Ab drei Tagen Absenz verlangen viele Arbeitgeber von ihren Angestellten ein Arztzeugnis. Immer mehr Telemedizin-Anbieter machen es ihren Kunden einfach, sich als arbeitsunfähig deklarieren zu lassen: Arztzeugnisse können gratis am Telefon bestellt werden – ohne den finanziellen und zeitlichen Aufwand, den ein Arztbesuch mit sich bringt.
Diesen Service bieten unter anderem auch die beiden grössten Telemedizin-Unternehmen Medgate und Medi24 an. Seit Anfang Jahr dürfen zudem auch die Telemedizin-Ärzte des Swica-Unternehmens Santé24 Arztzeugnisse per Telefon ausstellen, wie Medinside
hier berichtete.
Im Streitfall keinen Anspruch auf Lohn
Die Zeugnisse werden per Mail an die Patienten geschickt. Doch laut der Konsumentenzeitschrift «K-Tipp» sind solche Arztzeugnisse in einem Streitfall nichts wert. «Wer behauptet, arbeitsunfähig zu sein, muss dies nachweisen. Sonst hat er keinen Anspruch auf Lohn», warnt die Zeitschrift.
Das Problem ist: Die Telemedizin-Firmen stellen die Arztzeugnisse allein aufgrund der Schilderungen der Patienten aus. Da kein Arzt den Patienten persönlich untersucht, haben diese Zeugnisse arbeitsrechtlich keine Beweiskraft. Das heisst: Wenn der Arbeitgeber dem Angestellten nicht glaubt, dass er wirklich arbeitsunfähig ist, muss er ihm während der Absenz auch keinen Lohn zahlen.
Medgate macht Vorbehalt auf dem Zeugnis
Medgate vermerkt deshalb sicherheitshalber auf ihren Arbeitszeugnissen: «Dieses Zeugnis gilt erst nach entsprechender Akzeptanz des Arbeitsgebers als Beweis für die attestierte Arbeitsunfähigkeit.» Dass die einfach zu bestellenden Arztzeugnisse die Hürde senken, einfach einmal blau zu machen, sind sich die Telemedizin-Anbieter bewusst. Medgate hat deshalb Richtlinien aufgestellt.
Die Medgate-Ärzte dürfen nur solche Tatsachen bescheinigen, die sie «nach sorgfältiger und fachkundiger Einschätzung auch für wahr halten». Zeugnisse für Teil-Arbeitsunfähigkeit stellen sie nicht aus. Und: Arztzeugnisse gibt es nur für Patienten, denen nicht gekündigt worden ist. Santé24 gibt jedem Patienten maximal zwei solche Telefon-Zeugnisse pro Jahr ab.
Kanton Bern emfpiehlt, keine Telemedizin-Zeugnisse zu akzeptieren
Trotzdem sind die Arbeitgeber skeptisch gegenüber diesen Schnell-Zeugnissen: So beurteilt sie zum Beispiel das Personalamt des Kantons Bern aus dienstrechtlicher Sicht als «problematisch». Ist zum Beispiel strittig wie lange der Arbeitgeber den Lohn weiterzahlen muss, werde ein Telemedizin-Anbieter «kaum abschliessend auf seine Aussagen zu behaften sein und sich auf mögliche Unsicherheiten einer Ferndiagnose berufen», befürchtet das Personalamt. Das sei letztlich weder für den Arbeitgeber noch für den Arbeitnehmer dienlich.
Deutlich schreibt das Personalamt ausserdem: «Bei telefonischen Diagnosestellungen und der damit wegfallenden direkten Untersuchung des Betroffenen besteht die Gefahr von Missbräuchen.» Das Personalamt empfiehlt deshalb, «derartige Zeugnisse in der kantonalen Verwaltung nicht zu akzeptieren und weiterhin auf die klassischen, sprich schriftlichen, Arztzeugnisse zu bestehen.»
Auch klassische Arztzeugnisse können missbraucht werden
Andere Arbeitgeber sind allerdings überzeugt, dass nicht nur die Telefon-Zeugnisse Missbrauch ermöglichen. Auch bei einer persönlichen Konsultation seien Ärztinnen und Ärzte eher grosszügig beim Krankschreiben. Das sei auch verständlich: Viele Hausärzte wollen das Vertrauensverhältnis zu ihren Patienten nicht aufs Spiel setzen. Klar ist indessen, dass es bei Arztzeugnissen zwar einen Spielraum, jedoch auch Grenzen gibt: Gefälligkeitszeugnisse sind unzulässig. Ärzte, die vorsätzlich oder auch fahrlässig ein unwahres Zeugnis ausstellen, machen sich strafbar.
Aber der Arzt ist auch bei einer persönlichen Konsultation weitgehend auf die Aussage des Patienten angewiesen. Ob ein dieser Rücken-, Bauch- oder Kopfschmerzen tatsächlich empfindet oder sie bloss vorgibt, ist schwierig zu entscheiden. Die Telemedizin-Anbieter selber sagen, dass sich dank der medizinischen Beratung auf Distanz massiv Kosten sparen liessen.