Es ist noch nicht lange her, seit US-Forscher mit einer Studie überraschten, die Ende Mai in der Fachzeitschrift Nature publiziert wurde. Mit dem Titel
«Had Covid? You’ll probably make antibodies for a lifetime» meldete ein Team um Ali Ellebedy, Immunologe an der Washington University in St. Louis, dass Menschen selbst nach einer milden Covid-Infektion viele Monate danach Antikörper in sich tragen.
Mehr noch: Die Wissenschaftler kamen zu Schluss, dass diese Immunzellen wohl ein Leben bestehen bleiben und immer wieder Antikörper produzieren könnten. Die Immunzellen, welche die Antikörper bilden, würden zwar weniger werden, aber nie ganz verschwinden. (Medinside berichtete
hier darüber.)
Dann kam Israel
Einige Zeit später erschien eine Studie aus Israel, die zu reden gab: Forschende fanden heraus, dass die natürliche Immunität einen länger anhaltenden und stärkeren Schutz gegen die Deltavariante bietet als die Impfung mit Pfizer/Biontech.
Den Daten zufolge sollen Geimpfte sogar ein 13-fach höheres Risiko für eine Infektion haben als Genesene. Untersucht wurden 32'000 Teilnehmer ab 16 Jahren, die vor dem 28. Februar 2021 geimpft worden waren beziehungsweise bis Ende Februar eine dokumentierte Corona-Infektion durchgemacht hatten. Dann analysierten die Forschenden, wie viele der Teilnehmenden sich im darauffolgenden Sommer angesteckt hatten.
Die im August 2021 im
Preprint* erschienene Studie zeigte zudem auf, dass die natürliche Immunität über die Monate nachlässt, weshalb Daten von Geimpften mit denen der Menschen, die sich im Jahr 2020 infizierten, verglichen wurden. Doch selbst in diesem Fall hatten die Genesenen ein sechsfach geringeres Risiko, sich erneut mit dem Coronavirus zu infizieren, als die Geimpften.
Spezialisten kritisieren diese Studie
Was gut klang, stiess innert Kürze auf starken Gegenwind: So kritisierte Marion Pepper, Immunologin an der University of Washington, im Magazin
«Science»: Die Studie zeige zwar die Vorteile der natürlichen Immunität auf, würde aber den Schaden, der das Virus anrichten könne, nicht berücksichtigen.
Und Charlotte Thalin, Immunologin am Stockholmer Karolinska-Institut, warnte vor einem womöglich drohenden Side-Effect: Eine absichtliche Infektion könne eine schwere Erkrankung auslösen, Long-Covid verursachen oder sogar zum Tod führen.
Als eine Schwäche der Studie bezeichneten die Spezialistinnen, dass die Teilnehmenden der israelischen Studie lediglich mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech geimpft wurden. Es fehlt der Vergleich beispielsweise mit Moderna oder AstraZeneca.
Briten: Gleich grosser Schutz
Antworten dazu deuteten dann britische Forscher an: Ein Team aus diversen Forschungseinrichtungen unter der Leitung von Koen B. Pouwels von der Oxford-Universität kam zum Schluss, dass zwei Impfdosen mindestens einen gleich grossen Schutz bieten, wie die natürliche Immunantwort nach einer Infektion mit der Deltavariante.
Die Wirksamkeit der Impfstoffe von Biontech und Astra Zeneca sei bei der Delta-Variante etwas geringer – was Infektionen, Infektionen mit Symptomen oder die höhe der Viruslast angehe. Eine Einzeldosis von Moderna habe ähnliche oder eine höhere Wirksamkeit als Einzeldosen von Biontech oder Astra Zeneca.
Die britischen Forscher verwendeten die Daten des Office for National Statistics Covid-19 Infection Survey als Grundlage. Verglichen wurden die Zeiträume vom 1. Dezember 2020 bis zum 16. Mai 2021 (Alpha-Variante) und vom 17. Mai 2021 bis zum 1. August 2021 (Delta-Variante). Ausgewertet wurden die Informationen von 358'983 Personen.
Und jetzt?
Die Frage nach der Immunität nach einer Infektion wird unter Fachleuten genauso kontrovers diskutiert wie die Frage nach der Dauer des Impfschutzes. Auf die Frage in der Sendung
«Puls», ob Genesene besser geschützt seien als doppelt Geimpfte, antwortete Christoph Berger, EKIF-Chef, dass dem nicht so sei: «Wir wissen inzwischen, dass jemand der Covid hatte, weniger gut geschützt ist. Wir empfehlen deshalb allen Genesenen, sich spätestens nach einem halben Jahr impfen zu lassen. Eine durchgemachte Infektion plus eine Impfdosis bieten den selben Schutz wie zwei Impfdosen.» Selbige BAG-Empfehlung findet man
hier.
In Deutschland geht der Virologe
Alexander Kekulé indessen davon aus, dass die Infektion zu einer breiteren Immunantwort führt und den Körper vielschichtiger stimuliert als die Impfung. Und während Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, damit rechnet, dass die Impfungen einen höheren Antikörperspiegel erreichen als die natürliche Immunabwehr, sorgte der Virologe Christian Drosten für Aufsehen, als er sagte, er wolle sich selbst mit Corona infizieren.
Drosten, der sehr deutlich für Impfungen plädiert, will mit dem «natürlichen Booster» eine «robustere Immunität» erreichen.
Booster-Impfungen sind in der Schweiz noch kein Thema: Wie Christian Berger sagte, ist noch unklar, wer eine dritte Impfung braucht und zu welchem Zeitpunkt. Das sei letztlich wohl eher ein politischer als ein wissenschaftlicher Entscheid. Wie Medinside
hier berichtete, prüft
Swissmedic aktuell die Zulassungserweiterung für eine dritte Dosis.
Fazit
Dass eine Immunität nach der Impfung und nach einer Infektion besteht, ist unumstritten. Die Antikörper lassen sich im Blut messen. Wie lange der Impfschutz tatsächlich andauert, ist noch nicht geklärt. Unklar ist auch, ob jetzt die Impfung oder eine Corona-Infektion eine bessere Immunantwort auslöst. Die Diskussionen in der Fachwelt sind zu kontrovers – es braucht eindeutig mehr Daten.
Was man weiss, ist, dass der Körper nach einer durchgemachten Sars-CoV-2-Infektion Immunzellen bildet, die im Körper erhalten bleiben und bei einer erneuten Infektion eine schnelle Immunantwort vermitteln können. Das zeigte bereits die
«Freiburger Studie», die am 12. November 2020 in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift
«Nature Medicine» veröffentlicht wurde. Es handelt sich dabei um die sogenannten Gedächtnis-T-Zellen, die nach einer Sars-CoV-2-Infektion ähnlich aussehen wie Gedächtnis-T-Zellen nach einer echten Grippe. Die Freiburger Forscher sind zuversichtlich, dass bei der Mehrheit der Menschen nach überstandener Infektion ein gewisser Schutz vor einer erneuten Erkrankung besteht.
Sicher ist, dass die mRNA-Impfstoffe nicht ewig halten. Deshalb wird weltweit an weiteren Vakzinen geforscht, auch in der Schweiz. Die Start-Up-Firma
RocketVax entwickelt derzeit einen Impfstoff der zweiten Generation. Professor Thomas Klimkait ist Leiter des Forschungs-Teams. Wie der Virologe der Universität Basel
hier erklärt, kann man die Gedächtniszellen weniger gut im Blut messen. Ihre Antwort hängt vom Impfstoff ab.
BAG: «Schutz länger als angenommen»
Wie gut der der Immunschutz gegen Corona ist und ob die Messung der eigenen Antikörper ausreicht, dem ging gestern auch die Sendung
«Puls» nach. Spannend war die Frage: Wieso gilt das Covid-Zertifikat bei Genesenen nur sechs Monate, bei Geimpften aber zwölf? Wie Patrick Mathys, Leiter der Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit sowie stellvertretender Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten, gestern gegenüber dem Schweizer Fernsehen sagte, prüft das BAG derzeit, ob das Covid-Zertifikat für Genesene verlängert werden kann. Aktuell würden neue Studien geprüft, die zeigten, dass der Schutz vor einer erneuten Infektion besser sei und länger anhalte wie angenommen.
* Bei einem Preprint handelt es sich um den Abdruck einer Studie, die noch nicht von Experten begutachtet wurde. Die Forschungsergebnisse müssen noch ausgewertet werden und dienen daher nicht als Leitfaden für die klinische Praxis. Ebenso wenig ersetzen diese Daten eine Impfung.