«Es ist unglaublich. Parallelen zum Fall der CS sind offensichtlich»

Die Insel Gruppe meldete zuletzt viele Verbesserungen. Aber für den Berner Gesundheitsökonomen Heinz Locher ist die Krise sehr fundamental: Er spricht von «multiplem Organversagen». Das Interview.

, 23. Dezember 2024 um 15:40
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Inselspital Bern, Gesundheitsökonom Locher  |  Bilder: PD
Herr Locher, 2024 war für die Insel Gruppe ein «Jahr der Transformation und Stabilisierung», heisst es in einer Mitteilung zum Jahresende. Daraus kann man schliessen, dass für 2024 nochmals ein klarer Verlust vermeldet werden muss – aber dass die Lage 2025 spürbar besser sein wird. Sehen Sie das auch so?
Aufgrund des publizierten Halbjahresergebnisses muss man für 2024 wieder mit einem hohen Verlust in der gleichen Grössenordnung wie letztes Jahr zu rechnen; damals waren es 112,7 Millionen Franken. 2025 erwarte ich keine grundlegende Verbesserung.
Aber die Patientenzahlen steigen wieder, die Bettenauslastung hat sich erhöht.
Es ist bezeichnend, dass die Mitteilung keine Prozentwerte nennt. Die Bettenauslastung ist nach wie vor ungenügend. Insbesondere die Schliessung des Tiefenauspitals hat zu einem erheblichen Vertrauensverlust bei den zuweisenden Ärztinnen und Ärzten geführt. Die Wiederherstellung von zerstörten Zuweiser-Netzwerken dauert erfahrungsgemäss Jahre. Als Folge der krisenhaften Entwicklungen im Inselspital haben sich in der Zwischenzeit neue Netzwerke zwischen Regionalspitälern und Privatspitälern entwickelt.
Der Gesundheitsökonom Heinz Locher ist heute Mitglied der Geschäftsführung der Care at Home Schweiz. Zuvor arbeitete er als Berater, dabei unter anderem für PwC. In seiner Karriere war er auch Genersalsekretär der Berner Gesundheitsdirektion sowie Delegierter des Berner Regierungsrates für die Spitalplanung.
Die Insel-Leitung kann aber auch auf diverse Neuerungen verweisen, welche die Effizienz steigern – etwa abgestimmtere Prozesse oder die Einführung des neuen Klinik-Informationssystems.
Verschiedenste Quellen aus dem Inselspital berichten, dass sowohl bei der Planung der Operationstätigkeit wie auch der Bettendisposition erhebliche Ineffizienzen bestehen.
Sie haben aber sowieso schon eher fundamentale und strategische Probleme angemahnt. Wo liegen die?
Leider haben es Parlament und Regierung unterlassen, eine realistische Eignerstruktur für die Insel Gruppe festzulegen. Der Verwaltungsrat verwendet seinerseits Allerweltsfloskeln wie «international führend». Tatsache ist aber leider, dass das Inselspital in einer Reihe von wichtigen Fachgebieten seine führende Stellung verloren hat.
«Man stelle sich vor: Innert drei Jahren werden Verluste von einer Viertelmilliarde angefallen sein. Und die Reaktion? Grosses Schweigen.»
Beispiele sind Orthopädie, Herzchirurgie, Gefässchirurgie, Thoraxchirurgie, Urologie. Jedes Fachgebiet muss unter die Lupe genommen werden. Die Alternativen heissen: Stärkung, Abbau oder Einbringen in ein Joint Venture. Also beispielsweise in der Orthopädie mit dem Sonnenhofspital.
Das tönt nach einem grundsätzlicheren Managementproblem. Aber was heisst das konkret? Wo sind die wichtigsten Baustellen?
Das Inselspital ist in einer tiefgreifenden Krise, auch wenn das abgestritten wird. Man könnte von einem «multiplen Organversagen» sprechen, angefangen beim Grossen Rat und seinen Kommissionen. Man stelle sich vor: Innert drei Jahren werden Verluste von einer Viertelmilliarde angefallen sein. Und die Reaktion? Grosses Schweigen. Der Regierungsrat und insbesondere die beiden Fachdirektionen können offenbar damit gut leben und machen auf «Business as usual». Das ist einfach unglaublich. Parallelen zum Fall der Credit Suisse sind offensichtlich. Wenn fiktiv im Jahr 2026 ein Insel-PUK eingesetzt würde, müsste man wohl nur «CS» durch «Insel» ersetzen.
Sie sind Ökonom. Seien wir ehrlich: Ist es überhaupt möglich, dass die Insel Gruppe in absehbarer Zeit eine Ebitda-Marge von 8 bis 10 Prozent erreicht?
Es wäre schon ein Riesenerfolg, wenn das Inselspital den Durchschnittswert aller Universitätsspitäler erreichte, wo immer sich dieser Benchmark befindet.
Der Durchschnitt aller 5 Universitätsspitäler lag in den letzten zwei Jahren bei etwas mehr als 1,1 Prozent. Damit lässt sich solch ein Haus niemals nachhaltig refinanzieren. Es wird nicht ohne regelmässige Sonderfinanzierungen durch den jeweiligen Kanton gehen.
Gewiss, es gibt struktuelle Probleme der Spitäler, und da müsste einiges geschehen – etwa eine Harmonisierung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen; oder eine bessere Gewichtung der wirklich teuren Eingriffe. Andererseits wird man sich diese Bettenpaläste nicht mehr leisten können oder wollen. Es muss einfach möglich sein, die erforderlichen (Re-)Investitionen zu tätigen. Aber in Bern kommen noch die spezifischen Schwächen bei der Insel hinzu.
In diesem Jahr mussten alle Schweizer Unikliniken ausser dem USZ ihre CEO-Position neu besetzen. Man bekommt den Eindruck, dass die Insel Gruppe dabei mehr Mühe hat. Richtig?
Es ist schon falsch, das Ganze als «Personalgeschäft CEO» aufzuziehen. Es braucht neue Führungsstrukturen auf allen Ebenen.
Warum das?
Der korrekte Ablauf wäre: Erst Festlegung einer realistischen Eigner- und Unternehmungsstrategie; dann Neubesetzung von Stiftungs- und der Verwaltungsrat. In der heutigen Zusammensetzung mangelt es an Fachkenntnissen und Glaubwürdigkeit.
Was muss ein idealer Kandidat, eine ideale Kandidatin für den Direktionsposten mitbringen?
Vertrauenswürdigkeit, Kompetenz, Fachkunde, Durchsetzungsfähigkeit. In der heutigen Situation denke ich an eine ärztliche Persönlichkeit mit Leistungsausweis auf der Stufe Klinikdirektion. Die Wiederherstellung einer geführten Unternehmung wird Durchsetzungsvermögen erfordern.
Gibt es in der Insel Gruppe solche Personen?
Wie gesagt, wir sollten erst die Grundsatzdiskussion führen: Was tut die Gesundheitsdirektion, was tut der Grosse Rat angesichts dieser Zahlen? Ich habe das Gefühl, dass man auf der politischen Ebene wie gelähmt ist. Und solange dies so ist, wird man die Insel Gruppe nicht optimal besetzen können.


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