auslands-Aufenthalt; oder sie sprachen über ihre Pläne nach der Ausbildung.
Eine Aussage lautete zum Beispiel: «Dass ich es schaffe, nicht zu leiden, liegt daran, dass ich persönlich nebenbei in der Chinesischen Medizin aktiv bin, das gibt mir Schwung. Ich habe Pläne für die Zukunft, und ich bin jetzt schon offen für das, was kommt.»
«Die Konformisten». Sie empfinden die Schwierigkeiten zwar ebenfalls, aber sie betrachten ihre Arbeitsbedingungen als normal. Den langen Arbeitstagen können sie etwas abgewinnen – denn sie sagen sich: So lernt man etwas. Das System wird nicht hinterfragt.
Beispiel einer Aussage: «Es kommt nie vor, dass ich mir sage: ‚Mein Gott, ich habe zu viel zu tun, ich schaffe es nicht, ich bin überfordert‘. Das passiert mir nicht mehr. Ich kann mit der Situation leichter umgehen. In der Ausbildung hat man eine Lernkurve. Es gibt zu Beginn einen Punkt, an dem man keine Ahnung hat. Aber mit der Erfahrung wiederholt sich vieles. Man weiss eher, wo man sich orientieren kann und was zu tun ist. Man wird schneller. Man bekommt Selbstvertrauen. Man muss seltener nachfragen.»
Die «Internes» im französischen Medizin-System sind etwa vergleichbar mit den hiesigen Assistenzärzten: Sie befinden sich in einer Ausbildungsstufe, die auf dem Abschluss des sechsten Studienjahrs folgt und drei bis fünf Jahre dauert.
«Die Selbstoptimierer». Die Erfahrung in der Medizin ermöglicht diesen Personen auch, die eigenen Grenzen besser zu erkennen. Schwierigkeiten gehen sie an, indem sie dabei auch einen Vorteil gegenüber Kollegen anstreben und sich so weiterentwickeln. So suchen sie sich eine Spezialität – in einem Feld, wo sie dann auch anderen helfen können.
Beispiel einer Aussage: «Ich denke, ich bin ziemlich nützlich, weil mein untypischer Werdegang eine besondere Stärke ist. Das hatte ich zu Beginn unterschätzt. Ich habe nicht dieselben Kenntnisse wie andere Ärzte, insbesondere in Statistik, sodass ich hier Ratschläge geben kann, die selbst die Chefs nicht kennen.»
«Die Herausforderer»: Sie betrachten ihre Ausbildung möglichst spielerisch.
Beispiel einer Aussage: «Wenn ein Patient kommt, rätsle ich sofort: Was ist mit ihm los? Ich muss es finden – das ist mein kleines Spiel. Es ist mir egal, wenn sich die Leute nicht einmal bedanken, aber jeder Patient ist für mich eine Herausforderung, ein Test für mein Wissen und eine Möglichkeit, mich zu verbessern. So werde ich Tag für Tag ein besserer Arzt.»
Für Marie Cousineau und Adama Ndiaye ist klar, dass man in diesem Muster eine gewisse Orientierung finden kann: «Die Typologie zeigt, dass Selbsterkenntnis ein Verbündeter ist, der es uns ermöglicht, Strategien gegen Schwierigkeiten zu entwickeln», schreiben sie: «Sie bilden einen mentalen Schutz, der es ermöglicht, seinen Einsatz am und sein Verhältnis zum Arbeitsplatz zu kontrollieren.»

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